Mit Mitte 90 keine graue Maus: Iris Apfel ist US- Fashion-Ikone und auf Modeschauen, Instagram und als Werbegesicht gleichermaßen angesagt.

Foto: Stephen Yang

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Die Deutsche Eveline Hall (72) war Ballerina, Showgirl und Schauspielerin, ehe sie 2011 als Model entdeckt wurde.

Foto: Picturedesk.com

Ela Angerer, geb. 1964, lebt und arbeitet als Schriftstellerin in Wien. Zuletzt erschien "Und die Nacht prahlt mit Kometen" (Aufbau).

Foto: Peter Rigaud / Aufbau

"Ich hätte gerne die Omi im Bild", ruft der Fotograf. Wien-Neubau, Bobohausen. Etwa zwanzig Leute stehen in einem Loft herum. Lichtassistenten, Kabelträger, Vertreter von Artdirektion und Marketingabteilung. Das kühle Ambiente wurde von Stylisten zur behaglichen Familienidylle umgebaut. Riesenaufregung, das Ganze. Werbeshooting für den Winterkatalog von DM. Alle warten. Auch ich. Bis es mir schlagartig wieder einfällt: Hallo, die Omi, das bin ja ich.

Seit drei Jahren werde ich als sogenanntes "Real Model" von einer Agentur vertreten. Man backt seine Romane ja nicht so schnell wie frische Semmeln. Die Miete will trotzdem bezahlt werden. So kommt es, dass mein Bild bei Body & Soul zwischen all den anderen Sedcards von einer Bürowand lacht. Überbegriff: Frau in den besten Jahren, Type mit Ecken und Kanten. Solche braucht es, wenn man Geldanlagen, Kreuzfahrten oder festliche Wurstplatten an den Kunden bringen will. Drei Jahre lang schickte man mich ins Rennen. Drei Jahre lang war ich in den Augen der zuständigen Werber trotzdem nie The One. Vielleicht war mein Vorderzahn beim Lachen zu schief, waren meine Hände selbst für Echtmensch-Material zu eckig und kantig, wer weiß. Heute also endlich mein erster Auftritt.

Der Fotograf entschuldigt sich: "Sorry, nach sechs Tagen mit wechselnden Darstellern merke ich mir keine Namen mehr. Deshalb bist du heute für mich, nochmals Riesensorry, einfach die Omi." Alle lachen. Ich auch. Wenn das mal kein Beweis dafür ist, dass man, holterdiepolter, bei sich selbst angekommen ist! Alter – ist das nicht, Worst-Case-Szenario, etwas, vor dem man sich seit dem Kindergarten zu Tode fürchtet?

Wochenlange Totaldepression

Früher reagierte ich auf ähnliche Ritterschläge weit weniger souverän: Kurz vor meinem Vierziger etwa, da schlug mich ein Freund als Testperson für einen neuen Soja-Drink vor. Der Kreativdirektor sah zuerst mich an, dann ihn. Schließlich fragte er meinen Freund mit schmerzverzerrtem Gesicht: "Aber ist sie überhaupt noch unsere Zielgruppe?" Eine Bemerkung, die mich in eine wochenlange Totaldepression stürzte. Aber die Karmapolizei schläft ja bekanntlich nicht: Der Direktor von damals macht inzwischen nur mehr die Buchhaltung für seine Frau. Ich hingegen lache noch immer ganz fröhlich aus der Wäsche.

Okay, für das Fotoshooting heute ausnahmsweise mit Perlenohrringen, Haarspray-fixierter Spießerfrisur und einer Schminke im Gesicht, die mich aussehen lässt wie ein sprechender Mozzarella.

Erstes Motiv. Kuchenbacken mit meinem behaupteten Sohn und dem dazugehörigen Enkel. Jemand bindet mir eine Jeansschürze um. Lächeln in die Kamera. Als Real Model gebe ich mein Bestes, dabei backe ich im Real Life nie.

Das Einzige, was mir zu schaffen macht, ist dieser demütigende Moment vorhin in der Maske: Wir sitzen vor dem großen Spiegel. Ich mit einer unförmigen steingrauen Strickjacke, zum Staubfänger zurechtgemacht. Daneben "Sohn", ein Mitte-Zwanzig-jähriger Innsbrucker, wilde, schwarze Locken, eine Optik wie ein verwegener türkischer Prinz.

Wie sich herausstellt, wurde er bereits für Tom Ford in New York abgelichtet. Unter normalen Umständen würde ich jetzt mit ihm flirten – aber in diesem Look? Inzwischen hat der schwule Visagist meine Lippen so siegessicher abgepudert, dass nur mehr ein fahler Strichmund übrigbleibt. Dafür hätte man lieber keine Zeugen.

Augen zu und durch. Einen Tag lang die unscheinbare Maus geben. Ich kann damit leben. Weil es im echten Leben immer noch läuft – was übrigens niemanden mehr überrascht als mich selbst: Hatte ich als Teenager nicht beschlossen, dass mit 36 Schluss sein müsse, weil alles, was danach kommen würde, nur mehr todlangweilig und peinlich ist? Alt oder, bleiben wir gnädig, langsam ein bisschen älter – bedeutete das nicht bis vor einigen Jahren beige Funktionskleidung und chronisches Verblassen bis hin zur vollkommenen Unsichtbarkeit? Die steigende Anzahl gefeierter oder totgeschwiegener Geburtstagen war doch vor allem für uns Frauen eine einzige Katastrophe. "Happy Birthday!", das Damoklesschwert über dem mit immer trockeneren Haaren ausgestatteten Haupt.

Seit Jahrzehnten denkt man heimlich darüber nach: Wer wird einen noch in den Arm nehmen, wenn die Haut an den Oberarmen endgültig erschlafft? Wer später noch davon träumen, mit einem durch Sizilien zu fahren oder nach Paris? Irgendwie glaubte ich meiner Mutter nie, wenn sie meiner Schwester und mir predigte: "Merkt euch eines: Das mit der Liebe und dem Abenteuer, das hört nie auf."

Zu oft und zu ausführlich wurde das Gegenteil beklagt. Hatte nicht Simone de Beauvoir dem Skandal des Alterns ein ganzes Buch gewidmet? In La Vieillesse, so der Originaltitel von Das Alter, Anfang der 1970er-Jahre umfassend den sozialen Tod beklagt? Die Nambikwara, ein indigenes Volk im Amazonasgebiet, kennen nur ein Wort für alt und hässlich, heißt es darin. Und an anderer Stelle: "Die körperliche Ermattung, die Müdigkeit, die Gleichgültigkeit, die sich im Alter oft einstellen, halten von der Beschäftigung mit den anderen ab." Vor ihr hatte schon Albert Einstein, damals knapp 55, seine "wachsende Schwierigkeit, sich neuen Gedanken anzupassen" beklagt.

So kann man es sehen. So war es früher wohl meistens auch.

Großmütterchen-Palaver

Zweites Motiv im Fotostudio: Festessen im Kreis der "Familie" (als Omi habe ich auch noch eine Schwiegertochter, Neffen und Nichten). Es gibt lange Wartezeiten, immer wieder werden Requisiten umgebaut. Als ich der hübschen "Schwiegertochter" in einer Pause mein Alter nenne, fragt sie sofort, welche Hautcreme ich verwende.

Eine durchaus übliche Reaktion: Wer Kinder im Erwachsenenalter angibt und dabei noch nicht am Stock geht, wird von jüngeren Zeitgenossen als Naturphänomen eingestuft. Immer wieder enttäuscht man dabei die Erwartungshaltung: Nein, die teuren Cremes verträgt man nicht, deshalb schmiert man bloß Produkte aus der Apotheke. Man duscht in der Früh einfach kalt. Ab und zu turnt man ein bisschen. Alkohol ja. Zigaretten keine mehr. Mit den Drogen hat man schon viel früher aufgehört. Davor natürlich alles so richtig, bis zum Abwinken. Da könnte man aus dem Nähkästchen plaudern. Meistens haben sich die Leute an dieser Stelle bereits gelangweilt von einem abgewandt. Ein letzter Blick noch, in dem steht: Wir wollten kein Großmütterchen-Palaver hören, sondern Markennamen und medizinische Adressen!

Dabei, das ganze Blood on the Dance Floor, das gab es natürlich auch: enttäuschte Kinder, an die Wand gefahrene Beziehungen, schwierige Freundschaften, komplizierte OPs – und über all das Tränen, Tränen, Tränen. Mehrere Putzkübel voll. Ein paar Runden später der Beweis: Zu Tode gefürchtet, gekränkt, geschimpft und geklagt ist auch gestorben. Durchatmen. Alles easy. Irgendwann hat man es sich in seinem Leben dann doch ganz gut eingerichtet. Peter Turrini sagt: "Man hat ja zu sich selbst keine Alternative." Also am besten aussöhnen mit dem ganzen Durcheinander. Und währenddessen die Angst vor dem eigenen Verfall verlieren, damit man darüber nicht erstarrt.

It's all over now, Baby Blue? Von wegen. Man legt die Version von Falco trotzdem auf und dreht die Lautstärke ganz rauf. Schon zweimal stand deshalb in den letzten Wochen die Polizei vor der Tür, gerufen von meinem neuen Nachbarn (23!). Das macht ein bisschen stolz. Auch das bringen die Jahre.

Bei all der inneren Jugend: Wenn es kalt wird, muss man Wollmützen tragen. Danach hat man eine richtig schlechte Frisur, aber das macht man mit rotem Lippenstift wieder wett – der übrigens Frauen ab einem gewissen Alter wesentlich besser steht als Teenagern.

Ja, man hat fast Hemmungen, es so zu nennen, wo doch so vieles heute schlechter ist: Finanzlage, Arbeitslosigkeit, Flüchtlingsströme, Politik. Etwas Grundlegendes hat sich trotzdem zum Besseren entwickelt. Früher aufwendig vertuscht in einer Welt voll Photoshop, Schönheitschirurgie und Glücksposen auf Instagram, scheint Lebenserfahrung plötzlich kein Hindernis mehr zu sein: Schauspieler Anthony Hopkins (79) modelt in Coolness-Pose für Brioni, Schriftstellerin Joan Didion (83) mit Superstar-Sonnenbrille für Marc Jacobs. Chris Kraus (62), Autorin der Vorlage zur Erfolgsserie I love Dick, posiert für Interviews in Satin-Pantoffeln und mit Federn besetztem Glamour-Pyjama – ein Look, den sich Doris Day maximal bis Ende 30 zugetraut hätte.

Steilvorlagen für Frauen

Ursprünglich begann das Projekt "ältere Damen und Herren, die sich selbst und das Leben lieben" ja bloß als gelungener Marketing-Gag. Dann kam Ari Seth Cohen, New Yorker Straßenfotograf, und machte mit seinem Blog Advanced Style modisch gekleidete Grannies wie Iris Apfel und Linda Rodin zu Stars. Steilvorlagen, von denen heute alle profitieren – vor allem wir Frauen.

Gerade läuft der Film Meine schöne innere Sonne mit der wunderbaren Juliette Binoche in der Hauptrolle, in den ersten Wochen allein in Wien in sieben Kinosälen parallel. Eine Geschichte, getragen von einer demnächst 54-jährigen Schauspielerin, die deutlich nicht operiert ist, mit Fältchen über der Oberlippe, untrainierten Schenkeln und Oberarmen (huch!) – wann hatte es früher je ein massentaugliches Projekt unter ähnlichen Voraussetzungen gegeben? Bescheuert, wem das nicht Mut macht.

Zum Vergleich: Helene Fischer (33), die in Sachen Diät und Work-out bestimmt alles richtig macht, sieht auf ihren aktuellen Konzertplakaten aus wie eine zu stark gebräunte, innerlich ausgebrannte Melania Trump.

Noch so ein Zeichen, dass 40 das neue 25 ist: Im Sommer kommt Ocean's Eight in die Kinos, ein Sequel der Ocean's-Trilogie. Im ersten Teil der Serie punkteten die Filmstudios mit der damals 37-jährigen Julia Roberts in der einzigen weiblichen Hauptrolle. Siebzehn Jahre später werden an vorderster Front Sandra Bullock (53), Cate Blanchett (48), Helena Bonham Carter (51) und Anne Hathaway (35) zu sehen sein.

Und wie machen das eigentlich Michelle Pfeiffer, Iris Berben und all die anderen? Die Frage aller Fragen, eine starke Motivation zum Kauf von bunten Blättern und dem Blick in die tägliche Society-Berichterstattung im TV.

Hollands Königin Máxima (46): ein einziges Glücksversprechen – Figur mit Jo-Jo-Tendenz, strahlende Augen, fröhliche Falten. Cindy Crawford (51): erstarrte Gesichtszüge, humorlos, weil über die Jugend ihrer Model-Tochter Kaja jammernd ("Ich will meine Beine zurück!") – da helfen auch die Milliarden aus dem Tequila-Deal von Ehemann Rande Gerber nichts. Cate Blanchett: unerreicht – stilvoll, elegant, trotz tausend kleiner, entzückender Fältchen bei schlechtem Licht. Und hey, die Frau aus Australien hat Humor (siehe TV-Auftritte auf Youtube). Nena (57): kurz vor einem Weltwunder – fast schon unheimlich. Aber der beste Beweis, wie wichtig eine coole Frisur ist. Robert De Niro (74): geht immer, egal wie. Der beste Beweis, wie praktisch gutes Aussehen ist.

So viele Role-Models

Die Kunst des stilvollen Alterns. Noch nie gab es so viele Role-Models: "Wenn ich jemandem gegenübertrete, erwarte ich, dass ich ihn durch meinen Auftritt beeindrucke. So denke ich", erklärte Vivienne Westwood (76) vor drei Jahren in einem Interview mit dem Zeit-Magazin. Mit 68 ließ sie sich nackt und teilweise mit gespreizten Beinen von Jürgen Teller fotografieren. Die Aufnahmen sind in Kunstkreisen Kult und derzeit noch bis 4. März in der Ausstellung Die Kraft des Alters im Wiener Belvedere zu sehen.

Lisl Steiner (90), international renommierte und immer noch aktive Fotografin mit österreichischen Wurzeln, schlug sie in einem Interview mit der ORF-Sendung Kulturmontag alle: hellwach im Kopf, mit Ketten behangen und grün schillerndem Lidschatten jagte sie einem Respekt und Bewunderung ein. Man staunt und lernt: Alter schützt vor Schönheit nicht. Warum sollte man aufhören, sich zu schminken?

So sehe ich das während des Fotoshootings auch. Assistenten stellen das Licht neu ein. Ich verschwinde kurz auf die Toilette, um mir heimlich etwas Wimperntusche aufzutragen. Ganz so farblos will ich meinem feschen "Sohn" dann doch nicht gegenüberstehen.

Niemand will so alt aussehen, wie er ist. Noch gilt das Erraten des Geburtsdatums als größte Niederlage, weshalb man bei anderen vorsichtshalber immer ein paar Jährchen runterschraubt. Aber natürlich müssen wir aufhören, das Alter immer nur optisch abzuhandeln. Wie wäre es mit einer innerlichen Bestandsaufnahme? Mit Freudensprüngen über die gute Nachricht, dass man reift? Schönheit, das kommt ja vor allem von Ausstrahlung. Alle Falten wegpolieren und jeden Tag früh schlafen gehen ergibt noch keine Qualität. Gelebtes Leben macht uns reich.

Was hilft? In Bewegung bleiben, körperlich und mental. Raus aus der Sicherheitszone. Niemand ist verpflichtet, ewig in denselben Verhältnissen zu verharren. Man kann auch mit fortschreitenden Jahren Wohnorte wechseln, Partner, Vertrauenspersonen oder den Job. Neue Freunde helfen. Man ist dankbar für die Treue der alten. Aber es tut gut, wenn neue dazukommen. Erstere sehen in einem die ewig hypochondrische Gefühlsdramatikerin, Letztere eine erfrischende Frohnatur mit Humor – mit wem sollte man wohl Silvester verbringen?

Neue Lokale helfen. Neue Spazierwege. Ein neues Buch.

Auch viele meiner Weggefährtinnen haben sich mittlerweile entspannt. Einige von ihnen daten interessante, inspirierende Männer, die nicht halb so alt sind wie sie selbst. Andere treffen sich mit interessanten, inspirierenden 70-Jährigen. Manche machen beides. Diese Bandbreite und plötzliche Freiheit wirkt ansteckend. Hätte man "the bigger picture" nicht auch schon früher sehen können? Wahrscheinlich nicht.

Am Ende des Shootings schreibt mir der verwegene Prinz aus Innsbruck alle seine Telefonnummern auf. Falls ich mal zu ihm zum Skifahren kommen möchte. Wenn es unsere Terminplanung erlaubt, könnten wir vielleicht gute Freunde werden. Oder was auch immer. Go with the flow. Oder wie Gérard Depardieu als Wahrsager im Film Meine schöne innere Sonne rät: "Restez open." Ja, so machen wir's.

Alter ist bloß eine Zahl. Wir bleiben offen. (Ela Angerer, Album, 6.1.2018)