Orientalismus des 19. Jahrhunderts: José Cruz Herreras "Au Harem".

Foto: Artcurial

Jacques Majorelles "Dattelhändler".

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"L'homme qui mange de la peinture" (2005) von Chéri Samba.

Foto: Artcurial

Prächtige Farben, filigrane Muster, endlose Märkte und tausend Gerüche. Marrakesch, die "rote Stadt" im Südwesten Marokkos, gilt Schriftstellern, Musikern und Malern der westlichen Welt seit über 200 Jahren als idealtypische Vorstellung des Tors zum Orient. Worin die einen Kitsch, Klischee und koloniale Projektionen orten, sehen andere noch heute wahrhaftige Schönheit und die Lust am Geheimnisvollen, am Fremden.

Die Orientfaszination, die im 19. Jahrhundert insbesondere Künstler der Kolonialmacht Frankreich erfasste, aber auch bis nach Österreich ausstrahlte, hat Marokkos Platz auf der Landkarte der europäischen Kunstgeschichte nachhaltig gefestigt. Auch nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahr 1956 büßte das Land seinen Status als Anziehungspunkt für Kreative nicht ein. Zu den Malern und Schwärmern stießen nun Rockstars wie die Rolling Stones oder Modeschöpfer wie Yves Saint Laurent hinzu.

Dreh- und Angelpunkt für Kunst

Letzterer machte Marrakesch von 1966 bis zu seinem Tod im Jahr 2008 zur zweiten Heimat, seine Asche wurde im von ihm gegründeten öffentlichen Garten Jardin Majorelle verstreut. Direkt angrenzend öffnete kürzlich ein Yves-Saint-Laurent-Museum seine Pforten. Gewidmet ist es nicht nur dem Leben, den Skizzen und Haute-Couture-Modellen des Designers, sondern der gesamten Kunst mit Bezug zu Marokko.

Das Museum ist auch nur ein Mosaiksteinchen im Bestreben des verhältnismäßig liberal gesinnten Königshauses, das Land zum Dreh- und Angelpunkt des (nord)afrikanischen Kunstgeschehens zu machen. Die Kulturpolitik ist einfach, sie heißt Zulassen. Marrakesch verfügt über eine wachsende Galerienszene, seit einigen Jahren richtet man eine Messe für zeitgenössische afrikanische Kunst aus, die Sammler kommen nicht mehr nur aus der reichen europäischen Oberschicht mit Ferienhaus, sondern zunehmend aus dem Land selbst.

Ein Beispiel ist die Familie Lazraq, die ihr Vermögen mit Hotelbauten machte und am Rande der Stadt nun ein sehenswertes Museum für zeitgenössische afrikanische Kunst (Macaal) eröffnete. Wenngleich der moderne Kunstbetrieb in Marokko noch ein Elitenprogramm darstellt, tendieren die Eintrittspreise im Macaal gegen null. Der Wille ist da, auch sozial Schwächergestellte zu erreichen.

Das französische Auktionshaus Artcurial setzt freilich noch primär auf die betuchte Zunft. Seit ein paar Jahren nützt man die engen wirtschaftlichen wie kulturellen Beziehungen Frankreichs zu Marokko, um als erstes international tätiges Auktionshaus den sanft wachsenden afrikanischen Kunstmarkt zu erschließen.

2002 nach dem gefallenen Staatsmonopol als Privatunternehmen gegründet, steht das Haus heute größenmäßig zwischen den Big Playern Christie's und Sotheby's und kleineren Spezialisten. Rasch eröffnete Artcurial weitere Dependancen in Berlin, Brüssel, Monaco, Peking, Mailand und auch Wien, wo man sich u. a. als beliebte Anlaufstelle für Automobilsammler etablieren konnte. Caroline Messensee, Leiterin des Wiener Büros, will das Haus aber breiter positioniert sehen: Von Alfons Walde bis zur Street-Art habe man für jede Kunst, nicht nur französische, ein passendes Angebot.

Auktion per Videokonferenz

Bei der nun schon dritten Auktion in Marrakesch, die Artcurial am 30. Dezember durchgeführt hat, kombinierte das Haus orientalistische Kunst des 19. Jahrhunderts mit zeitgenössischen Werken afrikanischer Künstler. Arbeiten des in Marrakesch allgegenwärtigen französischen Malers Jacques Majorelle (1886-1962) trafen auf Orientalismuskollegen wie den österreichischen Wahlfranzosen Rudolf Ernst (1854-1932). Bei den Zeitgenossen konzentrierte man sich auf Künstler, die bereits international angeschrieben sind, wie Chéri Samba aus dem Kongo.

Die Versteigerung im Edelhotel Es Saadi lief erfolgreich, aber doch ungewöhnlich. Denn der Hammer fiel nicht in Marrakesch, wo die Bilder hingen und die Bietertelefone heiß liefen, sondern via Livevideoschaltung in Paris. Das spart Bürokratie und Abgaben. Man wolle zwar künftig gerne auch in Marokko selbst zuschlagen, heißt es seitens Artcurial, doch noch sei das Land dafür zu stark reguliert.

Die Kunden kämen zu je einem Drittel aus Marokko, Europa und den USA. Von den 73 Werken mit Rufpreisen zwischen 4000 und 350.000 Euro erfüllten auch die meisten die Erwartungen: 393.000 Euro erzielte der teuerste Majorelle (Marchands de dattes dans le souk), 58.500 Euro wurden für Costumes des Zeitgenossen Frédéric Bruly Bouabré gezahlt. Den höchsten Zuschlag erhielt, wie erwartet, das Ölbild Au Harem von José Cruz Herrera. Es wechselte für 467.000 Euro den Besitzer. (Stefan Weiss aus Marrakesch, Album, 6.1.2018)