Von Ehen, ihren täglichen Dramen und geträumten Morden: Ingmar Bergmans Film "Durst" ("Törst") aus dem Jahr 1949.

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Prägte den europäischen Film: Regisseur Ingmar Bergman.

Foto: Bengt Wanselius

Wien – Eine der neuesten Würdigungen von Ingmar Bergman stammt vom deutschen Filmemacher und Schriftsteller Oskar Roehler. In seinem Roman Selbstverfickung sehnt sich der "Held", ein heruntergekommener Filmemacher, nach einer anderen Ära des Kinos: "Wo war der kalte, analytische Zynismus Bergmans, seine gestochen scharfe, traumgleiche, psychologische Intelligenz, seine von Hass und Verachtung geprägte, quälende Erotik?"

Von den geläufigen Stichworten, die man mit dem schwedischen Klassiker verbindet, fehlt hier nur eines: Gott. Von der väterlichen Instanz und der Gewalt, die von ihr ausgeht, ist bei Bergman alles imprägniert, sodass man es eigentlich gut finden könnte, dass sich das europäische Kino inzwischen offensichtlich längst von ihm emanzipiert hat, denn Bergman wurde ja selbst irgendwann ein Übervater des Kinos.

Doch wie so oft steckt in dieser Emanzipation auch potenziell ein Verlust. Das könnte man zumindest als Hypothese mitnehmen, wenn das Filmmuseum wieder einmal Ingmar Bergman zeigt: den Psychologen, den Erotiker, den Gottflucher, den Käfighalter.

Plötzliche Lust

In Sehnsucht der Frauen (1952) gibt es eine berühmte Episode, in der ein Ehepaar in einem Aufzug steckenbleibt und diesen Aufenthalt damit zubringt, eine Boulevardtheatersituation durchzuspielen, mit "erpressten" Geständnissen und plötzlicher Lust. Es ist eine frühe von vielen Szenen einer Ehe in diesem Werk, und sie zeigt schön, was bei Bergman auf dem Spiel steht: die Aufrechterhaltung einer bürgerlichen Ordnung, die doch schon radikal untergraben ist.

Trailer zu "Sehnsucht der Frauen"/"Kvinnors väntan".
filmkunstgrafik

Am Ende siegt jeweils die Form über das Verlangen, und das gilt sowohl auf der filmischen Ebene wie auf der erzählerischen. Dem gewichtigen bürgerlichen Erbe der unausweichlichen Genealogien entspricht bei Bergman eine filmhistorische Abstammungslinie: Er lässt seine Erzählungen auf Momente nicht so sehr des stummen Films als vielmehr eines Tonfilms ohne Dialoge zurückfallen,

Er evoziert damit einen sensorischen, wortlosen Film, der nicht von den bürgerlichen, dramatischen Erzählformen in Dienst genommen wurde. Und er gestaltet mit seinem bekanntesten Kameramann Sven Nykvist kontraststarke, expressionistische Schwarzweißbilder, die Woody Allen faszinierten und die Roehler für "gestochen scharf" halten kann.

In der Figur des Doktor Vogler aus Das Gesicht (1958) fallen die beiden Momente der Verzauberung und der Entmythologisierung zusammen – nicht von ungefähr sehen viele Interpreten hier ein Selbstporträt Bergmans. Vogler ist eine unheimliche Gestalt mit angeklebtem schwarzem Bart, und er spricht nicht. Für eine Weile, solange sein Magnetisches Gesundheitstheater Mitte des 19. Jahrhunderts in einer Pferdekutsche durch den Wald unterwegs ist, scheint sich die ganze Natur an diesem möglicherweise schwarzen Magier auszurichten.

Der Wachtraum

Trailer zu "Durst"/"Törst".
wellgard

Der Traum ist für alle diese Filme die konkurrierende Form, der Wachtraum als Rückblende schon in Durst (1949): Auch hier Szenen einer Ehe, die sich aus dem Bewusstsein der dafür aufgegebenen Alternativen wiederfindet, am deutlichsten in Die Zeit mit Monika (1953), in dem das Träumen ausdrücklich an die Stelle des Kinos tritt. Zwei junge Leute, Harry und die unstete Monika, beschließen, abzuhauen, gehen aber vorher in einen Film. Sie verbringen schließlich ein paar Wochen auf den Schären vor Stockholm.

Ausschnitt aus "Die Zeit mit Monika"/"Sommaren med Monika".
MrHopeTelevision

Bergman erzählt diese Begebenheit als Zivilisationsmythos, der die jungen Leute hinaus in die Freiheit führt und dann doch wieder zurück in das Reich der Väter.

In der großen Zeit von Bergman, von Anfang der 1950er bis Mitte der 1970er, war Schweden ein neutrales Land zwischen zwei Blöcken. In der Regel spielen die Bergman-Filme in einer ungefähren Epoche (die stark im 19. Jahrhundert begründet ist), und da es sehr häufig insulare Situationen sind, lassen sie sich noch besser als universale Geschehnisse verstehen, die vor modellhafter Natur das Grundsätzliche der Probleme besser hervortreten lassen.

Dass dieses Universelle mit einer bestimmten bürgerlichen Familienkonstellation (im Wesentlichen die des Ödipus in Freuds Deutung) einhergeht, war ein Anachronismus in einer Welt, die um 1968 gerade zu entdecken begann, dass es neben den familiären auch soziale Bewegungen gibt, in denen das Individuum neue Freiheitsräume entdeckt. Heute hat dieser Optimismus an Kraft verloren. Bei Bergman überlebt das Bürgertum auf einer Insel, und es ist vielleicht diese Suggestion einer "natürlichen" Vergesellschaftung, die ihn zu einem Klassiker hat werden lassen, von dem manche meinen, sie könnten sich darin heute wieder wie in einem Spiegel betrachten. (Bert Rebhandl, 5.1.2018)