Ex-UN-Generalsekretär Ban Ki-moon und Altbundespräsident Heinz Fischer sind wegen des erstarkten Nationalismus besorgt. Auch daher haben sie am Mittwoch das Ban Ki-moon Centre for Global Citizens eröffnet.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Ihr Zentrum trägt "Global Citizen" im Namen. Dafür gibt es viele Definitionen. Wie ist Ihre?

Ban: Wir leben in einer eng vernetzten Welt. Es gibt kein Land, das nicht davon betroffen wäre, was in benachbarten oder entfernten Staaten passiert. Wir sind Teil einer globalen Familie. Als UN-Generalsekretär habe ich viele Konflikte gesehen, die davon ausgelöst wurden, dass es kein Bewusstsein dafür gibt. Vielen Führungsfiguren sind nationale Interessen am wichtigsten, Nationalismus und Isolationismus sind Grund und Konsequenz. Daher müssen wir die globale Bürgerschaft durchsetzen.

STANDARD: In vielen Ländern wachsen nationalistische Gefühle. Muss man den Weltbürger schützen?

Ban: Das ist genau der Grund für den Aufbau dieses Zentrums. Europäische Länder haben wichtige Initiativen gestartet. Aber auch dort bauen viele nun eher Mauern als Brücken. Aber die globalen Herausforderungen bleiben. Dem Klimawandel, Seuchen und Extremismus ist es egal, wo Sie leben! Das macht mir große Sorgen. Es hat in den USA begonnen und betrifft auch viele europäische Staaten.

STANDARD: Warum ist das so?

Fischer: Nationalismus wächst, wenn die offene, pluralistische Gesellschaft unter Druck ist. Das kann wirtschaftliche Gründe haben, wie in der Krise 2008 bis 2016. Es kann aber auch politischer Druck sein und Angst vor Terror. Wenn sich Menschen sicher fühlen, wenn sie entspannt sind, öffnet sich die Gesellschaft. Wenn es Druck gibt, sagen sie, wir müssen in unseren Grenzen bleiben und die Grenzen schließen.

STANDARD: Auch an Österreich hat es jüngst Kritik gegeben wegen der Regierungsbeteiligung der FPÖ. Hat das Folgen für Ihr Zentrum?

Fischer: Ich würde sagen, dass die Entscheidung für Wien als Standort mit der internationalen Rolle Wiens und den Möglichkeiten hier zu tun hat. Sie hat nichts mit der Zusammensetzung der vorherigen Regierung zu tun und nichts mit der der neuen.

STANDARD: Sie kritisieren die Entscheidung von US-Präsident Donald Trump, den Pariser Klimavertrag zu verlassen. Erschwert das auch Ihre Arbeit für die Entwicklungsziele?

Ban: Die USA hatten in vergangenen Jahrzehnten eine Führungsrolle, auch bei der UN-Gründung. Präsident Trump sollte realisieren, dass kein Land allein lebt. "America first": Für die USA ist es am wichtigsten, dass Amerikaner in Frieden und Wohlstand leben. Aber so ist das egoistisch, sehr egoistisch.

STANDARD: Was könnte Ihr Zentrum tun, um Solidarität zu schaffen?

Fischer: Das ist, wie der Soziologe Max Weber sagt, das Bohren eines sehr harten Brettes. Wir wollen nicht dasitzen und sagen: "Wir hatten Verantwortung, und jetzt sind wir in Pension." Wir müssen unsere Erfahrungen, wie Politik funktioniert, nutzen. Es kann sein, dass es ein kleiner Beitrag wird, aber es ist sicher besser als nichts.

STANDARD: Hat Politik den Willen oder vielleicht die Fähigkeit verloren, längere Zeiträume zu planen?

Ban: Kurzfristige Gewinne mögen für Politiker positiv sein, so bekommt man Stimmen. Aber sie müssen an die Konsequenzen denken. Friede kann nie dauerhaft sein, wenn er nicht alle einbezieht. Wachstum kann nicht anhalten, wenn nicht alle Gruppen profitieren. Das scheint mir im Denken vieler Politiker fast völlig zu fehlen. Es gibt nicht viele, die ein Weltbürgertum einbringen. Das mag abstrakt klingen, aber es ist wichtig. Und wir müssen versuchen, das zu ändern.

STANDARD: Sie planen Interventionsgruppen für Mediation. Denken Sie dabei an bestimmte Regionen?

Ban: Spezifische Regionen gibt es nicht. Wenn sich die Möglichkeit ergibt, dann werden wir helfen. Möchtest du dazu etwas sagen?

Fischer: So etwas funktioniert nur, wenn es diskret stattfindet.

STANDARD: Ihr nächstes Treffen findet am Rand der Winterspiele in Pyeongchang statt. Was erwarten Sie sich von den Spielen?

Ban: Als UN-Generalsekretär habe ich eng mit IOC-Chef Thomas Bach zusammengearbeitet, um Sport als Mittel für Frieden zu nutzen. Die Situation auf der Koreanischen Halbinsel ist eine Quelle der Sorge. Wir haben es mit einem Schurkenstaat zu tun, der Atomwaffen hat und testet. Wir müssen die Chance zwischen Süden und Norden nutzen, so klein sie auch sein mag, um die Spannung zu senken.

Fischer: Die Politik darf den Sport nicht beeinflussen, aber der Sport kann der Politik helfen. Die Olympischen Winterspiele 2018 finden in einer Region mit großer Spannung statt. Da kann der Sport schon eine positive Rolle spielen.

STANDARD: Ist es Ihr Eindruck, dass sich alle Verantwortlichen – auch zum Beispiel in den USA – der Folgen bewusst sind, die ein Krieg auf der Halbinsel hätte?

Ban: Man muss alles tun, um einen militärischen Konflikt zu vermeiden. Wir haben die schrecklichen Folgen dieses Bruderkrieges schon in den 1950er-Jahren gesehen. Dass wir es bei Nordkorea nun mit dem schlimmsten Normenbrecher der Welt zu tun haben – das macht die Sache sehr ernst. Im fast halben Jahrhundert, das ich international und in Korea im Dienst der Diplomatie war, habe ich nie solche Spannungen auf der Koreanischen Halbinsel gesehen. Es ist absolut nötig, dass alle einen kühlen Kopf bewahren. (4.1.2018)