Ob die ziemlich umfangreiche Datensammelei in Windows 10, oder auch ein allgemeines Unbehagen gegenüber proprietärer Software, bei der niemand so recht weiß – oder genau genommen: wissen kann; was sie eigentlich genau tut: Gründe, sich nach einer Alternative zu Windows umzusehen, gibt es viele. Da ergibt es sich hervorragend, dass eine solche schon seit längerem zur Verfügung steht, und derzeit für eine breite Masse so verlockend ist wie nie zuvor: Linux.

Anderes Nutzungsverhalten

Vor allem allgemeine Trends spielen dem freien Betriebssystem dabei in die Hände: Waren früher lokale Anwendungen der Dreh- und Angelpunkt der täglichen Computernutzung, nimmt heutzutage der Browser eine dominante Rolle im Alltag vieler User ein. Welches Betriebssystem darunter läuft wird damit zunehmend unwichtiger, zumal große Hersteller wie Google oder Mozilla ihre Browser parallel für Windows, macOS und Linux entwickeln – hier also keine relevanten Unterschiede zwischen den einzelnen Varianten vorhanden sind.

Fun Fact: Nirgendwo kommen Katzenfotos besser zur Geltung als unter Linux.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Dazu kommt, dass Linux selbst in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht hat: Hatten in früheren Zeiten viele Interessierte angesichts mangelhafter Hardwareunterstützung rasch wieder aufgegeben, ist das heutzutage kaum mehr ein Thema. Neue Laptops funktionieren mittlerweile von Haus aus meist umgehend mit Linux zusammen, was nicht zuletzt auch daran liegt, dass Firmen wie Intel den entsprechenden Hardware-Support schon im Vorfeld ins freie Betriebssystem integrieren.

Desktop-Wahl

Auch die Linux-Desktops haben über die Jahre gehörige Fortschritte, ob GNOME, Plasma (KDE) oder Leichtgewichte wie Xfce – den Usern steht ein breites Portfolio an ausgereiften Lösungen zur Verfügung. Und dabei muss man auch nicht auf die gewohnten Services verzichten, so bietet etwa GNOME eine direkte Anbindung an die diversen Google-Dienste, damit Kalender, Drive und Co. mit dem Desktop verschränkt werden. Selbst Exchange-Support ist längst kein großes Thema mehr. Wer will kann aber natürlich auch in diesem Bereich gleich auf freie Alternativen wie Nextcloud oder Owncloud setzen – die sich ebenfalls bestens mit dem Desktop integrieren.

Und auch ein sich hartnäckig haltendes Gerücht stimmt schon lange nicht mehr: Nämlich, dass man unter Linux nicht ohne die Nutzung der Kommandozeile auskommt. Das mag früher einmal so gewesen zu sein, heutzutage ist dieser Weg der Systemsteuerung aber rein optional – und so ein sehr netter – weil mächtiger – Bonus für fortgeschrittene User.

Distributionsmodell

Im Gegensatz zu Windows oder macOS gibt es unter Linux nicht die eine, alles bestimmende, Version des Betriebssystems. Stattdessen gibt es eine breite Fülle an unterschiedlichen Softwarezusammenstellungen, Distributionen genannt, die Interessierten zur Wahl stehen. Das bedeutet aber natürlich auch, dass sich Neulinge nicht nur für eine davon entscheiden sondern diese anschließend auch noch selbst installieren müssen. Das mag zunächst abschreckend klingen, mittlerweile ist diese Hürde aber auch für technisch weniger versierte Nutzer recht einfach zu nehmen.

Die Installation von aktuellen Distributionen wie Ubuntu ist in wenigen Minuten erledigt.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Eine Linux-Distribution wird üblicherweise als Systemabbild zum Download geboten, das anschließend auf einen USB-Stick oder eine DVD gespielt werden kann. Einmal davon gebootet beginnt die eigentliche Installation, die üblicherweise mit wenigen Handgriffen erledigt ist. Wer will kann dabei Linux auch problemlos parallel zu einem Windows-System installieren. Und wer einfach nur mal in die Thematik hineinschnuppern will, den wird erfreuen, dass diese Images meist als sogenanntes "Live-System" ausgelegt sind: Das Betriebssystem kann also direkt vom USB-Stick oder der DVD ausprobiert werden, ohne dass das bisherige System am Rechner angerührt wird.

Erfreulich ist aber noch ein weiterer Trend: MIttlerweile bieten einige Hardwarehersteller Laptops mit Linux statt mit Windows zum Kauf an, hier ist das freie Betriebssystem also bereits vorinstalliert. So macht es etwa Dell bei seinem XPS13, das in der Variante mit Ubuntu Linux noch dazu billiger ist als die Windows-Ausführung. Auch Lenovo hat einige Laptops mit vorinstalliertem Linux im Angebot.

Breite Softwareauswahl

Solche Distributionen kommen üblicherweise bereits mit jeder Menge vorinstallierter Software: Vom Browser über den Mail-Client bis zur kompletten Office-Lösung reicht hier die Palette. Darüberhinaus gibt es aber ein breites Angebot an freier Software, die praktisch jeden Bedarf abdecken. Die Installationen zusätzlicher Programme erfolgt dabei unter LInux über zentrale Softwarequellen für die jeweilige Distribution – konzeptionell eine Art Vorläufer jener App Stores, die heutzutage die mobile Welt beherrschen.

Anwendungen werden üblicherweise über die Softwarezentrale installiert.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Die Vielfalt an Distributionen hat aber für Linux-Neulinge auch eine nicht leugbar Kehrseite: Müssen sie sich doch zunächst für eine davon entscheiden, und ohne Grundwissen kann diese Wahl schon einmal schwierig sein. Freilich lässt sich diese Auswahl auch schnell einschränken, sind doch eine bedeutender Teil aller Linux-Distributionen für Spezialaufgaben gedacht – oder schlicht nicht für Neueinsteiger gedacht.

Linux für Einsteiger

Seit Jahren findet sich Ubuntu in so ziemlich jeder Empfehlungsliste für Linux-Neulinge. Und dies durchaus zurecht, hat sich die von Softwarehersteller Canonical entwickelte Distribution doch ganz der einfachen Nutzung verschrieben. Zu den Stärken von Ubuntu gehört nicht zuletzt die große Popularität, die dazu führt, dass es bei Problemen recht einfach ist, online passende Lösungen zu finden. Zudem gibt es eine sogenannte Long-Term-Support (LTS)-Ausgabe von Ubuntu, bei der große Betriebssystem-Updates nur alle zwei Jahre statt wie bei der regulären Ausgabe alle sechs Monate erfolgen. Dies ist insofern eine gute Wahl für jene, die die laufenden Änderungen und den Wartungsaufwand am System auf einem Minimum halten wollen.

Das aktuelle Ubuntu 17.10.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Lange galt Fedora als reines Experimentierfeld für die Enterprise-Produkte des größten aller Linux-Unternehmen – Red Hat. Dies hat der Distribution den Ruf als "Bleeding Edge"-Software eingebracht, bei der Aktualität vor Stabilität gestellt wird. Dies allerdings durchaus zu unrecht: Über die Jahre hat sich Fedora auch zu einer für Einsteiger tauglichen Wahl gemausert. Vorteile bleiben hier die aktuelle Softwareausstattung sowie der Umstand, dass hinter Fedora einige jener Entwickler stehen, die für die wichtigsten Neuerungen rund um den Linux-Desktop in den letzten Jahren verantwortlich waren, und ihr Know-How einbringen.

Fedora 27.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Alternativen

Sowohl Ubuntu als auch Fedora werden aktuell mit dem GNOME-Desktop ausgeliefert, der aktuell damit die meistgenutzte Desktop-Lösung unter LInux darstellt. Wer lieber etwas anderes ausprobieren will, kann zu openSUSE greifen, wo Plasma (KDE) die Default-Wahl darstellt. Die Distribution sticht dabei nicht zuletzt mit dem Konzept einer sehr stabilen Softwarebasis – genau genommen derselben, die auch für die Enterprise-Produkte von SUSE zum Einsatz kommt – auf der dann neue Anwendungen ausgeliefert werden, hervor.

Eigene Wege beschreitet Linux Mint, das es gleich mit zwei Desktop-Varianten gibt: Cinnamon und Mate. Beide eint, dass sie eher klassische Desktop-Konzepte verfolgen, wie sie bei anderen Desktops mittlerweile nicht mehr en vogue sind. Eine vertraute Umgebung für Windows-Umsteiger verspricht wiederum Zorin OS, während Elementary OS viele Ideen aus macOS entlehnt.

Zorin OS.
Screenshot: Andreas Proschofsky / DER STANDARD

Jahr des Linux Desktops? Nein, aber...

Ist damit endgültig das zu einer Art schlechtem Witz verkommene "Jahr des Linux-Desktops" gekommen. Nein, die breite Masse wird auch 2018 bei Windows verharren, daran gibt es wenig Zweifel. Das bedeutet aber nicht, dass man sich nicht selbst mal nach Alternativen umsehen sollte, immerhin kann es einem selbst herzlich egal sein, was andere User bevorzugen, wenn man mit dem eigenen Linux-Desktop glücklich ist.

Gleichzeitig muss ehrlicherweise betont werden, dass Linux natürlich nicht für alle die richtige Wahl ist. Wer ohne gewisse Spezialsoftware unter Windows so gar nicht auskommt – oft sind dies etwa die Programme der Adobe Suite – wird unter Linux nicht all zu glücklich werden. Und auch im Spielebereich sieht es weiter vergleichsweise düster aus. Obwohl die Verfügbarkeit von Steam hier vieles besser gemacht hat, sind PC-Gamer weiter besser mit Windows bedient.

Für alle anderen gilt jedoch: Ein Blick auf Linux könnte sich für von Windows oder auch macOS genervte User durchaus lohnen – und das sind wohl viele. (Andreas Proschofsky, 7.1.2018)