Nürnberg – Der Filmemacher Edgar Reitz ("Heimat") sieht in den Streaming-Diensten, wie Netflix, Amazon oder Maxdome, eine Chance für anspruchsvolle Film- und Serienproduktionen. Bei den von den Videoportalen angebotenen Serien sei der Qualitätsanspruch im Vergleich zu dem, was früher im US-Fernsehen gelaufen sei, enorm gewachsen, sagte der 85-Jährige im Interview der Deutschen Presse-Agentur in Nürnberg.

Das Nürnberger Filmhaus widmet dem "großen Meister der Erzählkunst" (Programmtext) bis Ende März eine umfassende Werkschau, in der fast alle Filme des in München lebenden Regisseurs zu sehen sein werden. Zum Auftakt zeigte das Filmhaus am Freitag sein im Jahre 1967 entstandenes Erstlingswerk "Mahlzeiten". Reitz kündigte an, bei einzelnen Vorführungen für Gespräche mit dem Publikum zur Verfügung zu stehen.

"Heimat" Vorläufer der Seriendramaturgie

Streaming-Dienste seien "das einzige Gebiet, wo sich ein neuer Markt, ein neuer Horizont für Qualität auftut", so Reitz. Angesichts des Qualitätsanspruchs der von dort angebotenen Serien zeigte sich Reitz überzeugt, dass seine "Heimat"-Saga heute wieder eine Chance hätte, von einem der Dienste produziert zu werden. "Von ihrer Fragestellung und Zielsetzung her hätte das heute im Zusammenhang mit den neuen Seriendramaturgien, den Qualitätsserien, wieder eine Chance. Das glaube ich schon", sagte der Filmemacher.

Denn die ganze Welt suche nach Konzepten für Serien. Die Serien, die in den Streaming-Diensten laufen, seien das einzige Erfolgsmodell, das es zur Zeit gebe. Und er habe selbst mit großer Freude erlebt, dass in den USA immer wieder Leute sagten: "Die "Heimat" war sozusagen der Vorläufer für die Seriendramaturgie, die wir alle suchen zur Zeit."

Öffentlich-rechtliche bräuchten "Gesinnungswandel"

Kritisch sieht Reitz dagegen die Produktionsbedingungen für Filmemacher beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen. Im Vergleich zu den idealen Bedingungen, die er selbst als junger Filmemacher erlebt habe, habe sich die Situation in den Sendern inzwischen "grundlegend geändert". Und dem könne kein junger Filmemacher entkommen, sagte er. Dazu sei beim öffentlich-rechtlichen Fernsehen ein "Gesinnungswandel" notwendig.

Wohl gebe es unter Filmemachern einzelne Ausnahmen, "bei denen einer in die glückliche Lage kommt, unabhängig mit freien finanziellen Mitteln einen Film machen zu dürfen". Aber auch das sei oft nur in sehr bescheidenem Maße der Fall. Inzwischen lebe eine ganze Generation von Filmemachern mit "Verletzungen und Verwundungen von den ersten Tagen an. Die jungen Leute treten natürlich mit ihren Träumen und Idealen an, und schon bei ihrem ersten Film kriegen sie sozusagen einen Deckel auf den Kopf", sagte Reitz.

Er selbst denkt noch nicht ans Aufhören. Die Frage stelle sich zwar in jedem Lebensalter. Und jeder große Film sei ein "großer Kraftakt, ein kräftezehrender Prozess, der in jedem Alter eine krasse Herausforderung darstellt". Und sich dem zu stellen, sei immer auch eine Mutfrage. "Aber den Mut habe ich." Zur Zeit arbeite er an einem Drehbuch für einen neuen Spielfilm. Zu Details wollte er sich vorerst nicht äußern. Es handle sich nicht um eine Fortsetzung seiner "Heimat"-Saga, sondern um eine freie, unabhängige Geschichte. (APA. dpa, 7.1.2018)