Was ist durchschnittliche Wohnlage, und was nicht? Das wird künftig noch vermehrt im Einzelfall zu prüfen sein.

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Im Richtwertsystem dürfen Vermieter einen Lagezuschlag auf die Richtwertmiete draufschlagen, sofern nicht gewisse Umstände dagegensprechen. Ein solcher Umstand wäre das gesetzliche Lagezuschlagsverbot in definierten Gründerzeitvierteln (das die neue Regierung, wie berichtet, bald abschaffen will). Solche Gründerzeitviertel befinden sich etwa rund um den Gürtel. Sie gelten als "durchschnittliche Lage".

Ein Umstand, der die Einhebung eines Lagezuschlags bisher stets begünstigte, war, wenn die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien für die Lage einer Wohnung explizit einen Lagezuschlag erlaubte. Viele Vermieter orientieren sich nämlich an der Lagezuschlagskarte, die in bunten Farben schön anzeigt, in welchen Gegenden ein Lagezuschlag in welcher Höhe erlaubt ist, und in welchen Gegenden nicht. Grundlage für die Berechnungen sind die aktuellen Grundstückspreise, die Magistratsabteilung 25 (Stadterneuerung und Prüfstelle für Wohnhäuser) erstellt dann die Lagezuschlagskarte.

Aber ist tatsächlich überall dort, wo die Karte eingefärbt ist, ein Lagezuschlag erlaubt, weil es sich dann automatisch um eine "überdurchschnittliche Lage" handelt?

Verfahren gegen Vermieter

Die Mieterin einer rund 83 Quadratmeter großen Wohnung im 5. Wiener Bezirk war nicht dieser Meinung und strengte deshalb gegen ihre Vermieter ein Verfahren an. Sie sah die "Wohnumgebung" ihrer Wohnung nicht als so "überdurchschnittlich" an, dass in ihren Augen dafür ein Lagezuschlag gerechtfertigt war. Der von ihren Vermietern aufgeschlagene Lagezuschlag machte immerhin 0,94 Euro je Quadratmeter aus, inklusive weiterer Zu- und Abschläge wurde ein Hauptmietzins von 6,65 Euro je Quadratmeter vorgeschrieben.

Das Erstgericht ging noch davon aus, dass es sich tatsächlich um eine "überdurchschnittliche Lage" handelte, mit "günstiger Verkehrslage und guter Infrastruktur". Bus und U-Bahn seien nämlich in weniger als fünf Minuten zu Fuß erreichbar, außerdem sämtliche Geschäfte des täglichen Bedarfs. Und: Zur Beurteilung, ob es sich um eine "überdurchschnittliche Lage" handle, sei die Lage nicht mit anderen Gegenden und Bezirken innerhalb des Gürtels zu vergleichen, sondern "mit sämtlichen anderen Lagen Wiens", so das Gericht.

"Faktische Umgebung" zählt

Die Mieterin ging in Rekurs, das Landesgericht für Zivilrechtssachen gab diesem dann teilweise statt. Auch außerhalb eines Gründerzeitviertels seien durchschnittliche oder unterdurchschnittliche Lagen denkbar und in der Praxis anzutreffen, so das Gericht, das die Rechtsansicht des Erstgerichts, wonach das gesamte Wiener Stadtgebiet der Vergleichsmaßstab sei, nicht teilte. Im Richtwertgesetz (§2) sei von "Lage (Wohnumgebung)" die Rede, und dieser Klammerausdruck mache klar, dass nicht eine bestimmte, von vornherein festgelegte Verwaltungseinheit wie etwa ein Bezirk oder Bundesland gemeint sein könne, sondern "die faktische Umgebung der konkreten Liegenschaft", was klarerweise eine kleinere räumliche Einheit sei als etwa ein politischer Bezirk.

Dies vorausgesetzt, sei die Lage der besagten Wohnung im 5. Bezirk ganz bestimmt nicht besser als Durchschnitt, so das Rekursgericht: Die U-Bahn sei zwar in unmittelbarer Nähe, aber nur die Trasse, keine Station – die sei 350 Meter entfernt. Dies sei "keine verkehrsgünstige U-Bahn-Anbindung". Die Anbindung an Buslinien wiederum sei im 5. Bezirk durchaus üblich, gerade deshalb auch keine "überdurchschnittliche Lage"; ebenso sei in den vom Erstgericht festgestellten Entfernungen zu Supermärkten et cetera von einer "normalen" Situation auszugehen.

Fazit des Rekursgerichts: Der Lagezuschlag war zu Unrecht verrechnet worden, obwohl die Wohnung in einer Gegend lag, in der die Lagezuschlagskarte der Stadt Wien einen Lagezuschlag grundsätzlich vorsah.

Vermieter muss Nachweis erbringen

Damit war der OGH am Zug, der nun grundsätzlich eine Entscheidung darüber treffen sollte, wie das mit dem Vergleichsgebiet denn nun wirklich zu handhaben sei (5 Ob 74/17v).

Um es kurz zu machen: Der Grundkostenanteil sage bezüglich der Frage, ob eine Lage als überdurchschnittlich zu bewerten sei, noch nichts aus, so der OGH. Und auch die bloße Erreichbarkeit von Bus, U-Bahn und Supermärkten in weniger als fünf Minuten Gehweg sei in Wien jedenfalls kein Kennzeichen einer überdurchschnittlichen Lage, urteilte der Oberste Gerichtshof ganz im Sinne des Rekursgerichts. Stattdessen sei entsprechend der gesetzlichen Regelung auf die "allgemeine Verkehrsauffassung und die Erfahrung des täglichen Lebens" abzustellen.

Zur Beurteilung, ob eine "konkrete Lage (Wohnumgebung)" aufgrund ihrer Eigenschaften als "besser als durchschnittlich" zu qualifizieren sei, bedürfe es vielmehr eines "wertenden Vergleichs mit anderen Lagen (Wohnumgebungen)", so der OGH. "Dabei hat der Vermieter den Nachweis zu erbringen, dass es konkrete Anhaltspunkte (Wohnumgebungsfaktoren) gibt, die die Annahme einer überdurchschnittlichen Lage erlauben."

Mietervereinigung reagiert erfreut

Das Urteil freut Mieterschützer. Bei der Mietervereinigung (MVÖ) sieht man damit "das Ende der inflationär zunehmenden 'überdurchschnittlichen Lagen' gekommen", so Bundesgeschäftsführerin Alexandra Rezaei. Die bis dato übliche Auslegung des Gesetzes habe man seit Jahren kritisiert. "Für uns ist es unverständlich, warum es in Wien nur durchschnittliche und überdurchschnittliche Lagen geben soll. Die gängige Praxis hat dazu geführt, dass 70 bis 80 Prozent des bewohnten Stadtgebietes regelmäßig als überdurchschnittlich und der Rest als durchschnittlich bewertet wurden, während keine einzige Lage als unterdurchschnittlich angesehen wird. Dies ist sachlich nicht zu rechtfertigen und mit dem Ziel der gesetzlichen Bestimmungen nicht zu vereinbaren", so Rezaei in einer Aussendung.

Künftig gelte: "Erst wenn eine Lage nach der allgemeinen Verkehrsauffassung und Erfahrung des täglichen Lebens als 'überdurchschnittlich' zu qualifizieren ist, ergibt sich aus der Grundkostenhöhe lediglich der Höchstbetrag, bis zu dem ein Lagezuschlag zulässig ist." (mapu, 8.1.2018)