So schön kann eine Industrieruine aussehen: Die ehemaligen Bergbauminen um Las Médulas in Kastilien-León gehören zum Unesco-Weltkulturerbe.

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Nicht nur der Felsen ist durchlöchert, auch die Bäume.

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Die Natur erobert die hügelige Landschaft zurück.

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Zahlreiche Wanderwege führen durch das Unesco-Weltkulturerbe.

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Keine Götterfiguren oder Tempelsäulen, sondern ein zerfressenes Bergmassiv haben die Römer hier zurückgelassen. Im Norden der einstigen Provinz Hispania haben sie nicht gebaut, hier haben sie zerstört. Ein Werk von Giganten nannte Plinius der Ältere die Goldmine unter offenem Himmel. Sprengstoff war noch nicht erfunden, also durchlöcherten die Römer die Bergkette mit Wasserkraft, um an das Gold in ihrem Inneren zu kommen. Ruina montium heißt die Technik. Der Name verweist auf das brachiale Vorgehen: Das Wasser wurde mit Hochdruck durch ein System von teils senkrecht gegrabenen Schächten und Stollen geschleust und spülte dabei die Goldklumpen aus dem sandigen Gestein.

Zwischen 10.000 und 60.000 Menschen sollen in der Mine gearbeitet haben, es war die größte des Römischen Reichs. Das Gold wurde in Rom zu Münzen und Schmuck verarbeitet. Wie viele in der Mine umgekommen sind, ist nicht bekannt. Aber Plinius der Ältere schrieb in seiner Enzyklopädie "Naturalis historia": "Es ist weniger riskant, Perlen und Purpur vom Meeresgrund zu holen als Gold aus dieser Erde."

Geschützte Zerstörung

Seit 1997 gehört die Bergruine namens Las Médulas zum Unesco-Weltkulturerbe. Die Entscheidung war umstritten: Man könne ein so ungeheuerliches Beispiel für Landschaftszerstörung nicht unter Schutz stellen, kritisierten einige Länder. Heute ist die Goldmine die größte Attraktion in El Bierzo, einer dünn besiedelten Gegend im äußersten Westen von Kastilien-León. Es gibt einen Aussichtspunkt und Wanderwege, die sogar in das Innere des Berges führen.

Manuela Escuredo ist trotz aller Brutalität stolz auf die Landschaft. Einzigartig sei sie, sagt die 45-Jährige, die in der Bezirkshauptstadt Ponferrada ein Reisebüro führt. Sie steht auf dem Aussichtspunkt, lässt den Blick über die Ruine gleiten, atmet tief durch. Die kahlen Zacken und Hänge schimmern rötlich im Licht der untergehenden Sonne. "Wie von einem anderen Planeten", sagt sie, "einfach unglaublich." Las Médulas ist mehr als 2.000 Jahre alt und eine der ältesten Industrielandschaften Europas. Die Ruine gehöre in der Region zum kollektiven Erbe, sagt Escuredo, "wir sind die Nachkommen jener Sklaven".

Rückeroberung durch die Natur

Escuredo wandert hier gerne mit ihrer Familie, denn seit dem 3. Jahrhundert nach Christus, als die Römer die Mine aufgaben, erobert die Natur die hügelige Landschaft zurück. Heute stehen hier uralte Kastanien und Eichen, dichte Wälder ummanteln die Bergreste. Kleine Seen liegen im Flachland, damals waren es Sammelbecken des überschüssigen Wassers aus den Minen. Heute wachsen dort Seerosen, und die Frösche quaken. Und am Wegesrand sieht man immer wieder große Haufen runder Steine. Sklaven haben sie aus den Wasserleitungen geklaubt, die aus dem Berg kamen, um die Goldklumpen besser zu finden.

Viele Jahre nach den Römern haben die Spanier im Umland andere Minen und Steinbrüche angelegt. Fast ein Jahrhundert lang lebte El Bierzo vom Kohleabbau. Heute gibt es kaum noch Minen. Viele Menschen sind arbeitslos, leben als Frührentner oder sind nach Lateinamerika ausgewandert. Kaum eine Ecke Spaniens leidet so sehr unter Abwanderung wie El Bierzo.

Erste Zeichen eines Mentalitätswandels

Charo Carpallo ist geblieben. Die 55-Jährige war Verwaltungsangestellte einer Zeche in Ponferrada. Nach der Schließung zog sie in ihren Geburtsort San Esteban del Toral zurück, wo nur ein paar Familien leben. Carpallo hat dort ein Haus für sich und ein anderes für Feriengäste renoviert. Dazu hat sie in einem Kleintransporter einen ambulanten Supermarkt eingerichtet. In den Dörfern verkauft sie Obst, Öl und Suppennudeln, besonders an alte Frauen, deren Männer im Bergwerk gearbeitet haben und früh an Silikose – besser bekannt als Quarzstaublunge – gestorben sind. "Ich trinke jeden Tag mehrere Kaffees", sagt Carpallo und lacht, "viele Kundinnen bitten mich ins Haus."

Bei ihren Fahrten sieht sie erste Zeichen eines Mentalitätswandels. Die Menschen entdecken allmählich Alternativen zum Bergbau: Weinberge, Obstplantagen und Kastanienhaine werden bewirtschaftet, die meisten Produkte sind mit Herkunftsbezeichnung versehen und gelten in Spanien als besonders hochwertig.

El Bierzo hat ein mildes Klima. Von der Festung in Ponferrada aus kann man sich einen Überblick verschaffen. Bergketten grenzen El Bierzo von Galicien und Asturien ab, sie säumen rundherum den Horizont. Davor liegt flaches, grünes Land und mittendrin eine befremdliche Ruine, die vom Raubbau an der Natur zeugt. "Wir sollten endlich umdenken", sagt Charo Capallo, "und unser Land pflegen, anstatt es zu zerstören." (Brigitte Kramer, RONDO, 12.1.2018)