Andreas Naschberger ist Molekularbiologe an der Medizin-Universität Innsbruck.

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Es war kurz vor Weihnachten 2014, als Andreas Naschberger ihn zum ersten Mal sah. "Das war schon ein tolles Gefühl", erinnert sich der Molekularbiologe. Immerhin war er der erste Mensch, der den sogenannten Lamtor-Komplex in seiner ganzen Pracht, also in seiner dreidimensionalen Struktur, zu Gesicht bekam.

Bei diesem Proteinkomplex handelt es sich um eine Art Signalknotenpunkt, der das Wachstum und den Stoffwechsel von Zellen reguliert, der aber auch bei der Entstehung von Krebs und Diabetes eine zentrale Rolle spielt. Zellbiologisch wurde er bereits vor 15 Jahren identifiziert, die detaillierte atomare Aufklärung der Kristallstrukturen des Lamtor-Komplexes aber blieb Naschberger und seinen Kollegen vom Biozentrum der Medizinischen Universität Innsbruck vorbehalten.

Vier Jahre lang haben sie an der strukturellen Entschlüsselung dieses Proteinkomplexes und seiner Implikationen für die zelluläre Signalübertragung gearbeitet. Die dabei gewonnenen Erkenntnisse werden die Entwicklung neuer Therapieansätze vorantreiben und haben in der Fachwelt für beträchtliches Aufsehen gesorgt – zuletzt auch mit einer Publikation in Kooperation mit dem Austrian Drug Screening Institut (ADSI) im Fachblatt Science. Um den Lamtor-Komplex im Submikrometerbereich dreidimensional darstellen zu können, wurde die Methode der Proteinkristallografie eingesetzt. "Zunächst haben wir den Proteinkomplex im Labor gentechnisch hergestellt und kristallisiert." Wobei insbesondere die Kristallisation der Proteine keine triviale Aufgabe darstellt.

"Sobald die Kristalle gezüchtet waren, ging es mit ihnen nach Grenoble zum Synchotron, zur stärksten Röntgenstrahlquelle in Europa", sagt der Molekularbiologe. Im Teilchenbeschleuniger wurden die Proteinkristalle mit hochenergetischen Röntgenstrahlen beschossen, um aus dem Beugungsmuster ihre molekulare Struktur zu errechnen.

"Nachdem wir Berechnungen mit der entsprechenden Software durchgeführt hatten, konnte ich auf dem Computer erstmals die detaillierte dreidimensionale Darstellung des Lamtor-Komplexes sehen", schildert Naschberger den Moment, als das Resultat seiner langjährigen Arbeit zum erstem Mal vor seinen Augen Gestalt angenommen haben.

Durch die Aufklärung der Kristallstrukturen des Lamtor-Komplexes konnten Mutationen in das Erbgut von humanen Zellen eingebracht werden, um die Auswirkungen in Zellkulturen zu studieren. Dabei zeigte sich, dass der Komplex unwirksam ist, wenn ein bestimmtes Protein an einer gewissen Stelle durchtrennt wird – wertvolles Wissen, das die Grundlage für künftige Therapien bildet.

In seiner aktuellen Forschungsarbeit an der Sektion für Genetische Epidemiologie der Innsbrucker Med-Uni hat der 36-Jährige die Kristallstruktur eines weiteren Proteins entschlüsselt: des Glykoproteins Afamin. Dieses Protein ist ein vielseitiger Transporter und Biomarker im Blutplasma. Eine erhöhte Konzentration von Afamin ist mit einem höheren Risiko für die Entstehung von Typ-2-Diabetes assoziiert, wie kürzlich nachgewiesen werden konnte.

Jenseits der Grundlagenforschung ist der ehemalige Skilehrer und begeisterte Gitarrenspieler zurzeit vor allem von seiner sechsköpfigen Familie gefordert. (Doris Griesser, 14.1.2018)