Wien – Heimlich, still und leise ist das Werk von Peter Hammill – er wird heuer im November 70 Jahre alt – zu ehrfurchtgebietender Größe angeschwollen. Mit 35 Alben unter eigenem Namen agiert der Brite mit der Stimme eines im Fegefeuer schmachtenden Chorknaben im Bereich von Titanen wie Neil Young (überaus fleißig), Bob Dylan (immer noch recht fleißig) oder Frank Zappa (fleißige Witwe).

Peter Hammill wehrt sich mit Händen, Füßen und sonorer Stimme gegen den Skandal der Zeitlichkeit: ein Erzengel des Progressive Rock mit der Bestandsaufnahme seines – und unser aller – Leben(s).
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Dabei hat Hammill, Freunden des Progressive Rock als Sänger von Van der Graaf Generator geläufig, dem Tod schon einmal ein Schnippchen geschlagen. Einer schweren Herzattacke entrann er im Dezember 2003 mit knapper Not. Seitdem sind die Klagegesänge dieses feinnervigen südenglischen Intellektuellen womöglich noch nachdenklicher geworden: ätherischer, nüchterner, von geradezu knöcherner Inbrunst.

In dem neuen, schlicht ingeniösen Liedzyklus From the Trees trifft eine der ernsthaftesten Figuren des Showbiz Anstalten, den eigenen Schreibtisch aufzuräumen und das harte, schlichte Bett ein letztes Mal zu überziehen. Man kann sich Hammill auch sehr gut beim Schachspiel mit Gevatter Tod vorstellen. Dass dieser denkende Rockmusiker einst Jesuitenzögling war, passt hervorragend ins vordergründig schwarz-weiße Bild.

Heute scheint es für Hammill eine Erleichterung zu sein, nicht mehr den Rockstar mit wackelnden Hüften geben zu müssen. In den 1970er-Jahren verkleidete er sich für die rund halbstündige Dauer eines Konzeptalbums als Proto-Punkrocker "Rikki Nadir" (auf Nadir's Big Chance, 1975). Stiefkinder des britischen Sozialstaates wie der spätere Sex Pistol John Rotten wackelten ungläubig, aber voller Bewunderung mit den Ohren.

Christian Hegele

Als Punk dann wirklich losbrach, hatten Van der Graaf Generator, Hammills vor allem in Italien populäre Band, Cello und Violine in ihre Klangpalette aufgenommen. Gegen die Musik auf dem Live-Album Vital (1978) klingen Eddie & The Hot Rods wie Benzinbrüder ohne Pflichtschulnachweis.

Auf Grundlage einer kollabierten Orgel wüten Hammill (Gitarre, Piano) und vor allem dessen Kollege David Jackson (Saxofon) durch ein Set von Prog-Krachern, als wären sie gefallene Erzengel. Bands wie Howard Devotos New-Wave-Exzentriker Magazine hörten genauestens hin.

Max VdGG

30 Jahre später bildet Hammills noch immer tadellos belastbare Stimme einen ganzen altgriechischen Chor. Es gebe nichts zu tadeln, wenig zu bereuen, erzählt das Hammill'sche Kollektiv. Am Ende der Tage, wenn alles gekommen ist, wie es kommen sollte, war sowieso alles "unbeabsichtigt".

Trost für den engsten Zirkel

Eine Akustische wird unbarmherzig geschlagen, der Titel Reputation, eine Art Schmähgesang auf die Sünden von Stolz und Hoffart, geht als leichtfüßiger Walzer durch. Man meint, ein, zwei Holzbläser würden die Stimme dieses Mannes tragen, der sich selbst – als "Rockstar" – eine Art finale Rechnung ausstellt. "Fremde" Musiker kommen diesem Eigenbrötler kaum mehr ins Studio. Es sei denn, er nimmt mit den Kollegen von Van der Graaf Generator wieder eine Platte auf. Was dann und wann auch geschieht und vor allem nur noch den engsten Zirkel der Fans (hartgesotten) und Freunde und Verwandte (Kummer gewöhnt) zu Tränen rührt.

Jedes dieser zehn Kunstlieder erklimmt spielend die Höhe von Hugo Wolf oder Scott Walker. Man meint, König Lear stehe ganz ohne böse Töchter allein auf sturmdurchtoster Heide. Es ist vom "Abstieg" (vom Gipfel des Lebens) die Rede, vom Verdämmern, vom Flüsterton durchs Megafon. Und so wünscht man sich von und für Peter Hammill noch viele, viele solcher Abschiedswerke, kraftvoll, fahl und mit meisterlicher Konzentration gesungen. Und für die Schachpartie gegen den Tod? Ein Patt. (Ronald Pohl, 10.1.2018)