Ferdinand von Schirach

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Alexander Kluge

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Alexander Kluge, Ferdinand von Schirach, "Die Herzlichkeit der Vernunft". € 10,- / 189 S. Luchterhand

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Wien – Wer in einem Buch ganz wortwörtlich von Pontius zu Pilatus über Gott und die Welt bis ins All und wohlbehalten zurück auf die Erde will, sollte sich am besten kurz fassen. Genau das tun Alexander Kluge und Ferdinand von Schirach in ihrem knappen, aber erstaunlichen Bändchen Die Herzlichkeit der Vernunft.

Der eine, Kluge, ist bekannt für seine akrobatisch durch die Geistesgeschichte turnenden Interviews mit Forschern, Philosophen oder Künstlern, in denen man etwa auf der Website www.dctp.tv intellektuell versinken kann. Der andere, Ferdinand von Schirach, hat neben einer Karriere als Strafverteidiger sein Wissen über die Gründe hinter den Abgründen des Menschen in breitenwirksame Literatur gegossen.

Gemeinsam ist den beiden studierten Juristen das unerschöpfliche Interesse an der Ideenwelt, die dem Rechtssystem vorausgeht, den Errungenschaften ebenso wie den ungelösten Fragen. Aus mehreren Begegnungen ist ein mäandernder Dialog entstanden, der sich meist ausgehend von einem Denker (Sokrates, Voltaire, Kleist) in betont freier Assoziation fortspinnt. Ein System oder Erkenntnisziel ist dabei nicht immer ersichtlich, was aber nicht weiter stört.

Der "schöne" Sokrates

Denn "eine der stärksten Formen der Wirkung ist die Abwechslung", sagt Kluge: "Wenn man die Sinne angesprochen hat, die in der Ratio stecken, und sie gehen auf das Zwerchfell runter, wird das Zwerchfell so erlösend wirken, dass Sie wieder Lust haben zu denken." So funktioniert intelligentes Kabarett. Und auch in Die Herzlichkeit der Vernunft sind es der plötzliche Gedankensprung und die wohldosierte Anekdote, die den Reiz der Unterhaltung ausmachen.

Wenn hier das Todesurteil über Sokrates rechtsphilosophisch auseinandergenommen oder dessen Plädoyer für das rechte Maß zwischen dem Zuviel und Zuwenig am Heute gemessen wird, ist auch Zeit für die Geschichte, in der der zottelige Philosoph mit Stülpnase und Wulstlippen den Vergleich mit dem schönsten Jüngling Athens sucht, nur um zu beweisen, dass Schönheit keine Frage der Argumentation ist. An anderer Stelle, wenn es um Verantwortung und Reglementierung geht, erinnert Schirach an antike "TÜV-Tests", bei denen sich römische Architekten bei der Eröffnung einer Brücke unter ihr Werk stellen mussten.

Beim Thema direkte Demokratie geben sich die Autoren skeptisch: Am Tag nach dem Sexualmord an einem Kind, ist sich Schirach sicher, würden 80 Prozent für die Wiedereinführung der Todesstrafe stimmen. Vor der Tyrannei eines gewählten Repräsentanten andererseits schütze noch immer Montesquieus Idee der Gewaltenteilung. Auch im Fall Donald Trump.

Wie es dazu kommen konnte, erklärt Schirach unter anderem mit Freud: "Vielleicht können wir die Weltgeschichte auch so verstehen, dass es fast immer um Kränkungen geht. Von Troja bis zu Trump scheint sie ein Motiv für politisches Handeln."

Eine Unterhaltung mit Geist, Witz und der Leichtigkeit einer Partie Federball. (Stefan Weiss, 10.1.2018)