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Mohammed bin Salman, Kronprinz von Saudi-Arabien.

Foto: Reuters/HO

So oft wie nur selten ist in den vergangenen Monaten über die Vorkommnisse in Saudi-Arabien zu lesen. Der Grund ist der neue starke Mann im Land, Kronprinz Mohammed bin Salman, der mit Verhaftungswellen gegen Prinzen und der Ankündigung von großen Reformen auch international für Aufsehen sorgt.

Für die Saudi-Arabien-Expertin Fatiha Dazi-Héni vom Institut de recherche stratégique de l'École militaire (IRSEM) hat aber der Vater des Kronprinzen, König Salman bin Abdulaziz Al Saud, den ersten revolutionären Schritt gesetzt: Der König habe – mit der Einsetzung seines Sohnes als Kronprinz – erstmals auf eine vertikale Nachfolgeregelung gesetzt und somit die bisherige Machtaufteilung in der saudischen Königsfamilie auf den Kopf gestellt hat, sagte Dazi-Héni am Dienstagabend bei einer Veranstaltung des Kreisky-Forum in Wien im Rahmen der Serie "Arab Changes", die von STANDARD-Redakteurin Gudrun Harrer kuratiert und moderiert wird.

Verhaftungswellen

Seither vergeht kaum eine Woche, in der MBS, wie der Kronprinz auch genannt wird, nicht neue Reformen ankündigt. Entgegen dem Eindruck, den viele im Westen haben, wurde König Salman aber nicht von seinem designierten Nachfolger zur Seite gedrängt, meint Dazi-Héni, die erst im Dezember Saudi-Arabien besucht hat.

Die Verhaftungswelle von zahllosen Mitgliedern der saudischen Königsfamilie diente für viele Beobachter im Westen nur dem eigenen Machterhalt, andere wiederum sehen in dem Kronprinzen einen Visionär, der Korruption auch auf höchsten Ebenen bekämpfen will.

Dazi-Héni berichtet hingegen, dass MBS in der saudischen Bevölkerung für seine Handlungen große Popularität genießt. Mit der Verhaftungswelle sei erstmals zugegeben worden, dass es systematische Korruption im Land gebe.

"Der Prinz des Volkes"

Dass es dabei vor allem Mitglieder der Königsfamilie getroffen hat, hat die Popularität des Kronprinzen nur gesteigert. "In Riad sagt man: 'Er ist der Prinz des Volkes'", so Dazi-Héni. Was im Westen oft als autokratische und brutale Art, die eigene Macht zu festigen, interpretiert wird, werde von der Bevölkerung Saudi-Arabiens nicht negativ gesehen, so die Expertin und Buchautorin. Das Gros der Saudis sei jung und hätte unter der Korruption und dem erzkonservativen und verkrusteten System gelitten.

Auch im wirtschaftlichen Bereich versuche MBS verkrustete Strukturen aufzubrechen, dabei handle es sich nicht um kosmetische Änderungen. Der Kronprinz gründe neue Behörden und Institutionen und schaffe somit eine parallele Gegenstruktur zur alten Bürokratie. Am Erfolg oder Scheitern der Reform der Bürokratie könne man letztlich auch ablesen, ob die Vision 2030 scheitern oder erfolgreich sein werde. Mohammed bin Salman sei dabei, die Fundamente für einen Staat zu errichten, der noch nicht existiert. Dafür versuche er patriotische und nationalistische Narrative zu entwickeln, bisher habe das Land nur eine einzige – nämlich islamische – Identität gehabt. MBS entwahhabisiere Saudi-Arabien, auch antischiitisches Gedankengut fördere er nicht: "Er ist sehr pragmatisch in dieser Hinsicht."

Rote Linien

Ob all diese Reformen auch gelingen, sei allerdings noch offen. Ausschließlich mit dem "Top-Down-Ansatz" werde es schwierig sein, die nötige Erneuerung umzusetzen. Auch sei für viele unklar, wo die neuen roten Linien im Königreich verlaufen: Die alten Regelungen, wonach zum Beispiel Kritik am Königshaus tabu waren, gelten nicht mehr. Nun aber wisse niemand, was gesagt werden dürfe und was nicht.

Und ohne Transparenz werde es auch weiterhin grassierende Korruption im Königreich geben. Bleibe der wirtschaftliche Erfolg aus, warnt Dazi-Héni, werden die religiösen Konservativen, die MBS entmachtet, nicht seine größten Gegner sein.

Außenpolitisch glänzte MBS in der Vergangenheit vor allem mit Flops und Misserfolgen: sei es der Krieg gegen den Jemen, die Sanktionen gegen Katar oder der vom Rücktritt zurückgetretene libanesische Premier Rafik Hariri. Saudi-Arabiens Außenpolitik war bisher an jene der USA orientiert und nie wirklich eigenständig. Seit der Amtszeit Obamas habe sich das aber geändert, und nun merke man, so Dazi-Héni, dass Saudi-Arabien keine traditionelle Regionalmacht sei. (red, 10.1.2018)