Bild nicht mehr verfügbar.

Helikoptereltern und über die Maßen behütende Bezugspersonen beobachten die Kinder auf Schritt und Tritt.

Foto: REUTERS/Kevin Coombs

Lindas kleiner Sohn krabbelt durch die Wohnung. Der Ball rollt davon und verschwindet unter dem Couchtisch. Marius beginnt zu weinen. Sofort ist Linda bei ihm, fischt den Ball unter dem Sofa hervor und hofft darauf, dass der Kleine wieder zufrieden ist.

Als Simone ihre beiden Kinder aus der Schule abholt, erkundigt sie sich gleich nach dem Tagesgeschehen: Wie war es in der Schule? Was ist vorgefallen? Sind die Hausübungen schon fertig? Habt ihr zu Mittag eh gut gegessen?

Wie so oft möchte die achtjährige Marion mit ihrer Freundin gemeinsam im Innenhof spielen. Ihre Mama Elisabeth ist dagegen, denn sie hat gerade keine Zeit mitzugehen. Sie will immer dabei sein und auf Marion aufpassen. Die Kinder unbeaufsichtigt zu lassen ist für sie unvorstellbar. Marion versteht das nicht, läuft weinend ins Kinderzimmer und knallt die Türe hinter sich zu. Wie gern würde sie ohne Mama im Hof spielen.

Eltern als das Zentrum des Kindes – und umgekehrt

So wie viele Bezugspersonen nehmen Eltern in den obigen Beispielen ihren Kindern alles Mögliche ab, sind sofort zur Stelle, wenn die Kinder etwas brauchen, oder helfen sofort und tun alles, um den Kindern Unannehmlichkeiten zu ersparen. Sie sind rund um die Uhr für ihren Nachwuchs da, aber machen ihren Kindern auch Dinge unmöglich, weil sie keine Zeit haben, dabei zu sein, oder aus Angst, dass ihren Kindern etwas zustoßen könnte.

Genau genommen opfern sich Eltern und Bezugspersonen für ihre Kinder auf. Sei es tatsächlich aus dem Wunsch heraus, dass es den Kindern an nichts mangelt, es ihnen rundherum gutgeht, oder aber auch einfach aus einer schieren Angst heraus, was dem Nachwuchs nicht alles zustoßen könnte.

Einerseits mag es die oberste Prämisse sein, dass Eltern und Bezugspersonen nur das Beste für ihren eigenen Nachwuchs wollen. Das veranlasst sie dazu, jeden Schritt ihres Kindes mit Argusaugen zu verfolgen, und machen so die Kinder zum Zentrum ihrer Aufmerksamkeit und sich selbst somit zum zentralen Mittelpunkt der Kinder. Andererseits ist es wohl aber eher die Furcht um die gute Entwicklung der Kinder, denn überall auf dieser Welt lauern Gefahren.

Unbeaufsichtigte Freiräume sind ein Muss

Jedes Kind ist anders, es entwickelt sich in seinem eigenen Tempo und besitzt eigene Bedürfnisse. Für alle Kinder aber gilt, dass sie Fürsorge und Pflege, Liebe und Aufmerksamkeit durch ihre engsten Bezugspersonen brauchen, um sich bestmöglich entwickeln zu können. Gleichzeitig brauchen sie aber auch Freiraum, in dem sie sich nach ihren Wünschen und Bedürfnissen frei bewegen, entfalten und Erfahrungen machen und damit Herausforderungen meistern können.

Sie benötigen Freiräume, die nicht von den Eltern, Großeltern, Pädagogen oder anderen Erwachsenen kontrolliert werden. Freiräume, in denen sie sich unbeaufsichtigt allein oder in der Gruppe mit anderen Kindern unterschiedlichen Alters ausprobieren dürfen. Wo niemand ist, der Hindernisse aus dem Weg räumt, Aktionen verbietet, weil sie zu gefährlich sein könnten oder das Kind noch zu klein dafür ist. Freiräume, in denen der Nachwuchs erproben kann, wie stark, groß, gescheit, geschickt er schon ist und was er alles schon allein bewerkstelligen kann. Aber auch Freiräume, in denen ein Kind die Möglichkeit hat, sich zurückzuziehen und für sich allein zu spielen, zu zeichnen und zu basteln, zu lesen oder einfach nur vor sich herzuträumen.

Kinder werden zur Unselbstständigkeit erzogen

Selbstverständlich brauchen Kinder Anleitungen oder ein wachsames Auge der Erwachsenen, damit sie lernen, wo Gefahren lauern und wie sie mit solchen Situationen umgehen können. Natürlich brauchen Kinder jemanden, der auf sie aufpasst, zur Stelle ist, wenn sie Hilfe und Unterstützung brauchen.

Aber unter dauernder Aufsicht haben Kinder so gut wie keine Möglichkeit mehr, für sich allein zu spielen. Sie werden also nicht lernen, sich allein zu beschäftigen oder mit Risiken und gefährlichen Situationen umzugehen. Sie haben durch die Eltern, die ihnen alles aus dem Weg räumen, keine Möglichkeiten, Fehler zu machen und aus diesen Erfahrungen zu lernen.

Schlussendlich führt dies dazu, dass die Kinder sehr unselbstständig bleiben, dass sie sich immer darauf verlassen, dass alles für sie getan wird. Sie haben mit der Zeit auch erfahren, dass sie sofort Hilfe bekommen, wenn sie etwas nicht schaffen oder wenn sie etwas haben wollen. Sie haben gelernt, dass die Eltern alles für sie tun.

Freiräume fürs Kind sind Freiräume für Eltern

Für Eltern, Bezugspersonen und Kinder ist es notwendig und hilfreich, ein gutes Mittelmaß zwischen Kontrolle und Freiraum zu finden. Eltern dürfen ihren Kindern durchaus zutrauen, dass sie dem Alter entsprechende Lösungsmöglichkeiten für Schwierigkeiten finden. Dazu Hilfe und Anleitung anzubieten ist das Beste, was Bezugspersonen für ihre Kinder tun können. Kinder, die Schwierigkeiten meistern, erfahren, dass sie etwas schaffen können. Sie entwickeln Selbstvertrauen, werden selbstständig und können gemeinsam mit anderen stolz auf sich sein.

Freiräume für Kinder machen auch Freiräume für die Bezugspersonen möglich, denn wenn sich der Nachwuchs selbst beschäftigt, dann können auch Eltern etwas für sich selbst tun.

Ihre Erfahrung?

Wodurch beginnt Ihrer Meinung nach die Überbehütung der Kinder und das Helikopter-Dasein der Eltern? Räumen Sie Ihrem Kind möglichst alle Hindernisse aus dem Weg? Wie viel und welche Freiräume hat Ihr Kind? Posten Sie Ihre Erfahrungen, Fragen und Ideen im Forum! (Andrea Leidlmayr, Christine Strableg, 12.1.2018)