Der Fotograf Chalil Raad, tätig in Jerusalem an der Jaffastraße, hatte seinerzeit im alten Orient eine Menge zu tun. Seine Zielgruppe waren vor allem deutsche Touristen, die sich "in hiesigen Kostümen" ablichten lassen konnten (wodurch aus einem rüstigen Pilger schnell ein Kara Ben Nemsi werden konnte), daneben war Raad auch als preußischer Hoffotograf und als Kriegsfotograf der Osmanischen Armee tätig. Er war also in die Geopolitik des Nahen Ostens zu Beginn des 20. Jahrhunderts intensiv eingebunden. 1948 ging es für Raad in Jerusalem zu Ende, als christlicher Palästinenser musste er die Stadt verlassen, mit der Jaffastraße, die abgerissen wurde, ging auch ein Großteil seines Archivs verloren.

"Welcome to Jerusalem": Die Berliner Schau versammelt Dokumente und Kunstwerke zur geschichtsträchtigen Stadt im Nahen Osten. Hier eine Fotografie vom Cook Tourism Office am Jaffator, circa 1900.
Foto: Library of Congress Prints and Photographs Division, Photochrom Collection

Kultur des Austauschs

Die Geschichte von Chalil Raad ist eine von zahllosen, die in der Stadt Jerusalem geschrieben wurden. In der aktuellen Ausstellung "Welcome to Jerusalem" im Jüdischen Museum Berlin steht Raad für eine besonders interessante Periode: für die späte Phase des Osmanischen Reichs, mit dessen Ende (durchaus vergleichbar dem Habsburger-Imperium) auch eine Kultur des Austauschs verlorenging. Jerusalem gehörte damals für einen westlichen Maler wie Max Rabes (einer der bekanntesten Maler der wilhelminischen Epoche), aber eben auch für einen einheimischen Fotografen wie Chalil Raad eindeutig zu einem Orient, für den sich der Westen gerade erst seit gut 150 Jahren intensiver zu interessieren begonnen hatte.

Davor war Jerusalem schon immer Hauptstadt der Reklamierer: Im Jüdischen Museum kann man in einer Animation sehr schön und farbig nachvollziehen, wie immer neue Machtverhältnisse sich in das Stadtbild einschreiben. Wobei es durchaus Sinn gemacht hätte, dabei auch noch tiefer in der Geschichte zu schürfen, denn umstritten war die Stadt ja schon, als sie noch eine winzige Siedlung im unwegsamen judäischen Bergland war, vor rund 3.000 Jahren.

Eine Ausstellung aber braucht Objekte und Dokumente, deswegen wird "Welcome to Jerusalem" umso reichhaltiger, je näher man der jüngeren Vergangenheit kommt. Ein Höhepunkt auf dem Rundgang betrifft aber doch das alte Israel: ein Modell des Tempels in Jerusalem (des herodianischen, den auch Jesus aufsuchte) kann man durch Guckkästen hindurch betrachten, die eine aufschlussreiche Animation enthalten. Man kann sich gleichsam unter das Volk mischen, das damals Opfertiere kaufte oder sich einfach auf dem großen Vorplatz aufhielt, der auch Nichtjuden offenstand.

Pilger und Eroberer

Ins Allerheiligste, das nur der Hohepriester einmal im Jahr betreten durfte, kommt man aber auch mit dieser Datenbrille und der durch sie hindurch entstehenden Augmented Reality ("angereicherte Wirklichkeit") nicht.

Der Tempel, der Tempelberg mit seinen unterschiedlichen religiösen "Besetzungen" bildet natürlich einen Kernkomplex in einer Ausstellung, die sich in vielerlei Hinsicht mehr für Pilger als für Eroberer interessiert. Wobei alle Pilger auf ihre Weise nach einem "wahren" Jerusalem suchen, von dem gerade "Welcome to Jerusalem" klarmacht, dass es auf einem Missverständnis beruht: Nirgends bekommt man wohl einen deutlicheren Hinweis auf die Geschichtlichkeit aller Ansprüche auf Wahrheit als an dieser immer wieder neu eroberten Stadt mit ihrer zerklüfteten Geografie und ihrem bis heute – trotz des jüngsten Möchtegernschiedsspruchs von Donald Trump – umstrittenen rechtlichen Status mit unterschiedlichen Territorien auf dem Stadtgebiet.

Die Ansprüche auf ursprüngliches oder endgültiges Recht auf Jerusalem nehmen dabei manchmal auch kuriose Formen an. 2017 zeigte sich die israelische Kulturministerin Miri Regev beim Filmfestival in Cannes mit einem Kleid, das am Saum eine historische Ansicht Jerusalems zeigte. Sie wollte damit an die (ihrer Meinung nach) Wiedervereinigung der Stadt 1967 erinnern, bewirkte mit ihrem Polit-Fashion-Statement aber vor allem, dass die Idee ihres Designers vielfach überarbeitet wurde – in den digitalen Netzwerken der Gegenwart besteht kein allein seligmachender Anspruch auch nur eine Minute.

So wird selbst noch dieses Detail zu einen Sinnbild für eine ständige Neubestimmung dessen, was Jerusalem eigentlich ist. Eine sehr kluge Fotoinstallation ausgerechnet des Zerstörungskünstlers Gustav Metzger verleiht diesem Umstand den besten Ausdruck.

Endzeitliche Geste

Dass am Ende dieser Ausstellung die Videoarbeit "Inferno" der israelischen Künstlerin Yael Bartana steht, ist dann noch einmal eine angemessen kontroverse Geste: Hier wird in Brasilien der jüdische Tempel noch einmal errichtet, eine endzeitliche Geste, die nicht zuletzt fundamentalistische Christen in ihre Logik übernommen haben. An diese Klientel vor allem richtete sich Donald Trumps einsame Entscheidung, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen – ein undiplomatischer Akt, der im Grunde noch in diese Ausstellung gehören würde, der aber in der digitalen Apokalyptik von Yael Bartana schon impliziert ist. (Bert Rebhandl aus Berlin, 11.1.2018)