Das sogenannte Serapeion von Ephesos.

Foto: M. Binder/ ÖAI@ÖAW

Der Innenraum der Kirche mit den Gräbern.

Foto: N. Gail/ ÖAI@ÖAW

Bestattung von insgesamt acht Kleinkindern.

Foto: M. Binder/ ÖAI@ÖAW

Mit Ziegeln umfasstes Grab eines Neugeborenen.

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Knochenneubildung an der Innenseite einer Rippe eines Kindes als Anzeichen einer chronischen Lungenentzündung, die zum Zeitpunkt des Todes noch aktiv war.

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Isotopen-Diagramm eines zwei bis drei Jahre alten Kindes. Das Stickstoff-Isotopen-Verhältnis (blaue Linie) deutet auf einen Abstillzeitpunkt ab etwa zwei Jahren hin.

Spricht man von Ephesos, der antiken Stadt an der Westküste der Türkei, ruft dies wohl bei den meisten sogleich Bilder von grandiosen marmornen Bauwerken, aufwendigen Statuen und feinsten Malereien hervor. Was jedoch nach der Blütezeit der Stadt geschah, die einst als viertgrößte der antiken Welt galt, ist nach wie vor relativ wenig erforscht.

Im 3. Jahrhundert n. Chr. erschütterten mehrere Erdbeben die Stadt und läuteten einen wirtschaftlichen Niedergang ein, der durch das Ende des Römischen Reichs und den Aufstieg Konstantinopels seinen Höhenpunkt fand. Die zunehmenden Verlandung des Hafens, der für Ephesos einen zentralen Wirtschaftsfaktor darstellte, dürfte dies zusätzlich verstärkt haben. Dadurch war die Stadt gezwungen, alternative Einkommensquellen zu schaffen. Sie fand diese in ihrer zunehmenden Bedeutung als zentraler Ort des aufkommenden Christentums und den damit verbundenen, schnell anwachsenden Pilgerströmen, die Stätten wie die Marienkirche – Ort des Konzils von Ephesos im Jahr 431 – oder das sogenannte Grab des Evangelisten Lukas zum Ziel hatten.

Wie genau sich Lebensbedingungen, Bevölkerung und sozioökonomischer Status der Stadt in den Jahrhunderten bis zur endgültigen Aufgabe der Stadt im 15. Jahrhundert charakterisieren lassen, liegt jedoch immer noch zu großen Teilen im Dunkeln. Das rückt erst durch die Bemühungen von Sabine Ladstätter, der Direktorin des Österreichischen Archäologischen Instituts (ÖAI) der Akademie der Wissenschaften, und ihrem Team in den letzten Jahren ins Zentrum des Interesses – auch im Archäologieblog wurde darüber bereits berichtet.

Bestattungen im ehemaligen Tempel

Einen wichtigen Beitrag zu dieser Thematik können natürlich auch menschliche Überreste liefern, obwohl auch diese Quelle bisher nur wenig genutzt wurde. 2015 hatte ich jedoch die Gelegenheit, insgesamt 37 Bestattungen aus dem 5. bis 8. Jahrhundert zu untersuchen, die bei Ausgrabungen unter der Leitung von Martin Steskal vom ÖAI im sogenannten Serapeion von Ephesos geborgen wurden.

Dieser in der Antike errichtete monumentale Tempel wurde wie zahlreiche andere in frühchristlicher Zeit in eine Kirche umfunktioniert. Wie damals üblich, wurde der Innenraum der Kirche auch für Bestattungen genutzt. Entsprechend den zeitgenössischen Bestattungssitten waren die Gräber einfache rechteckige Gruben, die teilweise noch mit Ziegeln eingefasst waren. Abdeckungen waren nur in wenigen Fällen erhalten, obwohl alle Gruben ursprünglich nicht verfüllt, sondern lediglich überdeckt worden sein dürften. Dafür spricht, dass fast alle Gräber über einen längeren Zeitraum immer wieder für Bestattungen genutzt wurden, so fanden sich beispielsweise acht Tote übereinander in Grab 9. Lediglich die chronologisch jüngsten, oberen Bestattungen waren vollständig, während die ältesten bereits mehr oder weniger vollständig verwest waren und deren Knochen lose verstreut am Boden der Grabgrube zu finden waren.

Hohe Kindersterblichkeit

Diese Knochen geben nun einen ersten Einblick in die Lebensbedingungen der Stadt in byzantinischer Zeit. Das auffälligste Merkmal der Gruppe von insgesamt 37 Individuen ist der hohe Anteil von Kindern jünger als fünf Jahre, die 70 Prozent der Toten ausmachen. Besonders häufig starben die Kinder im Alter zwischen zwei und drei Jahren.

In präantibiotischer Zeit war in komplexeren Gesellschaften eine hohe Kindersterblichkeit generell vermutlich eher die Norm als die Ausnahme. Als Ursachen kommen vor allem Infektionskrankheiten wie Lungenentzündungen, Fieber- und Durchfallerkrankungen, aber auch Unterernährung infrage. Die genauen Todesursachen lassen sich an den Knochen jedoch oft nicht mehr bestimmen, da viele der Infektionskrankheiten zu schnell zum Tod führen, um eine Reaktion am Skelett auszulösen. An den Knochen der Kinder aus Ephesos fanden sich jedoch auch Hinweise wie ein Fall von chronischer Lungenentzündung, Anzeichen von Skorbut und Meningitis. Auch Defizite im Längenwachstum der Knochen deuten auf physiologische Stressfaktoren im Kindesalter hin.

Informationen aus der Zahnwurzel

An den Kindern aus dem Serapeion wurde über die paläopathologische Untersuchung hinaus ein neuer Ansatz verfolgt, um Näheres über die Ursachen für die hohe Kindersterblichkeit herauszufinden. Die Untersuchung von Kohlenstoff- und Stickstoff-Isotopen in menschlichen Knochen zur Rekonstruktion der Ernährung ist in der Bioarchäologie heute bereits Standard. Das Verhältnis der Stickstoff-Isotope 14N zu 15N gibt Auskunft über den Anteil an tierischem Protein in der Nahrung, während das Kohlenstoff-Isotopen-Verhältnis 12C zu 13C abhängig vom Anteil von sogenannten C3- (die meisten Kultur- und Nutzpflanzen der mittleren und hohen Breiten) und C4-Pflanzen (zum Beispiel tropische Gräser, Sorghum, Hirse) ist. Üblicherweise werden dazu Knochenproben analysiert, in denen sich die Zusammensetzung der Nahrung in den letzten sieben bis zehn Lebensjahren widerspiegelt.

Wissenschafter der britischen Universität Durham, mit denen auch wir im Rahmen des Projekts zusammenarbeiteten, haben nun eine Methode entwickelt, bei der Isotopenwerte auch aus weniger als Mikroabschnitten der Zahnwurzel gewonnen werden können. Diese werden aus vielen Lagen von Dentin im Kindesalter aufgebaut, jede Lage speichert den Isotopenwert der Nahrung zu dem Zeitpunkt, an dem sie gebildet wurde. Damit lassen sich nun Aussagen über die Ernährung im Kindesalter bis auf wenige Wochen genau treffen – eine zeitliche Auflösung, wie sie in der Archäologie und Bioarchäologie sonst kaum möglich ist.

Nach der Muttermilch fehlten wichtige Nährstoffe

Interessantes Merkmal an den Isotopenwerten der Kinder von Ephesos ist nun die Tatsache, dass im Alter zwischen zwei und drei Jahren – und damit bei den meisten Kindern kurz vor dem Tod – ein markanter Abfall im Verhältnis der Stickstoff-Isotope zu verzeichnen war. Erklärt werden kann das durch den schrittweisen Ersatz von Muttermilch durch feste, proteinärmere Nahrung. Dass Kinder in diesem Zeitraum besonders anfällig für Infektionskrankheiten sind, da einerseits durch die Nahrung neue Keime aufgenommen werden können, andererseits der zusätzliche Schutz des Immunsystems durch die Muttermilch wegfällt, ist hinlänglich bekannt. Bei den Kindern von Ephesos zeigt sich jedoch zusätzlich, dass der Ersatznahrung wichtige Nährstoffe fehlten, was in weiterer Folge auch zu Mangelerscheinungen wie Skorbut führte.

Inwieweit das nun auf die allgemeinen Lebensbedingungen der Ephesier in byzantinischer Zeit schließen lässt, bleibt jedoch nach wie vor ungewiss. Die Stichprobe ist mit 37 Individuen natürlich sehr klein, und damit besteht auch immer die Gefahr, dass diese nicht unbedingt repräsentativ für die Gesamtbevölkerung ist. Unklar bleibt weiterhin, welche Faktoren für die Zusammensetzung der kleinen Gruppe der Bestattungen im Serapeion verantwortlich waren. Handelte es sich um den Friedhof einer bestimmten Familie oder religiösen Gruppe, oder spielten andere soziale oder kulturelle Parameter einer Rolle bei der Auswahl des Bestattungsplatzes? Es bleibt zu hoffen, dass es in den nächsten Jahren wieder möglich sein wird, diesen Fragen vor Ort weiter auf den Grund zu gehen. (Michaela Binder, 11.1.2018)