Kate Winslet sucht als Kellnerin Ginny einen Notausstieg aus Woody Allens "Wonder Wheel".

Foto: Warner Bros. Pictures

Wien – Vergnügungsparks werden im Kino gern als Ort des Übergangs benutzt. Hierarchien, die den Menschen sonst aufs Gemüt schlagen, sind hier etwas gelockert. Der Wiener Prater war schon immer eine solche Zone der sozialen Entgrenzung, so auch Coney Island, der Lunapark am Strand von Brooklyn. In Lonesome, einem stürmischen Stummfilm von Paul Fejos (1928), gleiten ein Mann und eine Frau dort für einen Tag aus der Routine in ein rauschhaftes Abenteuer.

Woody Allens neuer Film Wonder Wheel nutzt zwar auch die Strand- und Schießbudenromantik des Coney Island der 50er-Jahre, seine Frauenfiguren sind allerdings von Beginn an festgelegt: Ginny, eine von Kate Winslet mit Herz und Seele verkörperte Ex-Schauspielerin, leidet unter der Umklammerung ihres Mannes, eines leicht aufbrausenden Karussellbetreibers (Jim Belushi). Dessen Tochter Carolina (Juno Temple), die plötzlich in das Apartment mit Blick aufs Riesenrad dazustößt, geht es nicht besser: Sie wird von den Schergen ihres mafiösen Ehemanns gesucht.

"Wonder Wheel": Deutscher Trailer.
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Hilfe vor dem Ertrinken erhoffen sich beide von einem Rettungsschwimmer namens Mickey, den Justin Timberlake gern oben ohne spielt. Er ist – zumindest auf dem Papier – Allens Stellvertreter in diesem Film, ein Möchtegerndramatiker, der von seinem Hochstand auf dem Strand aus Schicksalsbegegnungen erträumt. Allen nutzt ihn als Erzähler, der direkt zum Zuschauer spricht und die Geschichte stets ein Stück weit zu seinen Gunsten auslegt. Weil er Eugene O'Neill verehrt, erhält auch seine romantische Verwicklung mit Ginny die Anmutung eines Stückes aus der Feder des Nobelpreisträgers.

Allerdings bleibt es in Wonder Wheel insgesamt nur bei Anmutungen: Die vom Kameravirtuosen Vittorio Storaro in karamellfarbenes Licht getauchten Szenen strahlen nicht von innen heraus, sondern bleiben bühnenhafte Kulissen für eine nostalgische Stilübung. Auch das exaltierte Spiel von Winslet trägt zu diesem Eindruck bei. Das Dilemma einer Frau, die sich einen Ausweg aus ihrem verfahrenen Dasein samt pyromanischem Sohn ersehnt, dann aber unerwartet Konkurrenz bekommt, erzeugt erstaunlich wenig emotionale Wirkkraft.

Trailer zu "Wonder Wheel" in Originalsprache.
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Dass die Rivalin der mit ihrem Alter hadernden Ehefrau justament ihre Stieftochter Carolina ist, verleiht Wonder Wheel auch eine merkwürdig selbstreferenzielle Note. Man fragt sich, wie Woody Allen daran gelegen sein kann, so ostentativ an seine Ehe mit Soon-Yi, der Adoptivtochter von Mia Farrow, zu erinnern. Zumal er in #MeToo-Zeiten ohnehin als vorbelastet gilt: Golden-Globe-Gewinnerin Greta Gerwig hat im Interview mit der New York Times gesagt, sie würde aufgrund ihres heutigen Wissens um die Anschuldigungen von Allens Adoptivtochter Dylan in keinem seiner Filme mehr mitwirken.

Wonder Wheel bleibt jedenfalls nicht besonders ambivalent, was seine Haltung gegenüber den Figuren betrifft. Er gibt Ginny die bessere Rolle, aber Mickey, der Rettungsschwimmer, zahlt für seine Abenteuer den geringsten Preis. Eine Geschichte fürs Kino, gewiss. Allerdings von einem Regisseur, der von sich selbst nicht genug kriegen kann. (Dominik Kamalzadeh, 11.1.2018)