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Bubble Boy, der Patient mit der seltenen Immundefiziterkrankung Scid, wurde zwölf Jahre alt. Eine Gentherapie hätte ihn heilen können. Erste Patienten werden heute bereits erfolgreich behandelt.

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Es war vor 50 Jahren: Die Geschichte von David Phillip Vetter hat an Eindrücklichkeit nichts verloren, und doch hätte sie heute einen anderen Ausgang genommen. Menschen, die ohne Immunsystem geboren werden, überleben selten länger als wenige Monate. Sie kommen scheinbar gesund auf die Welt, doch sobald ihr Körper mit Bakterien in Berührung kommt, was zwangsläufig schon im Kreißsaal passiert, erkranken sie schwer. Ihr Körper schwillt an, sie sterben innerhalb weniger Monate.

Der Name dieser Erkrankung ist Scid (gesprochen: Skid). Die Abkürzung steht für "Severe Combined Immunodeficiency", und die Forschung hat auch herausgefunden, welche Genmutation dafür verantwortlich ist. Der berühmteste Scid-Patient war David Phillip Vetter, geboren im September 1971. Seine Eltern wussten um das Risiko, nur ein Jahr zuvor war ein Vetter-Sohn im Alter von sieben Monaten gestorben. Die Krankheit wird über das X-Chromosom nur an Buben vererbt. Die Eltern wollten für ihre Tochter ein Geschwisterkind und gingen das Risiko ein. Zudem wurden damals gerade die Möglichkeiten der Knochenmarktransplantation entdeckt. Das Texas Children's Hospital in Houston, in dem David geboren wurde, war ein Zentrum der Forschung, und die Idee, Davids ältere Schwester könne vielleicht als Spenderin fungieren, war ein hoffnungsvolles Szenario.

Eine unbeabsichtigtes Experiment

Sekunden nach der Geburt wurde David deshalb in ein steriles Plastikzelt transferiert. Das galt als Übergangslösung bis zu Transplantation. Doch es sollte sich herausstellen, dass die Schwester keine ideale Spenderin sein würde, weil ihre Blutmerkmale anders waren als die ihres Bruders.

Was als Zwischenlösung gedacht war, wurde ein Dauerzustand. Die Ärzte suchten verzweifelt nach einer Therapie, David wuchs in seinem sterilen Zelt auf. Seine Eltern sowie seine Ärzte und Krankenpfleger konnten ihn nur mit Plastikhandschuhen von außen anfassen. Sein Essen, seine Windeln, seine Spielsachen – alles musste sterilisiert werden.

Als er drei Jahre alt wurde, übersiedelte er nach Hause. Seine Eltern hatten eine sterile Einheit für ihn eingerichtet. Sie hatten sogar eine Vorrichtung gefunden, mit der er laufen lernen konnte. Seine außergewöhnliche Lebenssituation machte die Medien auf ihn aufmerksam, er wurde eine Art Berühmtheit und verkörperte mit seinem Schicksal ein ethisches Dilemma. Was, wenn David eines Tages verlangen würde, aus seinem Zelt auszubrechen? Davids Psychologen wussten um seine Wutanfälle, die immer heftiger und häufiger wurden.

Knochenmark von Schwester

Im Oktober 1983 entschloss man sich zu einer Knochenmarktransplantation. Die Technik hatte sich bis dahin so verbessert, dass die Ärzte die Schwester als Spenderin akzeptieren konnten. David kam in eine sterile Spitalseinheit, verließ also zum ersten Mal seine "bubble". Besser gesagt: Man wagte die Transplantation. Es schien anfangs auch zu funktionieren. Doch plötzlich tauchten überall am Körper des Buben Tumore auf. Was die Ärzte nicht wussten: Die Schwester trug – so wie viele Menschen – das Epstein-Barr-Virus in sich. Ist das Immunsystem intakt, ist das gänzlich ohne Bedeutung, doch für David war das Virus tödlich. Er starb am 22. Februar 1984.

Davids Schicksal brachte aber Erkenntnisgewinne: etwa jenen, dass Transplantationen bei Scid-Patienten nur in den ersten drei Monaten nach der Geburt sinnvoll sind und dass Früherkennung schon im Mutterbauch essenziell ist. Scid ist eine sehr seltene Erkrankung, und 15 Jahre nach der Entschlüsselung des Genoms weiß man auch, dass es ein breites Spektrum der Erkrankungen gibt. Sie alle gelten als "orphan diseases".

Was das Immunsystem bei Scid-Patienten betrifft: Es können verschiedene Abwehrzellen in unterschiedlichem Maße betroffen sein, T-Zellen genauso wie die Funktion oder Anzahl von B-Lymphozyten und NK-Zellen.

Zweischneidige Viren

Brachte das Epstein-Barr-Virus den Bubble-Boy seinerzeit um, so können Viren heute genutzt werden, um fehlerhafte DNA zu reparieren – Lentiviren wie HIV zum Beispiel. Sie werden so manipuliert, dass sie die fehlerhaften Stellen in der DNA von Scid-Patienten reparieren können. Am St. Jude Children's Hospital in Memphis wurde gerade die Phase-1-Studie für die Gentherapie einer ausgewählten Gruppe von Scid-Patienten abgeschlossen.

Ewelina Mamcarz präsentierte auf der Hämatologenmesse Ash in Atlanta die Ergebnisse dieser Gentherapie, des LVXSCID-Trial, das an sieben Patienten angewendet wurde und bei fünf erfolgreich war. "Wir haben ein inaktives HI-Virus genutzt, um das defekte Gen zu ersetzen", erklärte sie.

Wie die Gentherapie abläuft: Den Scid-Babys wurden Blutstammzellen entnommen, diese wurden im Labor gentherapiert. Mittels entschärfter, genmanipulierter HI-Viren wurde die defekte Mutation ersetzt. Bevor den Babys die korrigierten Blutstammzellen verabreicht wurden, waren sie mit dem Chemotherapeutikum Busulfan behandelt worden, es zerstört das alte Knochenmark.

Durchbruch für Gentherapie

Nebenwirkungen traten im Zuge der Gentherapie am Texas Children's Hospital praktisch keine auf, berichtete Mamcarz, bei fünf Patienten funktionieren die T-Zellen, B-Zellen und NK-Zellen einwandfrei. "Das ist ein Durchbruch", so die Hämatologin, die darin eine Chance für alle Scid-Patienten sieht, die keine Knochenmarkspender haben.

Das Risiko bei der Knochenmarktransplantation sei zudem immer auch eine potenzielle Abstoßungsreaktion, Graft-versus-Host im Fachjargon. Sie könnte durch die Gentherapie umgangen werden. Allerdings, so Mamcarz, sei das erst der Anfang dieser neuen Behandlungsform, weitere Studien müssen den Erfolg erst bestätigen.

David Phillip Vetters Schicksal würde sich in dieser Form heute also sicher nicht mehr wiederholen, es wird ein einzigartiges Kapitel in der Medizingeschichte bleiben. Auf dem Grabstein des Bubble Boy steht: "Er berührte nie die Welt, aber die Welt war von ihm berührt." Für eine Heilung wurde er 40 Jahre zu früh geboren. (Karin Pollack, 30.1.2018)

Originalpublikation:

Interim Results from a Phase I/II Clinical Gene Therapy Study for Newly Diagnosed Infants with X-Linked Severe Combined Immunodeficiency Using a Safety-Modified Lentiviral Vector and Targeted Reduced Exposure to Busulfan