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Winter wie diesen kannten alte Pekinger noch aus Kindertagen: blauer Himmel, kalte Luft, klare Aussicht. Doch nun ist der Smog zurück in Chinas Hauptstadt.

Foto: Reuters / China Stringer Network

Die Lastwagen waren mit großen Sprühkanonen bewaffnet, ihre Gegner waren feinste Smogpartikel. Sie verteilten ein chemisches Gemisch in der Luft, das den Feinstaub PM 2,5 auflösen kann – allerdings nur in der Nähe der Messstationen. Funktionäre der Städte Xinyu in der Provinz Jiangxi und Xinyang in Mittelchinas Henan kamen vergangenen Herbst auf diese famose Idee, um so die Luftwerte zu verbessern. Chinas Umweltamt kommentierte trocken: "Die städtischen Führer fühlten sich unter großem Druck, die Luftqualität zu verbessern."

Das Ministerium kritisierte, wie in der Provinz die Daten verfälscht werden. Grobe Manipulationen gab es aber auch früher, etwa in der Stadt Xian, wo im Juli 2016 die Smogmessgeräte mit Wolle abgedeckt wurden. Seit Jänner 2017 gilt derartiges als Umweltverbrechen. Die Leiter der Umweltbehörden von Xinyu und Xinyang wurden bestraft und mussten Selbstkritik üben. Die Staatszeitung "China Daily" berichtete zusätzlich, dass die Fahrer der Lkws entlassen wurden. Nebenbei enthüllte sie, dass es in vielen Städten, auch in Peking, üblich sei, etwa für Veranstaltungen Smogkonzentrationen mit solchen Kanonen zu neutralisieren, "aber nur über begrenzte Gebiete und auf keinen Fall vor Messstationen".

Wochen wie im Bilderbuch

Die Berichte kommen für Chinas Führung zur Unzeit. Denn seit Freitag sucht eine neue Smogwelle Peking und viele Provinzen heim. Wieder einmal wurde offenbar, wie weit China noch davon entfernt ist, zur Nation mit "blauem Himmel und grünen Bergen" zu werden, wie die Propaganda verspricht. Drei von Pekings Nachbarstädten mussten sogar Alarmstufe Rot wegen gesundheitsgefährdenden Smogs ausrufen.

Der Smog kam so plötzlich über Peking wie fünf Wochen zuvor das Bilderbuchwetter. Seit Anfang Dezember genossen alte Pekinger Wintertage, wie sie sie nur aus ihrer Jugend kannten. Trockene Kälte bei starkem Nordwind bescherte ihnen glasklare Luft, blauen Himmel und Sonnenschein.

Das machte übermütig. Stolz verkündete die Hauptstadt, dass die Konzentration von Feinstaub im Dezember fast um 70 Prozent unter den Vorjahreswert fiel. Chinas Medien sprachen vom Durchbruch beim Kampf gegen Smog. Die vielen Aktionsprogramme der Regierung, die Schließung von Fabriken und Baustellen, die Autofahrverbote und die seit 2017 forcierte Umstellung von Kohleheizungen auf Gas und Strom hätten für das "blaue Wunder" gesorgt. Selbst die internationale Nachrichtenagentur Bloomberg titelte: "China gewinnt seinen Kampf gegen die Luftverschmutzung."

Keine Wunder in Peking

Doch das Lob war verfrüht. Die verbesserte Luftqualität gehe vorwiegend auf Wind und Wetter zurück, schrieb das meteorologische Amt. Im Dezember bliesen schlicht Böen aus dem Norden die Schadstoffe mit ihrem ungewöhnlich hohen Tempo weg. "China kann mit seiner Kommandowirtschaft vieles schneller machen als andere Länder. Aber das Land kann keine Wunder auf Befehl bewirken", sagt Wang Yongchen, Gründerin der NGO "Freiwillige für eine Grüne Erde", dem STANDARD. Die Anstrengungen seien zwar lobenswert, doch echter Wandel brauche viel Zeit.

Heimliche Rückbauten

Das gilt besonders für den Entwicklungsriesen, der 60 Prozent seiner Energieversorgung aus Kohle gewinnt. Die Führung setzte 2013 den Hebel bei 28 ausgewählten Städten Nordchinas an, einschließlich Peking. Sie sollten bis Ende 2017 ihre Kohleverbrennung stark einschränken. Das wichtigste Mittel dazu war der Abbau industrieller Überkapazitäten. Bis 2021, so lautet nun die Fortsetzung dieses Plans, sollen alle 28 Städte Nordchinas in ihrer Heizung "kohlefrei" werden.

2017 beschleunigte Peking die Umstellung der Öfen auf Gas und Strom. 126.000 Familien bekamen Gasheizungen. Noch schneller ging es in der Nachbarprovinz Hebei zu. 2017 mussten dort 2,3 Millionen Bauernfamilien Gas- und 200.000 Haushalte Stromheizungen installieren.

Die Eile hatte Folgen. Weder die Verlegung von Pipelines noch die Gasversorgung hielten Schritt. Die Zeitschrift "Caixin" beschrieb, wie tausende Bauern heimlich ihre Kohleöfen zurückbauten. Die Nachrichtenagentur Xinhua meldete im Dezember, dass 426.000 Haushalte in Nordchina nun zwar neue Öfen, aber kein Gas hatten.

Selbstverschuldete Krise

Hinzu kam der besonders eisige Winter, der Ende 2017 die Gaspreise explodieren ließ. Von Anfang Dezember an wurde die Versorgung der petrochemischen Industrie in drei Provinzen mit Naturgas reduziert oder ganz eingestellt, um die Haushalte versorgen zu können. Peking schlitterte damit in eine Art selbstverschuldete Gaskrise. Doch nun ist der Smog trotzdem wieder da. Er soll noch bis Donnerstag bleiben, bevor eine neue Kaltfront ihn auflöst. (Johnny Erling aus Peking, 16.1.2018)