Nein heißt Nein: Eine #MeToo-Demo vor einem Trump-Gebäude unlängst in New York City.

Foto: Erik McGregor

Die sexuelle Freiheit ist bedroht. Dieser Warnruf ertönt leider nicht nur aus Frankreich, wo eine Gruppe um die Schauspielerin Catherine Deneuve jüngst die "Freiheit zu belästigen" forderte und damit für die zu erwartenden Diskussionen sorgte. In einem STANDARD-Kommentar sprang man auf diesen Zug auf und beantwortete die Skandalisierung sexueller Gewalt mit der hämischen Frage: "Euch hat mal jemand ans Ohr gegriffen?"

Es war leider abzusehen, dass die so ermutigende #MeToo-Bewegung, die mit Oprahs flammender Golden-Globes-Rede gerade ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht hat, nicht unumstritten bleiben würde. Die betretenen Gesichter bei den Globes, die selbst Nominierte aussehen ließen, als hätte sie die Kamera gerade beim Füßeln erwischt, wandeln sich wieder ins altbekannte "Aber man wird doch wohl noch!"-Trotzgebaren, sobald die Scheinwerfer aus sind. Man wird doch wohl noch flirten und Sex haben dürfen, heißt das im konkreten Fall.

Die Unterstellung, hinter der ganzen Aufregung verberge sich nichts als prüde Sexualitätsfeindlichkeit, ist so alt wie der Feminismus selbst. Doch das tradierte Klischee von den lustfeindlichen Emanzen hat offenbar auch in Zeiten eines dezidiert sexpositiven Feminismus nichts an seiner diskursiven Schlagkraft eingebüßt.

Bemüht wird es nun auch von den "Adults for Adults"-Autorinnen, die in ihrem Kommentar statt von Belästigung lieber von "sexueller Initiative" sprechen und völlig ungeniert so tun, als ginge es bei #MeToo um die Ablehnung lustvoller Sexualität – und nicht um die von sexueller Gewalt.

Vermischung von Sexualität und sexueller Gewalt

Es wird darin sogar allen Ernstes insinuiert, dass Frauen nach einer einvernehmlich verbrachten Nacht mitunter nur deshalb Vergewaltigungsvorwürfe erheben würden, weil der Heiratsantrag am Morgen danach ausbleibt oder der Bettgenosse doch bloß Flugbegleiter und "nicht Pilot ist". Eine sexistische Breitseite, wie sie auch der Stammtisch nicht übler hätte vorbringen können.

Gründungsmitglied der Organisation mit dem etwas kindischen Namen "Adults for Adults" ist der Wiener Philosophieprofessor Robert Pfaller, der grundsätzlich gerne gegen politische Korrektheit polemisiert und in den Feuilletons nun auch gegen #MeToo Stimmung macht: Die ganze Empörung verdanke sich letztlich einer puritanischen Sexualfeindlichkeit und führe zu Selbstviktimisierung.

Bei den prominenten Fällen, die von Pfaller als Luxusprobleme von Hollywoodschauspielerinnen abgetan werden, handelt es sich zum Teil um Vergewaltigung und brutale sexuelle Nötigung. Davon unbeeindruckt wird so getan, als gäbe es plötzlich eine wildgewordene weibliche Lynchjustiz, die Männern nun schon bei unbeholfenen Komplimenten das Wort im Mund und bei anstreifendem Knie gar gleich den Hals umdrehen würde. Bei sexueller Belästigung, die so offensichtlich ist wie ein Schlag ins Gesicht, wird mit bangen Mienen von "Grauzonen", "schmalem Grat" und "schwierigen Grenzziehungen" gesprochen.

Die Vermischung von Sexualität und sexueller Gewalt ist jedoch mitnichten #MeToo anzulasten. Die Kampagne ist im Gegenteil getragen vom ehrlichen Bemühen, ein gesellschaftliches Bewusstsein für die – in den allermeisten Fällen sehr klare! – Grenze zwischen gewaltvollem Machtmissbrauch und einvernehmlicher Sexualität zu schaffen. Denn das ist bitter nötig: Knapp ein Drittel aller Europäer hält laut einer Eurobarometer-Studie Vergewaltigung unter bestimmten Umständen (etwa aufreizende Kleidung) für zulässig.

Vorwurf der Sexualitätsfeindlichkeit

Es sind stattdessen vielmehr gerade die #MeToo-Kritiker, die diese Vermengung gezielt betreiben, indem sie so tun, als handle es sich bei Sexualdelikten in der Regel um eine "Auslegungssache". Eine weitere Argumentationsstrategie, die dabei neben dem Vorwurf der Sexualitätsfeindlichkeit zum Einsatz kommt, ist ebenso alt und bewährt. Aufgrund der schwierigen Beweisführung bei sexualisierter Gewalt würden Anklagen gerne aus persönlicher Rachsucht oder gar aus politischem Kalkül eingesetzt, um Männer zu demontieren, heißt es. Statt der Unschuldsvermutung gäbe es eine geifernde Hysterie, die Einzelne nicht selten Amt und Ansehen gekostet hätte. (Als Beispiel dient hier natürlich Peter Pilz – der passenderweise gerade seine Rückkehr in den Nationalrat angekündigt hat.)

Bis jetzt ist freilich noch niemand wegen einer ungeschickten Anmache oder eines anstreifenden Arms gekündigt worden. Selbst das Verbrechen der Vergewaltigung wird so selten geahndet wie kaum ein anderes Gewaltdelikt, obwohl sie eine der häufigsten Formen von Gewalt gegen Frauen ist. Unter zehn Prozent aller Vergewaltigungen werden hierzulande überhaupt nur zur Anzeige gebracht, von den eingebrachten Anzeigen wiederum führt nur ein kleiner Bruchteil zu einer Verurteilung. Die immer wieder heraufbeschworenen Fehlbezichtigungen sind laut allen verfügbaren Expertisen hingegen verschwindend gering.

Wenn nun dafür plädiert wird, Frauen mögen bei Gewalterfahrungen doch bitte den juristischen Weg wählen, statt öffentlich zu lamentieren, ist das also bestenfalls zynisch. Schlimmstenfalls ist es eine perfide reaktionäre Strategie, um eine lange überfällige gesellschaftliche Debatte über die globale Allgegenwart sexualisierter Gewalt schnell wieder abzuwürgen.

Das wird zum Glück nicht gelingen. (Lea Susemichel, 15.1.2018)