Die 16-jährige Ahed Tamimi (Mitte) hat vor laufender Kamera einen israelischen Soldaten geschlagen. Nun steht sie vor Gericht.

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Knapp einen Monat nach der Verhaftung der 16-jährigen Palästinenserin Ahed Tamimi hat am Montag vor dem israelischen Militärgericht der Prozess gegen sie begonnen. Das Mädchen hatte am 15. Dezember vor dem Haus ihrer Familie im Westjordanland einen israelischen Soldaten getreten und geschlagen. Ihre Mutter filmte den Vorfall, das Video kursierte kurze Zeit später in den sozialen Netzwerken. Israelische Soldaten sind darin zu sehen, wie sie sich nicht provozieren lassen und ruhig bleiben – auf israelischer Seite sind sie dafür gelobt worden.

Für Ahed Tamimi hatte der Vorfall Konsequenzen: Wenige Tage später wurde sie festgenommen und sitzt seither in Untersuchungshaft. Seit 1. Jänner ist sie in zwölf Punkten angeklagt – auch weil sie in den vergangenen zwei Jahren unter anderem Steine geworfen und Soldaten gedroht haben soll. Beobachtern zufolge könnten ihr mehrere Jahre Haft drohen. Auch ihre Mutter Nariman sitzt in Untersuchungshaft, angeklagt unter anderem wegen Konfrontationen mit den Soldaten und Aufruf zu terroristischen Akten auf Facebook. "Es ist schwer", sagte der Vater Bassem Tamimi kurz vor Prozessbeginn: "Es gibt nun viel zu tun, Haushalt, Kinder, all die Medienanfragen. Aber wir sind bereit, unseren Kampf fortzusetzen." Zuletzt protestierte die Familie am Samstag mit Unterstützern für die Freilassung der beiden.

Umstrittene Figur

Der Fall Ahed Tamimi ist umstritten: Für die einen ist sie eine gewalttätige Extremistin, andere sehen eine mutige Freiheitskämpferin in ihr. Mehrere Mitglieder der Großfamilie Tamimi im Dorf Nabi Saleh, rund 20 Kilometer nördlich von Ramallah, protestieren seit einigen Jahren nahezu wöchentlich gegen die israelische Besatzung – friedlich, versichern sie. Doch es fliegen immer auch Steine in Richtung der Soldaten. "Steine gegen Soldaten sind keine Gewalt, es ist Teil des friedlichen Protests", erklärte Bassem Tamimi in einem Gespräch im vergangenen Jahr: "Wenn du in der Wildnis einem aggressiven Wildschwein begegnest, dann nimmst du doch auch einen Stein in die Hand, um dich zu verteidigen."

Die israelischen Soldaten reagieren darauf mit Tränengas und Gummigeschossen. Wenige Stunden vor dem Vorfall im Dezember traf ein solches Geschoss Ahed Tamimis 15-jährigen Cousin am Kopf und verletzte ihn schwer. Die Tamimis setzen bei den Protesten auch bewusst Kameras ein: Kinder und Jugendliche provozieren die Soldaten, schreien und schimpfen, stoßen und schlagen manchmal, in der Hoffnung, dass die Soldaten die Fassung verlieren. "Pallywood" nennen Kritiker den Versuch, möglichst brutale Bilder zu inszenieren. Vater Bassem Tamimi kennt die Vorwürfe: "Man sagt, dass wir die Kinder Gefahren aussetzen. Doch wo ist es hier schon sicher?" Zu Aheds Unterstützern zählt auch Palästinenserpräsident Mahmud Abbas, der die Familie nach Aheds Verhaftung anrief und lobte.

Abbas' Kritik an Trump

Für Aufsehen sorgte am Abend vor dem Prozessbeginn Abbas' Rede vor dem PLO-Zentralrat, in der er die Oslo-Verträge für tot erklärte und die US-Politik eine "Ohrfeige des Jahrhunderts" nannte. Seit der Rede von US-Präsident Donald Trump im Dezember, in der er Jerusalem als Israels Hauptstadt anerkannte, sind die Beziehungen zwischen Palästinensern und USA angespannt. Zudem hatte Trump angedroht, Hilfsleistungen an die Palästinenser zu kürzen, wenn diese nicht an den Verhandlungstisch zurückkehren. Nun scheint es Berichten zufolge wahrscheinlich, dass die USA nur rund die Hälfe der ersten Jahrestranche von 125 Millionen US-Dollar an das UNRWA, das UN-Flüchtlingswerk für Palästinenser, auszahlen wird. (Lissy Kaufmann aus Tel Aviv, 16.1.2018)