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Schweißer zählen zu den Mangelberufen.

Foto: dpa/Jens Büttner

Frage: Die SPÖ schlägt Alarm. Die Regierung plane einen massiven Zuzug von Ausländern aus Nicht-EU-Ländern. Worum geht es?

Antwort: Die SPÖ reagiert damit auf Pläne der Regierung, in Branchen mit vielen offenen Stellen mehr Arbeitskräfte aus Drittstaaten zuzulassen. Das schließen die Roten aus der Absicht, bei der Mangelberufsliste auf regionale Gegebenheiten abzustellen, wie es im Regierungsprogramm heißt. In drei Jahren könnten somit 150.000 Migranten nach Österreich zuwandern, so die Befürchtung.

Frage: Die SPÖ als Kämpferin gegen Zuzug. Ist das nicht eher das Metier der FPÖ?

Antwort: De facto ergibt sich beim Thema Arbeitsmigration eine Schnittmenge zwischen Rot und Blau. Beide Parteien sehen dadurch heimische Arbeitsplätze bzw. das Lohnniveau in Gefahr, weil der Druck auf die Einkommen durch den Zuzug steigt. Es ist kein Zufall, dass SPÖ-Teile – vor allem Gewerkschaft und Arbeiterkammer – in Sachen befristeter Tätigkeit von Osteuropäern (Entsendungen) und Zuwanderung massiv auf der Bremse stehen.

Frage: Hat nicht der frühere Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) zuletzt die Mangelberufsliste stark erweitert?

Antwort: Das stimmt. War 2017 noch bei elf Berufen die Anstellung von Fachkräften aus Drittstaaten möglich, werden es heuer 27 sein. Allerdings hat die Konjunktur nach Jahren der Flaute 2017 spürbar angezogen, und die Arbeitslosigkeit ist wieder zurückgegangen. Zudem wurden im vergangenen Jahr gerade 164 Personen aus einem Drittstaat für den österreichischen Arbeitsmarkt über die Mangelberufsliste zugelassen, wie aktuelle Zahlen des Innenministeriums zeigen. Angesichts dieses kleinen Personenkreises dürfte die Aufstockung nicht zu Massenmigration führen.

In einigen Regionen könnte selbst für Frisieren ein Mangel erkannt werden, befürchtet die SPÖ.
Foto: APA/Barbara Gindl

Frage: Was ist ein Mangelberuf?

Antwort: Ob in einem Beruf ein Mangel an Arbeitskräften herrscht, wird an folgender Kennzahl bemessen: Pro offene Stelle darf es in der Branche maximal 1,5 Arbeitslose geben. Ein Beispiel: Auf 207 gesuchte Fräser kamen zuletzt 73 Arbeitslose Fräser. Das ergibt einen Schlüssel von 0,4 – somit handelt es sich um einen Mangelberuf in der Definition des Arbeitsmarktservice AMS.

Auf Basis der vom AMS festgestellten österreichweiten Mangelberufe handeln die Sozialpartner, also Arbeitgeber und Arbeitnehmer, eine Liste aus. Diese ist begrenzter als die AMS-Liste, weil nicht jeder Job geeignet ist für Migranten (Justizwache), aber auch weil die Gewerkschaft in manchen Sektoren keine Öffnung will. Über eine Verordnung macht das Sozialministerium die bundesweite Mangelberufsliste offiziell.

Frage: Wie hängt diese Liste nun mit der Einwanderung zusammen?

Antwort: Bürger, die nicht aus einem EU-Land, einem Staat des Europäischen Wirtschaftsraums (Norwegen etwa) oder der Schweiz kommen und nicht bereits im Inland leben, dürfen nur unter bestimmten Voraussetzungen eine Arbeit in Österreich aufnehmen. Sie brauchen eine Rot-Weiß-Rot-Karte. Wer gut ausgebildet ist und gut in seiner Heimat verdient, ob nun in den USA oder in der Ukraine, kann eine Rot-Weiß-Rot-Karte für Hochqualifizierte beantragen.

Eine andere Möglichkeit besteht darin, eine Rot-Weiß-Rot-Karte für einen der bundesweit existierenden Mangelberufe zu ergattern. Dazu ist es notwendig, eine konkrete Stellenzusage von einem Arbeitgeber zu haben. Zudem muss der Bewerber eine bestimmte Punktezahl erfüllen. So gibt es etwa für gute Deutschkenntnisse, mehrere Jahre Berufserfahrung und junges Alter Punkte. Die Hürde ist also nicht ohne weiteres zu überwinden.

Frage: Was würde sich ändern, wenn man künftig auf regionale Gegebenheiten abstellt?

Antwort: Die Zahl der Mangelberufe würde von aktuell 27 sprunghaft steigen. In Oberösterreich gibt es derzeit weit mehr als 100 Berufe, in denen laut AMS-Definition ein Mangel herrscht, in Tirol immerhin fast 80. Dass dann 150.000 Zuwanderer ins Land strömen würden, "ist natürlich Blödsinn", wie der Arbeitsmarktexperte August Gächter sagt. Arbeitskräfte fehlen zumeist in der Industrie, im Handwerk und in der Gastronomie. Für handwerkliche Berufe wird es in Drittstaaten schwer bis kaum möglich sein, gut qualifiziertes Personal zu finden, glaubt Gächter.

Das österreichische System mit seiner Berufsausbildung ist nämlich eine Seltenheit. Aber sogar wenn ein Bewerber aus dem Ausland gut qualifiziert ist, wird er in vielen Fällen nicht ausreichend Deutsch können, damit ihn ein Betrieb anstellt. Noch eher Bedeutung könnte eine Erweiterung der Mangelberufsliste in der Industrie haben, so Gächter, wo Sprachkenntnisse weniger wichtig sind.

In der Gastronomie wird derzeit besonders intensiv über Mobilität diskutiert.
Foto: APA/Herbert Pfarrhofer

Frage: Und was ist mit der Gastronomie, wo viele Stellen in Westösterreich unbesetzt bleiben?

Antwort: Auch hier könnte eine Erweiterung bedeutend werden. Gächter sieht aber eher Arbeitgeber- und Arbeitnehmerverbände gefordert, um für bessere Arbeitsbedingungen zu sorgen. Die Entlohnung sei vielfach nicht ausschlaggebend dafür, dass ein arbeitsloser Koch nicht von Wien nach Vorarlberg ziehen wolle. Der Umgangston in der Küche sei rau, zudem sei der Job stressig. Das schrecke viele ab, so Gächter.

Arbeitnehmer aus Wien würden in Tirol und Vorarlberg zudem häufig diskriminiert werden, weil man Wienern skeptisch gegenüberstehe. Die Ausbildung in Wien wird oft geringgeschätzt. In einigen Branchen müsste zudem die Attraktivität von Lehrberufen mittels ausgeklügelten Werbekampagnen gesteigert werden.

Frage: Wie sehen Gewerkschaft und Arbeitgeber die Sache?

Antwort: Bei Mangelberufen auf "regionale Gesichtspunkte" in den einzelnen Bundesländern Rücksicht zu nehmen ist eine alte Forderung der Industriellenvereinigung. Die IV hat häufig kritisiert, dass die Rot-Weiß-Rot-Karte zu wenig Zuzug ermöglicht. Die Gewerkschaft steht der Mangelberufsliste und einer regionalen Erweiterung ablehnend gegenüber. Die Liste sei eine "Ausrede" für Unternehmer, um nicht Entlohnung und Arbeitsbedingungen in den Branchen ohne ausreichende Zahl an Bewerbern verbessern zu müssen, so der leitende Gewerkschafter Bernhard Achitz.

Würde man in der Gastronomie mehr zahlen, würden im Westen nicht so viele Köche fehlen. Achitz argumentiert, dass eine stärkere Öffnung für Mangelberufe langfristig dafür sorgt, dass Zuwanderung in alle Branchen steigt. Nach zwei Jahren darf ein Arbeitnehmer, der via Mangelberufsliste gekommen ist, in der Regel jeden Job annehmen. (Andreas Schnauder, András Szigetvari, 16.1.2018)