Carles Puigdemont hat sich durch die Flucht nach Belgien in Sicherheit vor den spanischen Behörden gebracht. Nun will er als katalanischer Premier via Videoschaltung vereidigt werden.

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Barcelona/Madrid – Das neugewählte katalanische Parlament tritt am Mittwoch erstmals zusammen. Die Befürworter der Unabhängigkeit Kataloniens – Carles Puigdemonts Partei Gemeinsam für Katalonien (JxCat), die Republikanische Linke (ERC) und die antikapitalistische Kandidatur der Volkseinheit (CUP) – haben mit 70 von 135 Abgeordneten erneut die absolute Mehrheit und wollen sie nutzen. Der von der konservativen Regierung Spaniens unter Mariano Rajoy mithilfe des Verfassungsartikels 155 abgesetzte katalanische Ministerpräsident Puigdemont soll abermals an die Spitze der Autonomieregierung gewählt werden.

Doch das Ganze hat einen Haken: Der 55-Jährige hält sich seit Ende Oktober 2017 in Brüssel auf. Sobald er spanisches Staatsgebiet betritt, droht ihm Untersuchungshaft. Gegen ihn wird wie gegen seine ehemaligen Minister und die Mitglieder des Präsidiums des alten katalanischen Autonomieparlaments wegen "Rebellion", "Aufstands" sowie "Veruntreuung öffentlicher Gelder" ermittelt. Insgesamt stehen darauf 55 Jahre Haft. Puigdemonts Vize, Oriol Junqueras, ein Minister sowie zwei Aktivisten sitzen deshalb seit über zwei Monaten in Untersuchungshaft, vier weitere Minister sind wie Puigdemont in Brüssel.

Referendum trotz Verbots

Die Strafverfolgung durch das Oberste Gericht Spaniens wurde aufgenommen, nachdem die katalanische Regierung am vergangenen 1. Oktober trotz Verbots aus Madrid ein Unabhängigkeitsreferendum durchgeführt hatte und Ende des Monats schließlich die Loslösung von Spanien erklärte. Der spanische Regierungschef Rajoy enthob die katalanische Regierung des Amtes und setzte die Neuwahlen vom 21. Dezember an.

Bei der Eröffnungssitzung am Mittwoch geht es erst einmal darum, das Parlamentspräsidium mehrheitlich zu besetzen. Eine Möglichkeit wäre eine Amtseinführung per Videokonferenz, eine andere die Verlesung des Regierungsprogramms durch einen Parteikollegen. Die Juristen des Parlaments wollen davon nichts wissen – doch ihr Urteil ist nur eine Empfehlung an das künftige Parlamentspräsidium. Die Geschäftsordnung der katalanischen Volksvertretung gibt nicht viel zum Thema her. Als sie geschrieben wurde, kam niemand auf die Idee, dass dies einmal wichtig sein könnte.

Nur dünne Mehrheit

Die Verfechter der Unabhängigkeit verfügen nur über eine dünne Mehrheit. Der Block der sogenannten Unionisten – der bedingungslosen Verfechter der Einheit Spaniens – hat zusammen 57 Abgeordnete. Diesem Block gehören die stärkste Fraktion im neuen Autonomieparlament Cuidadanos (C's), die Sozialisten (PSC) und der in Madrid regierende Partido Popular (PP) an. Catalunya En Comú Podem (Katalonien Gemeinsam können wir) – ein Bündnis aus Podemos und der Partei der Bürgermeisterin von Barcelona, Ada Colau, die weder die einen noch die anderen unterstützen will – stellt die restlichen acht Abgeordneten.

Es könnte knapp werden bei der Abstimmung über das Parlamentspräsidiums, denn zusammen mit Puigdemont sind sieben weitere der neuen Parlamentarier in Haft oder in Belgien. Die erste Frage, die es zu klären gilt, ist, ob die Abwesenden ihre Stimme delegieren können.

Spanische Regierung sieht "absurde Entscheidung"

Am liebsten wäre Puigdemont zurückgekommen. Nach Angaben aus den Reihen von JxCat versuchte sein Anwalt vergeblich mit dem Richter in Madrid auszuhandeln, dass er nicht verhaftet wird. Rajoy kommt dies gelegen. Er will auf keinen Fall, dass Puigdemont erneut katalanischer Ministerpräsident wird.

Sollte Puigdemont auf eine Amtseinführung per Videokonferenz bestehen, werde Madrid eine solche "absurde Entscheidung" vor Gericht anfechten. Außerdem will Rajoy dann die Zwangsverwaltung Kataloniens aufrechterhalten. Er könnte dann sogar erneute Wahlen ausrufen. (Reiner Wandler aus Madrid, 16.1.2018)