Wien – "Die Eltern haben gesagt: 'Fahrt mit dem Taxi, das ist sicherer als die U-Bahn'" erinnert sich Zeugin B. an den März 2011, als die damals 16-Jährige zwei gleichaltrige Freundinnen zum Taxi von Ilker Y. begleitete. Der elterliche Ratschlag hat sich für eine der Freundinnen als auf furchtbare Weise falsch herausgestellt, sollte die Anklage gegen den 48-Jährigen stimmen: Y. soll die schwer betrunkene Teenagerin damals entjungfert haben.

Und sie soll nicht sein einziges Opfer gewesen sein: Ein Jahr zuvor soll er eine ebenfalls alkoholisierte 20-Jährige nach der Fahrt in ihre Wohnung begleitet und dort vaginal und anal penetriert haben. Im August 2017 schließlich habe er einer 24-Jährigen, die in seinem Fahrzeug auf der Rückbank eingenickt war, über der Hose auf das Geschlecht gegriffen und ihr, wie auch der 16-Jährigen, Geld gestohlen.

"Situation ausgenutzt"

Dem Schöffensenat unter Vorsitz von Petra Poschalko gegenüber präsentiert sich der wegen Betrugs Vorbestrafte ruhig. Schuldig bekennt er sich nur zu dem Fall aus dem Jahr 2010 – seine DNA-Spuren wurden sichergestellt. "Dass er die Situation ausgenutzt hat, gibt er zu, und es tut ihm leid", kündigt Philipp Winkler an, der den Mann gemeinsam mit Eva Velibeyoglu verteidigt. Im Fall der 16-Jährigen sei er dagegen von einvernehmlichen Sex ausgegangen, der dritte Fall stimme überhaupt nicht.

Seit 25 Jahren fahre er Taxi, verrät der angeklagte Österreicher der Richterin. Eigentlich ist der gebürtige Türke nach Wien gekommen, um sein Studium zu beenden, aus dem Nebenjob wurde aber ein Unternehmen. In der besten Zeit fuhren 30 Wägen für ihn, nach finanziellen Schwierigkeiten ist der fünffache Vater nun wieder einfacher Chauffeur.

Zum Vorwurf aus dem April 2010 kann er nicht viel sagen. "Ich war schon dort, aber wie es genau passiert ist, weiß ich nicht mehr", erklärt der Angeklagte. "Wie kommen Sie dazu?", wundert sich die Vorsitzende. "Sie sollte es gesagt haben, aber ich weiß es nicht mehr", vermutet Y. eigentlich eine Einladung des Opfers. "Kommt das öfters vor?", staunt Poschalko. "Manchmal gehe ich mit zur Wohnung, wenn die Gäste Geld vergessen haben. Aber nicht oft."

"Gefährliche Stelle"

An den März 2011 kann sich der Angeklagte dagegen wieder genau erinnern. In den frühen Morgenstunden habe er drei Mädchen am Gürtel bei der Nußdorfer Straße gesehen, als er von einer WC-Pause zurück zum Wagen ging. Sie hätten ein Taxi gesucht, er habe sich angeboten. "Dort ist eine unübersichtliche Kurve, das ist eine gefährliche Stelle, ich habe sie über die Straße begleitet", erzählt er.

Zwei der Mädchen seien schließlich in sein Fahrzeug gestiegen. Die Erste brachte er nach Donaustadt, zu seiner Überraschung wollte die Zweite in die entgegengesetzte Richtung, eine niederösterreichische Ortschaft südlich von Wien. "Ich habe ihr gesagt, dass die Rechnung jetzt schon 30 Euro sind und es bis Niederösterreich zwischen 80 und 100 Euro werden." Das Mädchen habe geantwortet, das sei kein Problem.

Seiner Schilderung nach muss die Fahrt romantisch gewesen sein. Man habe geplaudert, "Dann ist es zu Berührungen gekommen. Von beiden. Ich hatte meine Hand am Schalthebel. Wir haben uns an den Händen gehalten." Bei einer Ampel habe man sich geküsst. "Warum?", fragt Poschalko. "Es ist einfach passiert."

Kondom im Handschuhfach

Schlussendlich habe er irgendwo geparkt. "Wir wollten, oder ich wollte, oder wir wollten küssen und kuscheln", behauptet er. Das Mädchen habe gefragt, ob er ein Kondom dabeihabe, anschließend habe sie mit ihm auf dem Beifahrersitz geschlafen. "Ich habe nicht bemerkt, dass sie entjungfert wurde. Ich habe auch kein Blut gesehen", behauptet er.

Danach brachte er sie zum Fahrtziel, den Fuhrlohn von 90 Euro konnte sie nicht zahlen. "Sie hat mir 30 Euro und ein paar Münzen gegeben. Ich habe gefragt, ob sie ihre Eltern aufwecken kann, das wollte sie nicht. Dann habe ich ihr meine Telefonnummer aufgeschrieben und gesagt, sie soll es mir geben, wenn sie wieder einmal in Wien ist."

"Wie kommt ein junges Mädchen mit wenig sexueller Erfahrung dazu? Das scheint mir nicht logisch. Passiert das öfters?", fragt die Vorsitzende ruhig. "Nein", hört sie als Antwort. "Aber hätte sie Nein gesagt, hätte ich nichts gemacht", beteuert Y. mit Überzeugung. "Haben Sie immer ein Kondom dabei? Sie sind ja noch verheiratet beziehungsweise jetzt schon lange in einer Lebensgemeinschaft?", hat auch der Beisitzer Aufklärungsbedarf. Das sei ein Zufall gewesen, behauptet der Angeklagte.

Kundin bediente Navi selbst

Den dritten Anklagepunkt bestreitet der Mann kategorisch. Die Frau habe sich mit einem Begleiter gestritten und eine blutende Wunde am Oberschenkel gehabt, als sie am Schwarzenbergplatz zugestiegen sei. Sie sei so aufgeregt gewesen, dass er dreimal das Fahrziel nicht verstanden und sie es schließlich selbst ins Navigationsgerät eingetippt habe.

"Ich habe ihr gesagt, das wird so 20 Euro kosten. Sie hat in ihrer Handtasche gesucht und dann den ganzen Inhalt ausgeschüttet", schildert er. Möglicherweise habe er beim Helfen, die Gegenstände wieder einzuräumen, DNA-Spuren an der Geldbörse hinterlassen, bewusst habe er sie nicht angegriffen.

Kurz vor der von der Kundin eingetippten Destination habe er bemerkt, dass die Frau eingeschlafen war, daher habe er nach hinten gegriffen und sie am Unterschenkel gerüttelt. Die Reaktion sei eine überraschende gewesen: "Sie hat gesagt, was wir hier machen, und behauptet, sie muss ganz woanders hin."

Da die neue Adresse nicht allzu weit entfernt gewesen sei, sei er ohne Aufpreis dorthin gefahren. "Sie hat sich die ganze Zeit beschwert und schließlich gesagt, ich habe ihr Geld gestohlen!", kann er den Vorwurf nicht verstehen. Er sei sogar bereit gewesen, selbst die Polizei zu rufen, um das zu klären, dass habe die Frau aber nicht gewollt.

Opfer übergab sich auf Gehsteig

Die Opfer selbst werden unter Ausschluss der Öffentlichkeit einvernommen. Zeugin B., die Freundin der 16-Jährigen, schildert ihre Erinnerung dagegen vor Publikum. Sie sei mit ihren beiden ziemlich illuminierten Freundinnen überfordert gewesen. Das Opfer habe auf die Straße erbrochen und sei am Gehsteig gesessen. "Da ist ein Herr gekommen und hat gefragt, ob er uns helfen kann. Er hat erst Taschentücher gebracht und dann gesagt, dass er Taxifahrer ist."

Sie habe ihre beiden Begleiterinnen nach deren Adresse gefragt und sie dem Mann mitgeteilt. "Er kann also in Donaustadt nicht überrascht gewesen sein, dass er auch nach Niederösterreich muss?", präzisiert die Vorsitzende. "Nein, das hat er gewusst. Ich habe mir ja noch gedacht, dass es ein Umweg ist, man hätte ja auch zwei Taxis nehmen können."

Sie selbst fuhr mit der U-Bahn und wurde von ihrem Freund abgeholt. Die erste Freundin erreichte sie nach der Heimkehr noch, die Niederösterreicherin nicht mehr. "Am nächsten Tag hat sie angerufen und gesagt: 'Ich bin keine Jungfrau mehr.'" Sie könne sich aber nicht mehr so genau erinnern, was passiert sei. Außerdem sei ihre Geldbörse leer. "Ein paar Tage später sind wir dann zur Polizei gegangen, nachdem ich mit meiner Mutter geredet habe." – "Warum erst ein paar Tage später?", fragt Verteidiger Winkler nach. "Weil wir überfordert waren. Wir waren 16."

Da das Opfer von 2010 angibt, durch den Vorfall an einer posttraumatischen Belastungsstörung zu leiden, modifiziert die Staatsanwältin die Anklage, wodurch sich der Strafrahmen von ein bis zehn Jahren auf fünf bis 15 ändert. Pflichtgemäß beantragt Winkler daher ein psychiatrisches Gutachten, Poschalko muss deshalb auf unbestimmte Zeit vertagen. (Michael Möseneder, 16.1.2017)