Man sollte Donald Tusk und Jean-Claude Juncker nicht unterschätzen. Die beiden sind im Moment die Großmeister im aktiven Führungspersonal Europas, was politische und historische Erfahrung betrifft.

Der eine war als junger Mann dabei, als die Solidarnosc ab 1980 in Polen die Generäle und die kommunistische Diktatur wegstreikte. Der andere ist ein jahrzehntelanger Regierungspolitiker, der als Finanzminister von Luxemburg 1992 den EU-Vertrag von Maastricht mitkonzipierte – Grundlage für die Währungsunion, den Euro, für die politische Union, viele Freiheiten unserer Tage.

Beide haben vor allem eines gelernt: niemals aufzugeben, vor allem dann nicht, wenn es um die wichtigsten Dinge von Staat und Gesellschaft geht, um den Zusammenhalt.

So ist auch beider Vorstoß einzuordnen, wonach die Briten weiter herzlich als EU-Mitglieder willkommen seien, sollten sie in einem zweiten Referendum gegen den EU-Austritt stimmen. Das klingt auf den ersten Blick wie ein schlechter Witz. Völlig unrealistisch. Erst vor Weihnachten beschlossen die Staats- und Regierungschefs, wie sie den geordneten Brexit abwickeln wollen. Sie kamen der taumelnden Regierungschefin Theresa May in deren Brexit-Chaos entgegen.

In den eineinhalb Jahren nach dem Referendum hat sie es nicht geschafft, Nägel mit Köpfen zu machen. Die EU-27 sind dennoch bereit, sofort mit den Gesprächen über ein künftiges Freihandelsabkommen zu reden, damit das Land 2019 nicht in ein Desaster schlittert, wenn es den Binnenmarkt der Partner mit rund 440 Millionen Konsumenten verliert.

Man hätte also glauben können, der Brexit laufe jetzt konstruktiv an. Aber ganz im Gegenteil, innerbritisch startete eine Debatte über eine zweite Volksabstimmung. An diesem Punkt setzte das Duo Tusk/Juncker an, der Ratspräsident sogar sehr persönlich, indem er sich vom Plenum des EU-Parlaments aus direkt an die 65 Millionen Briten wandte, sie der "offenen Herzen" der Europäer versicherte.

Dazu gibt es zwei Lesarten: Die beiden meinten das zynisch, um den Druck auf May zu erhöhen. Oder die "alten Hasen" glauben trotz allem, dass die Vernunft doch noch einkehrt, dass die Bürger dies- und jenseits des Ärmelkanals erkennen, was der Brexit mit Sicherheit bewirkt: Verlierer auf beiden Seiten, Schwächung. Und dass man – wie 2015 beim drohenden Grexit in der Eurokrise – niemals aufhören darf, um Menschen und Länder zu kämpfen. (Thomas Mayer, 16.1.2018)