Erster Joker der Filmgeschichte: Conrad Veidt.

Foto: Filmarchiv Austria

Wien – Wenn er zum ersten Mal in einem Film auftauchte, machte er seinen Auftritt stets zur Erscheinung. Denn zur hohen Gestalt, mit der er sich der Leinwand bemächtigte, kam eine Besonderheit im Ausdruck hinzu: Kein anderer Darsteller sorgte im frühen deutschen Kino für derartige Verstörung wie Conrad Veidt.

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Der Titel der Retrospektive, die das Filmarchiv Austria für Veidt ausrichtet, erfasst und befeuert diese Sicht: Dämon, Teufel, Held, Genie. Veidt spielte diese Rollen nicht nur, er reizte ihre Extravaganz bis zum Äußersten aus. Neben ihm verschwanden viele Zeitgenossen im expressionistischen Schatten jener Tage.

1893 in Berlin in bürgerliche Verhältnisse geboren, absolvierte Veidt seine ersten kleinen Bühnenrollen bei Max Reinhardt am Deutschen Theater. "Er und nur er hat das Theater unserer Zeit begriffen!", so der damals knapp Zwanzigjährige über den Theatermacher, ehe der Weltkrieg seiner Bühnenkarriere ein Ende und jener auf der Leinwand den Boden bereitete. Noch vor Kriegsende aus der Armee entlassen, übernahm Veidt die Rolle eines homosexuellen Geigers in Richard Oswalds Aufklärungsfilm Anders als die Andern (1919) – der ersten Produktion, die sich offen des Themas annahm. Dass beinahe gleichzeitig mit der Gründung der NSDAP bereits das Ende der Weimarer Republik begonnen hatte, konnte auch Veidt nicht ahnen. Doch für die reaktionären Kräfte war er von Beginn an das Fremde, das alle Verhetzer so hassen, weil sie sich vor ihm fürchten.

"Hier liegt Balduin. Er kämpfte mit dem Teufel und verlor". Conrad Veidt in Henrik Galeens Stummfilmklassiker "Der Student von Prag" (1926)
Foto: filmarchiv austria

Robert Wienes Meilenstein Das Cabinet des Dr. Caligari (1919) machte ihn schließlich zum Star. Die Darstellung des Somnambulen Cesare, der für Werner Krauß als Schaubudenbesitzer und Leiter einer Irrenanstalt zum Auftragsmörder wird, war für Veidt die erste einer Reihe dämonischer Rollen. In Der Gang in die Nacht (1920), der frühesten erhaltenen Arbeit F. W. Murnaus, steht seine hagere Gestalt, ähnlich Max Schreck in Nosferatu, aufrecht in einem Ruderboot, das ihn an den Schauplatz dieser Tragödie übersetzt. Als blinder Maler zerstört er das Glück zweier Liebender.

Mörderisches Instrument

Doch Veidt verstand es, dieser Dämonie, dieser von seinen Figuren ausgehenden bedrohlichen Macht stets etwas Menschliches beizufügen: an der Seite von Emil Jannings in Das Wachsfigurenkabinett (1923) als Iwan der Schreckliche, vor allem aber in Wienes Orlac's Hände (1924), in der ihm als Konzertpianisten die Hände eines Mörders transplantiert werden. Wie Veidt aus Angst, dass ihm die Finger zum mörderischen Instrument werden, den Verstand zu verlieren droht, zählt zu den eindringlichsten Szenen der österreichischen Filmgeschichte.

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Als Universal-Produzent Carl Laemmle nach den Erfolgen der von schaurigen Figuren dominierten Horrorfilme wie The Phantom of the Opera einen Nachfolger für Lon Chaney suchte, war die Entscheidung klar: In einer seiner bemerkenswertesten Darstellungen brilliert Veidt als The Man Who Laughs (1927), jene Victor-Hugo-Figur, die durch ihr entstelltes Grinsen für die anderen zum Monster wird. Unvorstellbar die Figur des Joker in Batman ohne Veidts buchstäbliches Vorbild.

Doch der Siegeszug des Tonfilms verhinderte Veidts Hollywoodkarriere, zurück in Deutschland spielte er u. a. in dem Friedrich-Hollaender-Musical Ich und die Kaiserin den eleganten Marquis, der sich in das Springinkerl Lilian Harvey verliebt, einfach weil diese so schön singen kann.

Als er von Goebbels unter Hausarrest gestellt wurde, nachdem er dessen Angebot, seiner jüdischen Ehefrau einen "Ariernachweis" auszustellen, ausgeschlagen hatte, floh Veidt nach England – und setzte ein Zeichen: Den Jud Süß in der gleichnamigen britischen Feuchtwanger-Verfilmung von 1934 bezeichnete er als "eine der schönsten und komplexesten Rollen, die man sich als Schauspieler wünschen kann". Der Auftritt in Casablanca als Major Strasser sollte einer seiner letzten sein. Conrad Veidt starb 1943 in Kalifornien beim Golfspielen an einem Gehirnschlag. (Michael Pekler, 18.1.2018)