Es war allerhöchste Zeit, dass Spanien den gesetzlichen Mindestlohn (Salario Mínimo Interprofesional, SMI) erhöht. Die Rechtsregierung unter Premier Mariano Rajoy (Partido Popular) und die Sozialpartner einigten sich auf ein Plus von vier Prozent im aktuellen Jahr. Der SMI steigt bei vierzehn Gehältern von 707,6 auf 735,9 Euro. Für 2019 wurde ein weiteres Plus von fünf – und im Jahr darauf von zehn Prozent – auf schließlich 850 Euro akkordiert. Davon profitieren in etwa eine halbe Million Arbeitnehmer.

Für Andreu Cruañas, Präsident des Verbands der Zeitarbeitsagenturen ist diese Entwicklung positiv: "Es ist ein Wendepunkt, der die Qualität der Arbeitsplätze, aber auch die Wirtschaftsleistung durch den angekurbelten Binnenkonsum und die Steuereinnahmen steigern wird."

Santiago Carbó geht noch weiter: "Was unbedingt passieren muss, ist ganz generell eine Anhebung der Reallöhne", sagt der Wirtschaftsprofessor der renommierten Polit-Kaderschmiede Colegio Universitario de Estudios Financieros: "Die Niedriglöhne fesseln der spanischen Wirtschaft die Beine." Eine Diversifizierung der Wirtschaft, abseits des boomenden Tourismus und der Bauwirtschaft, hin zu wertschöpfenden, nachhaltigen Sektoren wie der Technologie wäre laut Carbó obligat.

Die Hälfte der spanischen Beschäftigten verdient derzeit weniger als 1000 Euro im Monat. War das Wort "mileuristas", die "Tausender-Verdiener", vor der Krise 2007 noch primär für junge Arbeitnehmer zutreffend, sind sie nun die Mehrheit, kritisiert die sozialistische Großgewerkschaft UGT. Laut ihrer Analyse der Daten des staatlichen INE-Statistik-Instituts erhält zehn Prozent der Erwerbstätigen nur 330 Euro monatlich. Fünfzehn Prozent sind Working Poor, darunter viele Scheinselbstständige.

Wunder mit Abstrichen

Das "Beschäftigungswunder", mit dem sich Rajoy feiert, unabhängig vom kräftigen Wirtschaftswachstum von über drei Prozent, ist auf einem brüchigen Fundament gebaut. Knapp 482.000 neue Stellen wurden 2017 geschaffen, die Zahl der Arbeitslosen sank gemäß dem Ceprede-Wirtschaftsforschungsinstitut um 17,1 Prozent oder rund 3,5 Millionen Personen. Geht es nach der Rajoy-Regierung, soll der Wert heuer auf unter fünfzehn Prozent weiter sinken.

Dass das gelingt, liegt keineswegs auf der Hand. Hindernisse für eine gedeihliche Entwicklung gibt es viele. Allen voran der Tourismusboom, der zur Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit auf Niedriglöhnen und Kurzzeitbeschäftigungen fußt. Gemäß INE-Statistik waren im Vorjahr 45 Prozent der Arbeitsverträge – 1, 7 Millionen an der Zahl – im Tourismusbereich auf unter eine Woche befristet.

Auch die politische Instabilität im abtrünnigen Katalonien dürfte sich noch als Bremse für das Beschäftigungswachstum erweisen. (Jan Marot aus Granada, 17.1.2018)