Andreas Schieder will in Wien die Vollbeschäftigung.

Foto: Matthias Cremer

Er sei davon ausgegangen, dass "mehr Projekte in der Pipeline sind". Mit diesen Worten kritisiert Andreas Schieder, der geschäftsführende SPÖ-Klubchef im Parlament, Wiens Wohnbaustadtrat Michael Ludwig im STANDARD-Interview. Schieder bezog sich dabei auf die 2015 angekündigte Wohnbauoffensive. Im Dezember 2017 kam es zum Spatenstich der ersten 120 Gemeindebaueinheiten. Schieder selbst plant, sollte er Bürgermeister werden, bis 2025 rund 25.000 neue Gemeindewohnungen in Wien zu bauen.

Zwei Stunden hat am Dienstagabend das erste Kandidatenhearing im Odeon-Theater für den künftigen Vorsitz der Wiener SPÖ gedauert. Danach gaben sich die Bewerber, Michael Ludwig und Andreas Schieder, geradezu amikal.
ORF

Beim Landesparteitag am 27. Jänner entscheiden 981 Delegierte in einer Kampfabstimmung, wer die Nachfolge von Bürgermeister Michael Häupl antritt und damit den Chefposten der Wiener SPÖ übernimmt.

STANDARD: Michael Ludwig hat einige Monate vor Ihnen gesagt, sich um die Nachfolge von Bürgermeister Michael Häupl bewerben zu wollen. Warum haben Sie sich erst Mitte November deklariert?

Schieder: Es ist eine Entscheidung, die man nicht leichtfertig mit einem Halbsatz verkündet. Ich habe überlegt, welche Chancen ich habe, das umzusetzen, was ich für wichtig halte. Die Situation im Bund hat eine klare Antwort gegeben. Schwarz-Blau hat schon im Wahlkampf mit dem Wien-Bashing begonnen.

STANDARD: Wurden Sie überredet?

Schieder: Nein.

STANDARD: Über den neuen Chef der Wiener SPÖ entscheiden 981 Delegierte. Der Wahlkampf ist speziell, weil Sie theoretisch jedem Wahlberechtigten die Hand schütteln könnten. Werden Sie das tun?

Schieder: Ich bin so lange in der SPÖ aktiv, dass ich viele der Delegierten in den vergangenen Jahren getroffen habe. Ich bin kein unbeschriebenes Blatt und weiß, was sich viele denken. Mit vielen bin ich im intensiven Kontakt.

STANDARD: Wissen Sie, wo diese Genossen stehen?

Schieder: Ich rechne mir sehr gute Chancen aus, dass ich die Abstimmung auf dem Landesparteitag gewinnen kann.

STANDARD: Die Partei konnte sich nicht auf einen Kandidaten einigen. Wie zerstritten ist die SPÖ?

Schieder: Ich finde es nicht fair, dass man – wenn einmal zwei Kandidaten zur Wahl stehen – verlangt, dass es nur einen gibt. Am 27. Jänner wird eine Entscheidung fallen.

STANDARD: Eines Ihrer Ziele ist, die Partei zu einen. Das setzt voraus, dass die SPÖ jetzt uneins ist.

Schieder: Im vergangenen Jahr gab es zu verschiedenen Themen und Bereichen eine Auseinanderentwicklung. Jetzt muss ein Schlussstrich gezogen werden. Schwarz-Blau versucht, Druck zu erzeugen und unsere Gesellschaft und unsere Stadt sozial auseinanderzutreiben. Das verlangt eine geschlossene Sozialdemokratie.

STANDARD: Gibt es zwei Lager in der Wiener SPÖ oder nicht?

Schieder: So zerstritten ist die SPÖ jetzt auch nicht.

STANDARD: Sie und Ludwig gelten als die Kandidaten verschiedener Strömungen innerhalb der Partei. Wo liegen die großen Unterschiede zwischen Ihnen?

Schieder: Ich will die Partei zu einer offenen Plattform entwickeln, bei der sich auch neue Leute in die Politik einbringen. Ich sehe die SPÖ Wien als eine Partei, die den sozialen Zusammenhalt in den Vordergrund stellt und dort aufsteht, wo Menschen gegeneinander ausgespielt werden. Ich will Wien ins 21. Jahrhundert bringen und das, was es so einmalig macht, absichern. Wir haben die Chance, eine Stadt zu sein, wo es keinen Einkommensunterschied zwischen Männern und Frauen gibt. Wo eine Arbeitsmarkt- und Wirtschaftspolitik betrieben wird, dass es eine Arbeitslosigkeit von null gibt.

STANDARD: Null Arbeitslosigkeit?

Schieder: Das Ziel muss Vollbeschäftigung sein. Strukturell wird es immer einen Sockel an Arbeitslosigkeit geben.

STANDARD: Sind das Ziele, für die Ludwig nicht einsteht?

Schieder: Das müssen Sie Michael Ludwig fragen. Ich glaube schon, dass er dafür eintritt. Ich will, dass die Delegierten für mich stimmen und nicht gegen jemanden.

STANDARD: Sie wollen das Regierungsteam umbauen. Müssen Stadträte zittern?

Schieder: Es braucht neue Köpfe in der Stadtregierung. Welche Positionen und Namen das sind, werden wir nach dem Landesparteitag diskutieren.

STANDARD: Hat Ludwig einen Platz in Ihrem Regierungsteam?

Schieder: Meine Hand ist ausgestreckt. Es braucht ein breites Team, das alle politischen Ansichten abbildet.

STANDARD: Was würden Sie in Wien am schnellsten umsetzen?

Schieder: Man kann relativ rasch beginnen, ein gratis WLAN-Angebot in den öffentlichen Verkehrsmitteln umzusetzen. Aber es ist nicht das zentralste Projekt. Wir müssen eine Antwort finden auf die explodierenden Wohnkosten im privaten Bereich.

STANDARD: Sie fordern 25.000 neue Gemeindebauwohnungen bis 2025 – und greifen damit auch Ludwig an. Wie soll das gehen? Zuletzt war gerade einmal der Baustart für die ersten 120 Einheiten.

Schieder: Das sind acht Jahre, also etwa 3000 Wohnungen pro Jahr. Am besten wäre ein modernes Mietrecht. Die zweite Antwort ist, Leerstand zu bekämpfen, etwa durch die Leerstandsabgabe, und Airbnb einzuschränken. Das Dritte ist, die Bauleistung an geförderten Wohnungen zu erhöhen. Experten rechnen, dass wir 10.000 oder mehr pro Jahr brauchen.

STANDARD: Wenn man rechnet, dass es rund drei Jahre Vorlaufzeit braucht, bis Wohnungen übergeben werden, sind acht Jahre für 25.000 Gemeindebauwohnungen eng bemessen.

Schieder: Ich bin davon ausgegangen, dass – wenn ein Plan zur Wohnbauoffensive 2015 angekündigt wurde – bereits mehr Projekte in der Pipeline sind.

STANDARD: Nach der SPÖ-Vorsitzwahl ist vor den Wien-Wahlen 2020. Gilt Ihr Nein zur Zusammenarbeit mit der FPÖ bei jedem Wahlausgang?

Schieder: Die FPÖ beweist stündlich, dass sie kein guter Regierungspartner ist. Bei Haider haben wir uns über die Buberlpartie geärgert, jetzt sind wir mit Burschenschaftern konfrontiert. Das ist eine Dimension größer. Mit mir gibt es keine Koalition mit dieser Partei.

STANDARD: Sie waren bei der Demo gegen die Bundesregierung auf der Straße. Würden Sie auch als Bürgermeister demonstrieren?

Schieder: Ich sehe keinen Grund, dass ich als Andreas Schieder, egal in welcher Funktion, meine politische Meinung unterdrücke. Wenn es notwendig ist, werde ich demonstrieren.

STANDARD: Wien gab 2017 rund 700 Millionen Euro für die Mindestsicherung aus. Mehr als die Hälfte der Bezieher hat keine österreichische Staatsbürgerschaft. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Schieder: Es ist nicht erfreulich, hinter dieser Kostenstelle stehen auch Schicksale. Wenn wir eine Stadt wollen, wo Armut keinen Platz hat, muss uns das Sorgen machen. Die Pläne der Regierung, die Notstandshilfe abzuschaffen, führt am Ende zu noch mehr Mindestsicherungsbeziehern. Das ist sozialpolitisch zynisch und führt zu noch höheren Kosten.

STANDARD: Häupl hat diesbezüglich eine Verfassungsklage angekündigt. Wie würden Sie vorgehen?

Schieder: Eine Verfassungsklage ist eine Möglichkeit.

STANDARD: Beim Bezug der Mindestsicherung können Sie sich eine Wartefrist für Nichtwiener vorstellen. Wurde dieser Punkt bei der Reform der Mindestsicherung in Wien versäumt?

Schieder: Nein, gar nicht. Aber wenn alle Bundesländer die Mindestsicherung massiv kürzen, wie es Niederösterreich oder Oberösterreich getan haben, muss man sich überlegen, wie man damit umgeht. Es ist nichts, was ich mir wünsche. Lieber wäre mir eine österreichweit einheitliche soziale Mindestsicherung.

STANDARD: Ohne Kürzungen?

Schieder: Ja. Wir sind gesprächsbereit für Reformen, mehr Sachleistungen, strengere Kontrollen. (Interview: Oona Kroisleitner, David Krutzler, 18.1.2018)

Zur Person

Andreas Schieder (48) ist geschäftsführender Klubchef im Parlament. 2008 bis 2013 war er Finanzstaatssekretär.

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