Die mit 139 Metern höchste Pyramide der Erde (hier rechts im Vordergrund) hat als einziges Weltwunder der Antike die Geschichte überdauert.
Foto: Giulio Magli

Mailand – Die Cheops-Pyramide auf dem Gizeh-Plateau hielt über 3.800 Jahre lang den Rekord als höchstes menschengemachtes Bauwerk der Erde. Nicht zuletzt aufgrund ihrer massiven Bauweise – über sechs Millionen Tonnen Gestein wurden vermutlich mithilfe von Rampen aufeinandergetürmt – ist ihr Inneres bis heute nur teilweise erforscht. Dass in dem 4.500 Jahre alten Monument tatsächlich noch einiges im Verborgenen liegen könnte, zeigte ein Fund, der im vergangenen November für mediale Aufmerksamkeit sorgte: Ein internationales Forscherteam hat dort mit einer Methode, die auf kosmischer Strahlung basiert, Hinweise auf eine bisher unbekannte große Struktur gefunden.

Gigantisches Grabmal

Die Große Pyramide sollte Cheops als Grabmal dienen, der als zweiter Pharao der 4. Dynastie im Alten Reich Ägyptens für mindestens 23 Jahre regierte. Historiker setzen den Baubeginn etwa um das Jahr 2500 vor unserer Zeitrechnung an. Aus der exakten Nordausrichtung der Pyramide, die mit speziellen Sternkonstellationen am Nordhimmel in Verbindung gebracht werden, schlossen britische Forscher sogar auf ein konkretes Jahr: 2467 vor unserer Zeit könnte der Grundstein gelegt worden sein.

Der labyrinthartige innere Aufbau des gigantischen Mausoleums findet teilweise seine Entsprechung in den Pyramidentexten. Diese etwas jüngere Sammlung religiöser Sprüche, Beschwörungen und Mythen sollten den Pharao nach seinem Tod beschützen und ihm den Weg ins Jenseits ermöglichen. Die genauen Zusammenhänge zwischen religiösen Vorstellungen und der konkreten Funktionen der zahlreichen Korridore und Kammern sind aber vielfach noch umstritten. Vor allem der größte Raum, die 46 Meter lange und über acht Meter hohe Große Galerie gibt noch Rätsel auf. Genau über dieser schrägen Kammer kamen die internationalen Wissenschafter im Vorjahr einem ähnlich großen Raum auf die Spur.

Myonen-Scan

Das Team um Mehdi Tayoubi vom Heritage Innovation Preservation Institute in Paris und Kunihiro Morishima von der japanischen Universität Nagoya nutzte für ihre Untersuchungen Myonen, den Elektronen ähnliche Elementarteilchen, die bei Wechselwirkung zwischen kosmischer Strahlung und der oberen Atmosphäre entstehen. Diese Partikel haben den Vorteil, dass sie Gestein annähernd widerstandslos durchdringen. Die Zahl der Myonen, die auf ihrer Bahn dennoch abgelenkt werden, ermöglicht Rückschlüsse auf Dichteunterschiede im Aufbau der Pyramide.

Video: Das "Scan Pyramids Project" könnte einen großen Hohlraum entdeckt haben.
NPG Press

Damit gelang es den Wissenschaftern im Rahmen des "Scan Pyramids Project", einen etwa 30 Meter langen und acht Meter hohen Hohlraum zu identifizieren, über den sie im Fachjournal "Nature" berichteten. Vor allem die Ausmaße der Struktur, die an die Große Galerie heranreichen, seien ungewöhnlich, was eher nicht auf einen simplen Belüftungsschacht schließen lassen würde, so die Forscher. Wozu dieser potenzielle Raum gedient hat und was er womöglich enthalten könnte, blieb bisher pure Spekulation.

Hinweis in Pyramidentexten

Eine recht spektakuläre These hat dazu nun ein italienischer Wissenschafter veröffentlicht: Giulio Magli und sein Team vom Polytechnikum Mailand sehen in dem Hohlraum keine bauliche Maßnahme zur statischen Entlastung der darunter liegenden Großen Galerie, sondern vielmehr eine Kammer, die bei den altägyptischen Begräbnisritualen eine wichtige Rolle gespielt haben könnte. Laut den von Magli als Hinweis angeführten Pyramidentexten müsse der verstorbene Pharao erst die "Tore zum Himmel" passieren und auf dem "Thron aus Eisen" Platz nehmen, ehe er den nördlichen Himmel, dem "Wohnort des Pharaos nach seinem irdischen Tod", erreichen kann.

Oberhalb der Großen Galerie und in einer ähnlichen Schräglage dürfte sich ein mindesten 30 Meter langer Hohlraum befinden. Einer der bekannten Schächte, die Richtung Außenwand führen, könnte mit dieser potenziellen Kammer in Verbindung stehen.
Illustr.: Scan Pyramids Project

Die Wege zum "nördlichen Himmel" kennt man möglicherweise bereits: Zwei enge Schächte, die aus der Mitte der Pyramide bis zur Außenwand führen und auf Sternbilder ausgerichtet sind. Zwei ähnliche Schächte enden jedoch an Toren im Inneren. Was sich dahinter verbirgt, ist bisher unerforscht. Einer dieser beiden Schächte könnte zu dem neuen Hohlraum führen, vermutet Magli in seiner nun veröffentlichten Studie, die ebenfalls in "Nature" erscheinen soll: "Die ungeöffneten Tore am Ende dieser Schächte dürften mit hoher Wahrscheinlichkeit die beschriebenen 'Tore zum Himmel' sein."

Eiserner Thron unter der Pyramidenspitze

Das wiederum könnte laut Magli bedeuten, dass an der höchsten Stelle der neu entdeckten Kammer – und damit exakt unter der Spitze der Pyramide – jenes Objekt steht, das der Pharao nach dem Durchschreiten der Himmelstore benötigte: der in den Pyramidentexten erwähnte Thron aus Eisen. Eine Vorstellung davon, wie die göttliche Sitzgelegenheit ausgesehen haben könnte, liefert der Thron von Cheops' Mutter Hetepheres.

Der von Harvard-Wissenschaftern rekonstruierte Thron von Hetepheres I., der Mutter von Pharao Cheops.
Foto: Harvard University/Rus Gant

Der von Archäologen der Harvard University aus Fragmenten rekonstruierte niedrige Stuhl bestand aus Zedernholz und war mit Gold überzogen. "Cheops Thron in der Pyramide könnte diesem ähneln, allerdings wäre er mit Eisen verkleidet", meint Magli. Als Quelle dieses bronzezeitlichen Eisens vermuten die Forscher Meteoriten, die die Alten Ägypter schon vor Cheops zur Herstellung von Gegenständen genutzt haben. (tberg, 20.1.2018)