Florentine Kleppers Inszenierung von "Don Giovanni" am Stadttheater Klagenfurt.

Foto: Aljoša Rebolj

Wegen schweren Delikten müsste die mit Blaulicht angerückte Polizei gegen Don Giovanni entschlossener eingreifen, als sie es in der Klagenfurter Neuinszenierung tut. Offenbar gilt die Unschuldsvermutung. Donna Anna kann den Eindringling nur an der Stimme identifizieren, die Videoüberwachung an der Tankstelle, bei der ihr Vater unter die Räder einer Limousine kam, muss erst ausgewertet werden.

Die Exekutive zieht sich wieder zurück, und Florentine Kleppers sehr filmische Neudeutung der Mozart-Oper schreitet zum zweiten Akt. Das Kollektiv aller Frauen und ihrer Begleiter, die sich durch den Sexisten betrogen fühlen, will zur Lynchjustiz greifen. Dem kommt das Schicksal zuvor.

Don Giovanni am Stadttheater Klagenfurt lädt den Geist des verunglückten Komturs zum tödlichen Nachtmahl in sein Wohnzimmer. Darin befinden sich ein Doppelbett, ein Eisschrank und eine Tanksäule. Eine Motorhaube hängt von der Decke. Die Stimme des Komturs erklingt aus dem Off. Und eine Schar Statisten erscheint plötzlich zur Spitalsvisite, um nur noch den Herztod des Verbrechers zu konstatieren.

Nun, es stimmt, dass in Lorenzo da Pontes Libretto der Schauplatz mehrfach als "Straße" bezeichnet ist. Und sicher ist das Auto Symbol sexuell aggressiver Männlichkeit, das hinter Tankstellen oder rund um den Pissoir-Pavillon verödeter Raststätten öfters als mobiles Liebesnest benützt wird. Aber der Großeinsatz des bestechend schön singenden Ensembles und des von Kapellmeisterin Giedre Slekyte zu innigsten Klängen verlockten Kärntner Sinfonieorchesters haben es verdient, dass nicht den ganzen, klanglich betörenden Abend nebenbei ein TV-Film läuft.

Anna Rajah verleiht der Donna Anna in Stimmintensität und Erscheinung die Dramatik eines Opfers, das die Bestrafung des Täters ohne die Hoffnung fordert, die erlittenen Verletzungen damit heilen zu können. Es bleibt wie ein Keil zwischen ihr und ihrem Geliebten Don Ottavio, auch wenn Joshua Owen Mills ihn mit tenoralen Samtpfoten ausstattet. Keri Fuges Zerlina sorgt für stimmliche Vitalität, Paola Gardinas Donna Elvira schwankt überzeugend zwischen Enttäuschung und Hingabe.

Die Frauen fallen auf den Herzensbrecher herein, als der Rodion Pogossov seine Opfer unwiderstehlich ansingt. Etwas ist authentisch daran, wenn er sich selbst ein gütiges Naturell bescheinigt und Treue gegenüber einer Frau als Grausamkeit gegenüber den anderen sieht. Und darin ist Don Giovanni gemeinsam mit dem Leporello Nicholas Crawleys weit mehr als jenes versiffte, kaltblütige Roadmovie-Paar, als das die Inszenierung die beiden darstellt. Regietheater ist selbstverständlich statthaft. Aber es sollte vielleicht nicht nur verblüffen, sondern auch mit Erkenntniswert verbunden sein. (elce, 18.1.2018)