Hollywood ist nicht immer angepasst: "The Day After Tomorrow" thematisierte erstmals den Klimawandel, Meryl Streep brachte Hollywood gegen Donald Trump in Stellung.
Fotos: 20th Century Fox; APA / AFP / R. Beck; Montage: Thomas Korn

Wien – Am 20. Jänner jährt sich die Inauguration Donald Trumps zum 45. Präsidenten der Vereinigten Staaten. Was auf der politischen Bühne einem Erdbeben gleichkam, hat auch die im öffentlichen Leben der USA nicht minder wichtigen Bühnen Hollywoods erschüttert – doch die gaben im letzten Jahr ein widersprüchliches Bild von sich selbst ab.

Denn einerseits hat sich Hollywood als kritischer Gegenpol zum Trump-Amerika in Stellung gebracht, etwa mit der Rede Meryl Streeps bei der Golden-Globe-Verleihung im Jänner 2017 und vielen neuen Produktionen, die starke Frauen und das Leben in verarmten schwarzen Milieus thematisieren. Andererseits zeigte sich mit der #MeToo-Bewegung, die mächtige Größen des Showbusiness über Nacht von der Bildfläche fegte, dass auch in Hollywood genau jene rückständigen, patriarchalen Machtstrukturen den Ton angeben, die Trump personifiziert.

Zwischen Anpassung und Kritik

Seit Trump Präsident ist, schien Hollywood ebenso sehr Spiegel der gespaltenen amerikanischen Gesellschaft zu sein wie ihre kritische, progressive Ressource. Unter dem Motto "Hollywood: Zwischen Anpassung und kritischer Zeitgenossenschaft" griff eine Tagung am 11. und 12. Jänner am Institut für Philosophie der Universität Wien diesen Faden auf. "Hollywood ist nicht nur Traumfabrik und Unterhaltungsindustrie. Es ist auch eine zentrale Instanz der Selbstreflexion der amerikanischen Gesellschaft, ja des Westens überhaupt", sagt der in Wien lebende Philosoph Sebastian Lederle, der die Tagung organisierte.

Und ergänzt: "Zu Recht sagte der Philosoph Stanley Cavell, Hollywood sei in der amerikanischen Gesellschaft das, was die Philosophie einst im alten Europa war: eine Verständigung über uns und unseren Platz in der Welt." Hollywoodfilme prägten einen Kosmos zusammenhängender Ideen, der uns Auskunft darüber gibt, wer wir sind und wofür es sich zu leben lohnt – und liefere so gleichsam die letzte große Erzählung nach dem Ende der Religionen und Ideologien, die für alles einen Platz hat, wie Lederle mit Verweis auf den französischen Filmtheoretiker Raymond Bellour sagt: "Wir alle greifen in unserem tagtäglichen Nachdenken über uns und unser Umfeld auf Bilder und Deutungsfolien aus Hollywood zurück."

Selten sozialkritisch

Obwohl Produkte einer auf Profit abzielenden Industrie, hätten Hollywoodfilme dabei auch das Potenzial, überkommene Vorverständnisse zu problematisieren und unseren Blick auf die Welt zu verändern: "Hollywoodfilme oszillieren zwischen vorbehaltloser Affirmation der Gegenwart und kritischem Kommentar des Zeitgeschehens."

Zwar verfolgten Hollywoodproduktionen nur selten ausdrücklich sozialkritische Absichten, sie könnten Dinge aber trotzdem in ein neues Licht rücken, wie Lederle am Beispiel von Jordan Belfort, dem von Leonardo DiCaprio gespielten Protagonisten in Martin Scorseses "The Wolf of Wall Street" (2013), erläutert: "Gerade indem der Film diesen neoliberalen Typus so konsequent rücksichtslos und profitgierig darstellt, schafft er es zugleich, sein Verhalten auch hinterfragbar und reflektierbar zu machen: Wir identifizieren uns mit ihm, ekeln uns aber auch."

Ambivalentes Spiel

Dieses ambivalente Spiel zwischen Anpassung und Kritik entfalteten die Vorträge in großer Breite. Die Tagung eröffnete der Philosoph Martin Seel, der auf das spannungsreiche Verhältnis zwischen dem Hollywoodfilm und dem Autoren- oder Arthouse-Kino zu sprechen kam, die im Rahmen einer "nichthierarchischen" Filmtheorie gleichermaßen als legitime Ausdrucksformen von Film zu betrachten seien.

Gertrud Koch von der Freien Universität Berlin besprach "Hollywood" als ein Glücksversprechen, von dem wir wissen, dass es unerfüllt bleiben muss, auf das wir aber auch nicht verzichten können. Lisa Gotto von der Filmschule Köln würdigte "The Day After Tomorrow" (2004) von Roland Emmerich als einen der ersten Blockbuster, der offen den menschengemachten Klimawandel in seinen unkontrollierbaren Folgen thematisierte, zugleich aber zeige, dass dieser als abstrakte Gefahr nie auf nur eine, verbindliche Weise dargestellt werden kann.

Doch über dem kritischen Element ist nicht der vielleicht wichtigste Zug des Hollywoodkinos zu vergessen: Es ist ein altbekannter Gedanke, dass seine stets mit Happy End ausgehenden Filme uns mit einer unberechenbaren Welt versöhnen, indem sie uns Hoffnung auf einen letztlich günstigen Lauf der Dinge machen.

(Selbst-)Täuschungen

Doch wie ist das vereinbar mit vermehrt seit den 1990er-Jahren entstandenen Produktionen, die am Ende die gesamte Handlung auf den Kopf stellen, das genaue Geschehen im Dunkeln lassen oder die Möglichkeit durchspielen, die Wirklichkeit sei nur eine Täuschung? Filme wie "Pulp Fiction" (1994) von Quentin Tarantino, "The Matrix" (1999) von Lana und Lilly Wachovski oder "Mulholland Drive" (2001) von David Lynch entlassen den Zuschauer befremdet und verstört aus dem Kinosaal und wecken unlösbare Zweifel an den Gründen unseres Wissens und der Wirklichkeit.

Was spricht eigentlich dagegen, dass wir in einer Computersimulation leben? Doch gerade solche Filme flößten uns Vertrauen in die Welt ein, versuchte der Philosoph Josef Früchtl von der Universität Amsterdam am Beispiel von Christopher Nolans "Inception" (2010) zu zeigen.

In diesem Film entwickelt das US-Militär eine Technik, um das Träumen nichtsahnender Opfer zu beeinflussen. In der Folge verkompliziert der Film das Geschehen zwischen Wachphasen und mehrfach ineinandergeschachtelten Traumebenen, bis die Grenze von Traum und Realität vollends verschwimmt. So bleibt am Ende, als alles überstanden ist und der Protagonist nach Hause zurückkehrt und seine auf ihn zustürmenden Kinder liebevoll in den Arm nimmt, unklar, ob es sich dabei wiederum um einen Traum oder die Wirklichkeit handelt.

Entscheidende Pointe

Doch die entscheidende Pointe an "Inception" ist für Früchtl, dass diese Frage am Ende irrelevant ist. Statt sich mit nagenden Zweifeln an den Fundamenten seiner Wirklichkeit zu beschäftigen, nimmt der Protagonist als real hin, was ihn unmittelbar umgibt. Das entspreche der von Immanuel Kant so bezeichneten Haltung des "Als ob", für Früchtl das Grundmuster eines vertrauensvollen Verhältnisses zur Welt: Wo es keine sichere Erkenntnis der Wirklichkeit gibt, da sei es vernünftig und geboten, die Welt so hinzunehmen, wie sie uns erscheint. Madonna liefert mit dem Song "Hollywood" (2003) den passenden Soundtrack. Dort singt sie: "How could it hurt you when it looks so good?" (Miguel de la Riva, 20.1.2018)