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In Sachen Unterdrückung der Opposition greift das Lukaschenko-Regime in Belarus heute auch zu modernen Mitteln als dem Schlagstock.

Foto: AP Photo/Sergei Grits, File

Minsk – Es ist ein grauer Samstag im Minsker Winter, die Plattenbauten sind mit Wolken verhangen, aber Anna Kanopazkaja strahlt. Vor einem Supermarkt im Süden der Zwei-Millionen-Stadt hat sie mit ihren Helfern einen kleinen Stand aufgebaut. "Kommen Sie!", ruft sie den Passanten zu. "Unterschreiben Sie!"

Die freundliche Frau mit Lippenstift, Wollmantel und Lederstiefeln passt nicht so recht zum Bild der "letzten Diktatur Europas", das oft von Belarus (Weißrussland) gezeichnet wird. Seit Herbst 2016 sitzt die 41-Jährige im Parlament, als eine der ersten Oppositionellen seit zwölf Jahren. Nun sammelt sie Signaturen für ihren Kollegen Denis Tichonenko, der bei den Kommunalwahlen am 18. Februar antreten will.

Die Stimmung auf der Straße orientiert sich heute aber eher am düsteren Wetter als am Wesen der Politikerin. "Es ändert sich doch sowieso nichts!", schimpft ein Mann mit Schiebermütze. Doch Kanopazkaja lächelt die Wut einfach weg. "Viele Leute glauben weder an das Regime noch an die Opposition", erklärt sie. "Aber wenn man ihnen zeigt, dass man zumindest lokale Probleme lösen kann, dann hören sie zu."

Zuckerbrot und Peitsche

Wie unzufrieden die Menschen im Land sind, hat sich im vergangenen Jahr gezeigt, als tausende Menschen in ganz Belarus gegen die sogenannte "Sozialschmarotzer-Steuer" protestierten (DER STANDARD berichtete). Doch mit einem Mix aus Zuckerbrot und Peitsche – die Abgabe wurde abgeschafft, Löhne angepasst und Demonstrationen zerschlagen – hat Präsident Alexander Lukaschenko wieder die alte Ordnung auf den Straßen hergestellt. Zugleich haben sich Belarus und der Westen schon seit 2014, als Russland im südlichen Nachbarland Ukraine die Krim annektiert und einen Krieg in der Ostukraine befeuert hat, vorsichtig angenähert.

Auf Druck vonseiten der EU hat Lukaschenko zuletzt alle politischen Gefangenen freigelassen, die EU wiederum hat die Sanktionen, die sie nach der blutigen Zerschlagung von Protesten 2010 beschlossen hat, aufgehoben. EU-Bürger können zudem seit 2017 fünf Tage lang visumsfrei in das Land reisen. Und es ist bestimmt kein Zufall, dass seit den Parlamentswahlen 2016 wieder zwei Oppositionelle im Parlament sitzen, eine davon Kanopazkaja.

An ihr scheiden sich wiederum die Geister – auch in der Opposition. Ein Feigenblatt, um Brüssel bei Laune zu halten und Lukaschenko international reinzuwaschen, sagen die einen. Eine Chance, zumindest einen Hauch von Pluralismus ins Parlament zu bringen, die anderen. Derweil tingelt Kanopazkaja mit ihrem Kandidaten für die Kommunalwahlen durch Minsk. "Jeden Tag stehen wir auf der Straße", sagt sie kämpferisch. "Wir klopfen an jede Tür."

Dass die Zugeständnisse gegenüber dem Westen nur Fassade seien, vermutet hingegen Pawel Sewjarynez. Der Oppositionelle sitzt in einem Kebablokal am anderen Ende der Stadt, aus den Boxen dröhnt Popmusik. Gut für ein vertrauliches Gespräch, sagt er ernst. "Nach außen wirkt das Regime vielleicht liberaler", sagt er, "aber innen ist es repressiver geworden." Und der 41-Jährige muss es wissen: Allein 2017 ist er viermal, zuletzt für die Teilnahme an einem nichtgenehmigten Protest, für 15 Tage eingesperrt worden.

Subtilere Repression

Die Methode Sewjarynez hat System, schreibt der Publizist Artjom Schraibman. Keine Haftstrafe im großen Stil, um nicht wieder westliche Sanktionen zu riskieren – aber eben genug, um Störenfriede wie Sewjarynez vor geplanten Protesten gezielt aus dem Verkehr zu ziehen und Aktivisten einzuschüchtern. Umso mehr nach den Protesten im Vorjahr, die das Regime erschüttert haben. "Die Kunst, unter dem westlichen Radar zu bleiben", nennt es Schraibman. Und zieht eine Zwischenbilanz: "Bisher war das Regime mit dieser Strategie recht erfolgreich." (Simone Brunner aus Minsk, 20.1.2018)