Auf Erlösung wartet die Frauengruppe in Shirin Neshats Film "Rapture" (1999): Tatsächlich wird ein Boot kommen.

Foto: Shirin Neshat, Courtesy Gladstone Gallery

Graz – Man findet sich im Gewitter der Gegensätze wieder, wenn man die Ausstellung der Künstlerin Shirin Neshat (geb. 1957) in der Neuen Galerie Graz betritt. Hier zeigt eine großformatige Fotografie eine ganzkörperverschleierte Frau, die ein splitternacktes Bübchen an der Hand hält. Durch das Haar einer Muslimin ragt Betrachtern der Lauf eines Gewehrs entgegen. Frauenbilder, dort die Mutter, da die Kämpferin, prallen aufeinander. Irritieren mag die Ruhe der Kompositionen, in denen Feinsinn und Martialität einander durchdringen: Die Haut der Dargestellten ist überzogen mit Schriftzeichen. Dahinter verbirgt sich die Lyrik iranischer, zensierter Autorinnen.

Women of Allah (1993-1996) heißt die Fotoserie, und sie ist wohl die bekannteste von Shirin Neshat. Seit 1979 lebt und arbeitet sie in New York, 1990 kehrte die Künstlerin erstmals wieder in ihr Heimatland zurück und war von den Auswirkungen der Iranischen Revolution zugleich "erschrocken und fasziniert". Gerade hinsichtlich Gleichberechtigung der Geschlechter hatte der Sturz des Schahs Rück- statt Fortschritte gebracht. Ihrer eigenen Gespaltenheit gegenüber streng verordneter Verschleierung – einerseits Schutz, andererseits Symbol der Unterdrückung – wollte sie Ausdruck verleihen. Und hielt jene unerschütterlichen und doch schillernden Blicke fest, die uns nun in Graz treffen.

Befremdliche Heimat

Die Schusswaffen holte sie deshalb ins Bild, weil sie sich auch für ein Recht auf weibliches Märtyrertum engagierte. Das mag mit ein Grund dafür sein, dass Neshat die Serie später als "unreflektiert" bezeichnete. Gerade unter veränderten Vorzeichen, vor dem Hintergrund aktueller Auseinandersetzungen zwischen dem Islam und Europa, lässt Neshats ikonisch gewordene Serie in puncto Ambivalenz jedenfalls nichts zu wünschen übrig.

Undurchdringlich-durchdringende Blicke begleiten einen unterdessen durch die von Günther Holler-Schuster in die Neue Galerie geholte Schau. Ebenso wie das Motiv der befremdenden Heimat, das Neshat seit 1990 umtreibt. Als Schlusspunkt sieht man im Video Roja (2016) eine junge Frau, die in einer traumartigen Szene von einer älteren, entstellten zurückgestoßen wird: Sinnbild für das entfremdete, nicht wiederzuerkennende Mutterland.

Verschmelzung mit der Natur

Berückend ist die Bildsprache, die Neshat entwickelte, seit sie sich Ende der 1990er-Jahre der Filmkunst zuwandte. Mit reduzierten Mitteln und in aller Langsamkeit enthebt sie das Geschehen in eine surreale Sphäre. Der Spielfilm Women Without Men, für den sie 2009 in Venedig den Silbernen Löwen bekam, ist zwar nur im Rahmenprogramm der Ausstellung zu sehen, darin läuft aber etwa das Video Sarah (2016): Die Protagonistin irrt durch einen märchenhaft anmutenden Wald und erkundet eine rätselhafte Feuerstelle, bevor sie sich am Ende in einen See legt, um nun uns durch die Wasseroberfläche anzublicken. Ob diese Verschmelzung mit der Natur Tod oder Wiedergeburt bedeutet, bleibt hier auf schöne Art ebenso offen wie in Tooba (2002). Darin wird eine Frau angesichts einer Gruppe sich Nähernder zum Baum.

Beobachten kann man die Entwicklung von Neshats entschleunigter Poesie, die 2017 auch bei ihrer Inszenierung von Aida in Salzburg zum Tragen kam, auch in ihrer ersten Filmtrilogie. Turbulent (1998), Rapture (1999) und Fervor (2000) sind Variationen über das Widerspiel von Frau und Mann, zeigen hier etwa eine scheue Begegnung angesichts eines Mythenerzählers, dort Gruppenchoreografien in der Landschaft. Konzipiert sind die Arbeiten als Installation, in der zwei Leinwände respektive Erzählperspektiven einander gegenüberliegen, sodass man immer nur eine sieht. Gut möglich, dass Betrachter darob selbst ein bisschen ins Tanzen geraten. (Roman Gerold, 21.1.2018)