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Wasserkraftwerkprojekte wie jenes an der unteren Salzach bei Anthering sind fast immer umstritten. In Zukunft werden Umweltorganisationen mehr Mitsprache erhalten müssen.

Foto: dpa / ÖBK

Wien – Mit der jüngsten Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) in der Rechtssache Protect (Urteil vom 20. 12. 2017, C-664/15) bleibt im österreichischen Anlagenrecht kein Stein auf dem anderen. Der EuGH wartet nicht mehr darauf, dass die Mitgliedstaaten Umwelt-NGOs Parteistellung und gerichtliche Überprüfungsrechte einräumen. Er leitet das ab sofort direkt aus der Aarhus-Konvention ab. Die Konsequenzen für Anlagengenehmigungsverfahren sind dramatisch, für den Gesetzgeber besteht dringender Handlungsbedarf.

Im Wesentlichen hatte der Gerichtshof zwei Fragen zu klären: Muss NGOs in umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren volle Parteistellung zukommen? Und müssen diese Umweltorganisationen die Möglichkeit haben, behördliche Genehmigungen für Anlagen gerichtlich bekämpfen und überprüfen zu lassen? Der EuGH sagt dazu zweimal ganz klar Ja – und das, obwohl diese Parteien- und Überprüfungsrechte im österreichischen Umweltrecht bislang nicht vorgesehen sind.

Die Bedeutung dieser Entscheidung liegt darin, dass sie weit über den Einzelfall Auswirkungen auf sämtliche behördlichen Anlagengenehmigungsverfahren hat. Umweltgenehmigungen sind für gewerbliche Betriebs- oder Industrieanlagen genauso erforderlich wie für Energieprojekte (z. B. Wasserkraftwerke, Windenergieanlagen) oder Infrastrukturvorhaben (z. B. Straßenbau, Flughäfen).

Ist für ein solches Projekt eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) durchzuführen oder handelt es sich um eine Anlage nach der EU-Industrieemissionsrichtlinie, kommt Umwelt-NGOs schon seit mehreren Jahren Parteistellung und Rechtsmittelbefugnis zu. In allen anderen umweltrechtlichen Genehmigungsverfahren, egal ob es sich um gewerbe-, wasser-, verkehrs- oder naturschutzrechtliche Bewilligungen handelt, sind Umweltorganisationen aber bisher nicht als Parteien zugelassen.

Parteistellung verbleibt in diesen Fällen bloß den Nachbarn, die im Kern aber bloß den Schutz von Gesundheit und vor unzumutbaren Belästigungen, nicht aber die Verletzung von Umweltvorschriften, etwa im Artenschutz, geltend machen können. Nach den Naturschutzgesetzen der Länder sind selbst die Nachbarn von der Verfahrensteilnahme ausgeschlossen.

Volle Teilnahme

All das wird nun wohl der Vergangenheit angehören. Wenn ein Vorhaben erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben kann, ist Umweltorganisationen ebenso wie Nachbarn die volle Teilnahme am Genehmigungsverfahren samt nachfolgender gerichtlicher Überprüfung zu gewähren. Der EuGH hat dies nun einmal anlässlich einer Naturverträglichkeitsprüfung nach der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie (Urteil vom 8. 11. 2016, C-243/15) und im aktuellen Fall gegenüber Österreich im Fall der EU-Wasserrahmenrichtlinie entschieden. Es besteht kein Zweifel, dass weitere Entscheidungen zu anderen EU-Rechtsmaterien, etwa im Bereich des Abfall- oder Luftreinhalterechts, folgen werden.

Damit noch nicht genug: Neben dem Recht auf Teilnahme am Verfahren hat der EuGH auch grundlegende Aussagen zum Recht auf gerichtliche Überprüfung gemacht. Letzteres müsse den NGOs sogar dann zukommen, wenn ausgeschlossen werden kann, dass ein Projekt erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt hat. Wenn nun in Österreich aber die Zuerkennung der Parteistellung notwendige Grundlage für eine nachfolgende gerichtliche Überprüfung ist, muss das nationale Verfahrensrecht so ausgelegt werden, dass den Umweltorganisationen auch in diesen Fällen Parteistellung zukommt.

Interessengegensätze

All diese Fragen sind seit Jahren Gegenstand der umweltrechtlichen Debatte in Österreich. Die Interessengegensätze zwischen Wirtschaft und Umwelt-NGOs haben allerdings bisher zu einem gesetzgeberischen Stillstand geführt.

Wenig überraschend ist dies dem EuGH weitgehend egal. Er hat Parteistellung und Überprüfungsrechte in Direktanwendung der Aarhus-Konvention so eindeutig zuerkannt, dass kaum noch Interpretationsspielraum verbleibt.

Für die österreichischen Unternehmen ist die Situation nun mehr als kritisch: In welchen Verfahren ist NGOs Parteistellung einzuräumen – in allen? Wie sind Bescheide kundzumachen, sodass sie gegenüber potenziellen Parteien auch als zugestellt gelten? Was gilt für bereits abgeschlossene Genehmigungsverfahren – kann man sich auf den Vertrauensschutz und die Bestandskraft rechtskräftiger Bescheide verlassen?

Es ist höchst an der Zeit, dass der Gesetzgeber dem endlich Rechnung trägt. Schnelle Reparaturen in einzelnen Umweltgesetzen werden nicht genügen, es bedarf einer einheitlichen Klärung für alle umweltrechtlichen Verfahren. (Daniel Ennöckl, Martin Niederhuber, 23.1.2018)