Zum Kommentar der Vertreterinnen von Adults for Adults an dieser Stelle ist aus der Beratungserfahrung der Gleichbehandlungsanwaltschaft einiges richtigzustellen.

  1. Zu den kritisierten "sensibilisierten Männern": Insbesondere die Berichte von Männern über selbst erlebte sexuelle Übergriffe sind äußerst wertvoll. Damit wird nämlich deutlich, dass es um autoritäre Strukturen geht, in denen sexuelle (und andere) Übergriffe und Machtmissbrauch möglich sind. All jene, die darin in abhängigen Positionen sind – großteils Frauen, aber nicht nur -, können diese Übergriffe erleiden. Auch bei der Gleichbehandlungsanwaltschaft melden sich derzeit verstärkt Männer aus Bereichen mit schlechten Arbeitsbedingungen und starken Hierarchien mit Belästigungserfahrungen. Diese Männer helfen daher mit, den Blick auf diese Strukturen, die dringend einer Änderung hin zu Hierarchieabbau und Demokratisierung bedürfen, zu lenken.

  2. "Sexuelle Übergriffe passieren in alle Richtungen gleichermaßen": Dies ist im Arbeitszusammenhang unrichtig. Aus der Beratungserfahrung der Gleichbehandlungsanwaltschaft ergibt sich, dass der Großteil der bei uns gemeldeten sexuellen Übergriffe von Vorgesetzten ausgeht. Es gibt auch Übergriffe auf der gleichen Ebene oder "von unten nach oben"; und auch von Frauen – aber bei weitem nicht in gleichem Ausmaß. Auch dies zeigt, dass es sich in erster Linie um ein Problem von Machtmissbrauch handelt.

  3. "Kleine und kleinste unerwünschte sexuelle Erlebnisse": Am Arbeitsplatz können auch kleine Übergriffe – wie gesagt, meist von Vorgesetzten – große Wirkung haben, da es für Betroffene um ihre Existenz geht. Nach unserer Beobachtung endet nach Beschwerden in den meisten Fällen das Dienstverhältnis – derer, die sich beschwert haben. Ein Mitgrund, warum viele kompetente Frauen statt innerbetrieblichem Aufstieg eine Kündigung erleben. Ein immer wieder auftretendes Phänomen ist weiters, dass auch kleinere Übergriffe im Arbeitszusammenhang Erinnerungen an vergangene, schwerwiegendere Übergriffserfahrungen aktivieren können.

  4. Weibliche Hysterie", "Stimmungsmache", "Lynchjustiz": Der Beitrag strotzt vor tendenziösen Begriffen. Von unseren Klienten und Klientinnen wenden sich die wenigsten an die Medien, die meisten nutzen genau jene Wege, die ihnen die Gesetze gewähren. Aber auch wenn sie sich an die Medien wenden, ist das keine "Lynchjustiz", wenn Vorfälle glaubwürdig benannt werden, oft auch bestätigt durch Zeugen und Zeuginnen. Sicherlich ist Vorsicht geboten, wenn Dinge von anderer Seite an Medien gespielt werden. Hier müssten sich die Medien fragen, wem sie dienen, wenn sie Sachverhalte an die Öffentlichkeit tragen, zu denen die betroffenen Frauen nicht gehört wurden.

  5. Was die Durchsetzung rechtlicher Ansprüche betrifft, zeugt der Beitrag von wenig Wissen. Das Recht und die darin handelnden Personen sind nach wie vor nicht unbedingt opferfreundlich; viele Rechtsstandards, etwa Verjährungsfristen, wurden erst sukzessive zugunsten von Opferschutz verändert. Dies ist mutigen Frauen zu verdanken, die trotz enormer Belastung und großer Risiken Verfahren geführt und hier Lücken aufgezeigt haben. Nach wie vor gibt es Richter und Richterinnen, denen die nötige Sensibilität fehlt; von "zu hässlich, um sexuell belästigt werden zu können" bis zur Meinung, Frauen seien unglaubwürdig, weil sie traumatisierende Erlebnisse vor Gericht nicht stringent genug oder in bestem Deutsch wiedergeben können.

  6. Die Autorinnen vermischen (wieder einmal) sexuelle Übergriffe und Sexualität – dies wurde bereits kritisiert. Es ist perfide, den Frauen, die sich jetzt zu Wort melden, vorzuwerfen, dass sie in Richtung Entsexualisierung arbeiten. Es geht in dieser Debatte um das Benennen, die Abwehr und letztlich die Befreiung von sexuellen Übergriffen, häufig Ausdruck sexualisierter Machtverhältnisse. Dies ist ein emanzipatorischer Akt, den wir in unserer Arbeit immer wieder begleiten dürfen; und wohl eine Grundvoraussetzung, um eine selbstbestimmte Identität und eigenes sexuelles Begehren überhaupt entwickeln zu können. (Sabine Wagner-Steinrigl, 22.1.2018)