Wien – Feelgood-Movies haben es auch nicht einfach. Als Komödien müssen sie sich regelmäßig den kritischen Vorwurf der Oberflächlichkeit gefallen lassen – und dass sie nur dazu da wären, die Verweildauer der Menschenmasse im Multiplex in die Länge zu strecken. Kommen sie hingegen als Tearjerker – früher: Schmachtfetzen – daher, bei dem man weiß, dass sich am Ende der Herzschmerz in Wohlgefühl auflösen wird, regt sich ebenfalls Widerstand: Da möchte man die Probleme, die im in Hollywood geschmiedeten Familiendrama anstehen, im Vergleich zu den eigenen gerne haben.

Ganz innig: Jacob Tremblay und Julia Roberts in "Wonder".
Foto: Studiocanal

Wonder, entstanden nach dem gleichnamigen Debütroman und Bestseller der New Yorker Illustratorin Raquel J. Palacio, macht dieses Dilemma in buchstäblich jeder Hinsicht deutlich. Drei Autoren, darunter Regisseur Stephen Chbosky, erzählen die Geschichte des zehnjährigen August Pullman (Jacob Tremblay), der aufgrund eines genetischen Defekts mit einem entstellten Gesicht zur Welt gekommen ist. Wenn er außer Haus geht, setzt Auggie seinen Astronautenhelm auf, unterrichtet wird er zu Hause von seiner liebevollen Mutter (Julia Roberts), für das bisschen Spaß in den eigenen vier Wänden ist der verständnisvolle Vater (Owen Wilson) zuständig. Doch nun muss Auggie zur Schule und sein wahres Gesicht zeigen – das Wunder in Wonder kann beginnen.

Chbosky spielt mit entsprechender Klavieruntermalung ohne Misston perfekt auf der Klaviatur der Gefühle: Dabei werden jene von Auggie natürlich zwar bereits am ersten Schultag gehörig verletzt (Motto: Kinder können grausam sein), doch letztlich siegt die innere Stärke über Mobbing, Vorurteile und Ängste. Wonder, weltweit zahlreiche Kinocharts anführend, ist einer jener Film, dem die Deutsche Film- und Medienbewertung praktisch ungeschaut das Prädikat "Besonders wertvoll" verleiht. Statt über mangelnden Realismus enttäuscht zu sein, müsste man also sagen: Die bessere Welt ist angerichtet.

Lionsgate Movies

Wonder legt – ganz im Gegensatz zu Peter Bogdanovichs The Mask (1985), in dem sich der entstellte Rocky auch noch mit Sexualität und Drogen in Zeiten der Adoleszenz auseinanderzusetzen hatte – sein ganzes Gewicht auf den Prozess der Integration in eine Gesellschaft, die es wert ist, zu ihr zu gehören. Lernen können bei Chbosky alle voneinander, der Außenseiter und jene, die ihn erst nach der Selbsterkenntnis akzeptieren. Und das wiederum verlangt sogar Auggie eine kleine Portion Toleranz ab.

In schmalen Nebenerzählungen, Kapiteln gleich, wirft Wonder einen Blick auf diese Randfiguren, allen voran auf Auggies von den Eltern aufmerksamkeitstechnisch vernachlässigte ältere Schwester, deren abtrünnige Freundin und Auggies beinahe besten Freund. Diese Seitenblicke zeitigen auch wenig überraschend die überraschendsten Momente im Universum des fortan helmlosen Astronauten, in dem sich alles um ihn dreht. Tränen trocknen eben schnell, zum Glück auch die von Julia Roberts. (Michael Pekler, 23.1.2018)