Der Rezeptor Tie1 wird von Endothelzellen gebildet, die das Innere unserer Blutgefäße auskleiden. Er arbeitet mit anderen Signalmolekülen zusammen und bewirkt, dass Blutgefäße wachsen.

Foto: Steve Gschmeissner/Science Pho

Wachsende Tumoren haben einen hohen Bedarf an Sauerstoff und Nährstoffen. Deshalb regen sie die Bildung von Blutgefäßen an. Dieser Prozess wird Angiogenese genannt. Könnte man die unkontrollierte Angiogenese stoppen, ließe sich auf diese Weise das Tumorwachstum unterdrücken.

Wissenschafter vom Deutschen Krebsforschungszentrum und von der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg haben jetzt einen neuen Angriffspunkt für antiangiogene Therapien identifiziert. An Mäusen zeigten sie, dass Tumoren in der späten Wachstumsphase viel weniger Blutgefäße ausbilden, wenn ein bestimmtes Signalmolekül ausgeschaltet ist. Der Effekt: Die Tumoren wachsen langsamer und bilden weniger Metastasen.

Beschleunigtes Wachstum von Blutgefäßen

Eine entscheidende Rolle spielt dabei der Rezeptor Tie1, der von Endothelzellen gebildet wird – also den Zellen, die das Innere unserer Blutgefäße auskleiden. Dieser Rezeptor arbeitet mit anderen Signalmolekülen zusammen und bewirkt, dass Blutgefäße kontrolliert wachsen.

In den Blutgefäßen innerhalb von Tumoren wird verstärkt Tie1 produziert. Dadurch beschleunigt sich das Wachstum der Blutgefäße und des gesamten Tumors. Dieser Effekt trat zur Überraschung der Forscher allerdings erst in der späten Phase der Tumorentwicklung auf. Bei Mäusen ohne Tie1 wuchsen Tumoren zunächst in normaler Geschwindigkeit. Erst nach etwa zwei Wochen verlangsamte sich ihr Wachstum.

"Wenn Tumoren diagnostiziert werden, ist ihre evolutionäre Entwicklung in den allermeisten Fällen bereits weit fortgeschritten", erklärt Studienleiter Hellmut Augustin. "Daher ist es wichtig, therapeutische Ziele zu identifizieren, die in dieser späten Phase der Tumorentwicklung wirkungsvoll angreifbar sind, wie wir es hier für Tie1 nachgewiesen haben."

Bildung von Metastasen verhindern

Tie1 hat noch einen weiteren Effekt: Es destabilisiert die Wände der Blutgefäße und fördert dadurch die Ausbildung von Metastasen. Solche Sekundärtumoren entstehen, wenn Krebszellen den Primärtumor verlassen, im Blutkreislauf mitschwimmen und sich dann an einem neuen Ort im Organismus niederlassen. Dort können sie wochen- oder sogar jahrelang in einer Art Ruhezustand verharren bevor sie erneut damit anfangen, sich unkontrolliert zu teilen.

"Wir haben Tie1 in Endothelzellen genetisch ausgeschaltet und so Tumorwachstum und Metastasierung unterdrückt", erklärt Silvia La Porta, Erstautorin der Studie. "Im nächsten Schritt werden wir untersuchen, ob wir durch medikamentöse Unterdrückung von Tie1 den gleichen Effekt erzielen können."

Im Experiment an Mäusen zeigte sich, dass nach der Entfernung des Primärtumors zehn von 14 Versuchstiere Metastasen aufwiesen. Bei genetisch veränderten Mäusen, deren Endothelzellen den Tie1 Rezeptor nicht bilden konnten, hatte jedoch nur 1 von 14 Tieren nachweisbare Metastasen. Wie genau Tie1 wirkt, ist noch Gegenstand intensiver Forschung. Das Molekül ist ein sogenannter Orphan-Rezeptor, also ein Rezeptor, für den kein Bindungspartner bekannt ist.

Alte Idee neu gedacht

Die Idee, das Wachstum von Blutgefäßen in Tumoren zu unterdrücken, ist nicht neu. 2005 kam der Wirkstoff Bevacizumab (Avastin) auf den Markt, der genau nach diesem Prinzip funktioniert: Er blockiert den Gefäßwachstumsfaktor VEGF und behindert damit das Wachstum der Blutgefäße. Allerdings ist die Wirksamkeit von Bevacizumab begrenzt. Daher sind Wissenschafter weltweit auf der Suche nach Molekülen, die gemeinsam mit Avastin angewandt werden können und als Kombinationstherapie eine verbesserte Wirksamkeit haben.

In den letzten Jahren haben Pharmafirmen vor allem das Molekül Angiopoietin2 genauer unter die Lupe genommen. Anders als Tie1 beeinflusst Angiopoietin2 jedoch vor allem die frühen Phasen der Tumorentwicklung. Aufgrund seines späteren Wirkungszeitraums könnte sich Tie1 als besserer Angriffspunkt erweisen. (red, 23.1.2018)