Sebastian Kurz, Zielscheibe von "Titanic": Gegen das deutsche Satiremagazin mit Hang zu brachialer Provokation wird jetzt ermittelt.

Foto: Titanic

Wien – Dem deutschen Satiremagazin "Titanic" droht ein rechtliches Nachspiel wegen eines Sujets, auf dem Sebastian Kurz (ÖVP) zu sehen ist, damals noch österreichischer Außenminister, jetzt Bundeskanzler: Die Staatsanwaltschaft Berlin leitet nämlich Ermittlungen wegen des Verdachts der "öffentlichen Aufforderung zu Straftaten" ein und wegen möglicher Beleidigung. Das bestätigte die Behörde dem STANDARD. Das maximale Strafmaß, wenn die Aufforderung "ohne Erfolg" bleibt: eine Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren.

Auf dem Sujet, das im Oktober auf der "Titanic"-Website und etwa via Twitter verbreitet wurde, steht Sebastian Kurz im Fadenkreuz, versehen mit dem Schriftzug "Endlich möglich: Baby-Hitler töten!".

Wien alarmiert Berlin

Das Bild rief in Österreich das Landesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung auf den Plan und landete bei der Staatsanwaltschaft Wien, die wiederum die Kollegen in Berlin um Übernahme der Strafverfolgung ersucht hat. Dass der Ball jetzt in Deutschland liegt, hat damit zu tun, dass der Titanic-Verlag in Berlin sitzt und demnach nicht Wien für Ermittlungen zuständig ist.

Auch die ÖVP hatte im Oktober überlegt, rechtliche Schritte gegen "Titanic" einzuleiten. Das sei aber nicht geschehen, heißt es.

Sebastian Kurz gehört zu den Lieblingsobjekten des Satiremagazins. Erst letzten Mittwoch legte das Medium nach und veröffentlichte ein Foto mit der Botschaft: "Baby-Hitler kommt heim ins Reich". Angela Merkel beugt sich in einer Montage über Kurz' Konterfei. Der deutschen Kanzlerin werden dabei die Worte "Du kannst ja schon laufen, Bub" in den Mund gelegt. Der Anlass war der Deutschland-Besuch des österreichischen Bundeskanzlers.

Foto: Titanic

Solche Provokationen sind das Geschäft von "Titanic"-Chefredakteur Tim Wolff. Den Ermittlungen sieht er gelassen entgegen, sagt er zum STANDARD: "Bis uns keine Anklageschrift vorliegt, kann ich wenig Konkretes sagen. Aber wir machen uns hier keine Sorgen." Satirischer Nachsatz: "Solange die linksgrün-versiffte Political-Correctness-Diktatur des Merkel-Regimes in Deutschland herrscht, haben wir vor frühreifen Baby-Hitlern keine Angst."

Fragen der Tatbestandsmäßigkeit

Angst brauchen Wolff und Konsorten auch nicht haben, zumindest wenn es nach der Einschätzung von zwei deutschen Rechtsanwälten geht. Norman Buse, Rechtsanwalt für Medien- und Presserecht der Berliner Kanzlei Buse Herz Grunst, konstatiert: "Zu einer Anklageerhebung oder gar zu einer Verurteilung dürfte es nicht kommen", denn: "Für eine Strafbarkeit wegen der öffentlichen Aufforderung zu Straftaten dürfte es bereits an einer Tatbestandsmäßigkeit fehlen. Danach ist es erforderlich, dass öffentlich, in einer Versammlung oder durch Verbreiten von Schriften zu einer rechtswidrigen Tat aufgefordert wird. Dies halte ich vorliegend für fernliegend."

Entscheidend sei der Kontext, sagt er zum STANDARD. Leser würden keinen "ernstlichen Aufruf zur Verübung eines Angriffs oder Attentats" erkennen können, so Buse. Und: "Aus Gründen der Kunst- und Satirefreiheit dürfte auch eine strafbare Beleidigung ausscheiden." Es könnten hier "ähnliche Erwägungen angestellt werden wie im Fall Böhmermann gegen den türkischen Staatspräsidenten Erdoğan".

Anspielung auf "Flüchtlingsproblematik"

Bei der Beurteilung der Causa komme es nicht darauf an, ob die Bezeichnung "Baby-Hitler" besonders geschmackvoll sei: "Es stellt sich die Frage, ob in der konkreten Aufmachung des Fotos bei einer Gesamtbetrachtung ausschließlich eine Missachtung zu erkennen ist. Dies ist aus meiner Sicht keineswegs der Fall." Das Satiremagazin setze sich "kritisch mit der Politik des neuen österreichischen Bundeskanzlers auseinander". Und: "Die Bezeichnung als 'Baby-Hitler' soll seine nach Auffassung des Urhebers des Fotos rechtsgerichtete Politik hinsichtlich der Flüchtlingsproblematik zum Ausdruck bringen."

Kein Vorsatz erkennbar

Dass es zu einer Anklage kommt, glaubt auch Thomas Jakubczyk, Anwalt von Schürmann Wolschendorf Dreyer in Berlin, nicht. Die Fotomontage müsse im "satirischen Kontext" bewertet werden. "Sie müsste bei Rezipienten den Vorsatz schaffen, eine Straftat zu begehen." Das sei hier nicht nachweisbar: "Dafür ist die Suppe zu dünn. Satire darf sehr viel." Die Zielrichtung sei nicht eine Aufforderung zu einer Straftat, sondern auf einen gesellschaftlichen Aspekt aufmerksam zu machen, so Thomas Jakubczyk zum STANDARD. Er könne auch keine strafbare Beleidigung erkennen: "Der Umstand, dass es sich um Satire handelt, spielt hier eine wichtige Rolle." (Oliver Mark, 22.1.2018)