Wien – So ein Streichquartett hat seine Qualitäten. Kleine Themen lädt es mit Dramatik auf, gleichzeitig hat es etwas Beherrschtes, so wie ein bis oben zugeknöpftes Hemd.

Die Wiener Band Neuschnee besteht im Kern aus einem solchen Quartett. Doch eine vermeintliche Affinität zu Perlenketten, Stecktüchern und anderen Insignien bürgerlicher Klischees wischt die Band mit einem Esprit vom Tisch, der bei der Erbtante in Währing die Milch im Tröpferlkaffee brechen ließe. Denn die Texte der Band pendeln zwischen höherem Unfug und klassenkämpferischen Feuer.

Die Band Neuschnee: Strenge Streicher ohne Kettenpflicht.
Foto: Elodie Grethen

Neuschnee veröffentlicht nun ein neues Album. Es ist mit einem lapidaren Okay betitelt. Das übersetzt auf lässig seine Contenance. Kein Überschwang, keine Katastrophenstimmung, das Wesen bleibt in der Mitte eingependelt. Doch die Band bricht die vermeintlich strenge Form mit liederlichen Einflüssen auf, erweitert die gestrichene Kompetenz um stilistische Grapscher aus dem Singer-Songwritertum, der Elektronik und der Rockmusik. Das Resultat beschreibt sie selbst als alternative Kammermusik.

Der Opener von Okay erinnert sogar ein wenig an Kraftwerk. Doch während die deutschen Elektronikpioniere sich als kühle Chronisten positionierten, reiben sich Neuschnee offen an den Verhältnissen. "Erst einmal dem Markt vertrauen / Und dann, wenn die Krise kommt, ne Mauer bauen. Wer ist die Made, wem gehört der Speck. / Die Maschinen, die wir selber bauen, nehmen uns die Arbeit weg." Dazu pluckert es aus den Schaltkreisen, die Stimme des Sängers Hans Wagner bricht im Stromkreis.

Wagner ist Berliner Wiener, seit 2008 gibt es Neuschnee, Okay ist ihr vierter Longplayer. Wobei "long" sich im aktuellen Fall mit sieben Songs begnügt. Die ergeben jedoch ein geschlossenes Werk ohne Durchhänger.

ProblembaerRecords

Wagner scheint in Wien gut assimiliert zu sein. Ein braver Ausländer quasi, einen Sprachvorteil genießt er sowieso. Als der den Takt angebender Chef der Gruppe gibt er sich Kaffeehaus-kompatibel. Das schlägt sich in der Musik mannigfaltig nieder. Diese ist oft entschleunigt, ein bisserl melancholisch, verliert jedoch nie an Biss und wechselt je nach Gefühligkeit schon mal ins Englische, in dem die Botschaft It's Okay To Feel Lost einfach besser klingt als auf Deutsch.

Für It's Okay To Feel Lost ist die Band ins Balladenfach weitergezogen, wo sie auf Basis eines erschöpften Rhythmus, den ein Klavier ein wenig stützt, prächtig seufzt und zweifelt.

Das Nährgebiet für Wagners Texte ist der Alltag. Den verpackt er in knappe Reime, würzt mit einem Lebensgefühl, das meist im Teenageralter auftaucht und heute gut und gerne als Lebensentwurf bis in die später 30er oder noch weiter funktioniert. Oder auch nicht, denn Wagner ist ja nicht allwissend, also streut er in seine Texte Zweifel ein. Jene Stolpersteine des Lebens, die kein Alter kennen, weshalb die Musik von Neuschnee – nach Bilderbuch der zweitdoofste Bandname – keine zu eng definierte Zielgruppe haben dürfte und offenherzig zugibt, es sei immer Dasselbe Lied.

Live-Präsentation im Wuk

Wobei das formal bei Neuschnee nicht zutrifft. Den der Abwechslungsreichtum ist beträchtlich, ohne dass die Band sprunghaft klingen würde. Bevor ein Song zu sehr abschweift, fangen ihn die Streicher wieder ein: Haltung, bitte!

Diese freiwillige Selbstkontrolle zeitigt eine atmosphärische Dichte, ein Gefühl, das alle Lieder durchzieht. Beschwerden bezüglich der knappen halben Stunde Laufzeit sollte es keine geben. Besser 30 Minuten ohne Aussetzer als mehr und dafür weniger Klasse. Die zeigt Neuschnee am 31. Jänner, wenn sie Okay im Wiener Wuk live präsentiert. (Karl Fluch, 23.1.2018)