Das Kohlekraftwerk in Bobow Dol in Südbulagarien gehörte früher einem Offshore-Briefkasten.

Foto: IvanDonchev/Greenpeace

Sofia/Brüssel/Wien – Während die EU-Kommission mit Blick auf die 2015 in Paris vereinbarte Senkung des weltweiten Temperaturanstiegs den Ausstieg aus der Kohle propagiert, sind die Widerstände in einzelnen EU-Ländern enorm. Kaum wo sind die Verstrickungen in und um die Kohle aber so augenscheinlich und gleichzeitig intransparent wie in Bulgarien.

Die Wurzeln des Übels reichen zurück in die Zeit der großflächigen Privatisierungen zwischen 2001 und 2008. Rund 20 Unternehmen, die in Bulgarien im Bereich Kohlebergbau, Stromerzeugung und Wärmegewinnung tätig sind, seien in einem geheimen Netzwerk miteinander verbunden.

Wie die Mafia

Greenpeace schreibt in einem eben fertiggestellten Report von mafiaähnlichen Strukturen und Geldwäsche. In dem Bericht, der dem STANDARD vorliegt, wird auch auf die Ausbeutung bulgarischer Kohlearbeiter und auf riesige Umweltschäden hingewiesen, die im Zusammenhang mit dem Kohlebusiness stehen.

Der Kohleanteil an der Stromerzeugung ist in Bulgarien hoch. Die Strukturen dahinter sorgen für Kritik.

Zusätzliche Brisanz erhält der Bericht der Umweltorganisation dadurch, dass Bulgarien im ersten Halbjahr 2018 die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Bedingt durch die Kohlelastigkeit des Balkanstaats (siehe Grafik) und die Parallelwirtschaft, die sich rund um das Kohlegeschäft in Bulgarien entwickelt hat, rechnen Experten in den kommenden Monaten mit null Fortschritt, was die Weiterentwicklung der Kommissionsvorschläge zum Kohleausstieg betrifft.

Verschuldetes Imperium

Das Unternehmenskonglomerat, bestehend aus rund 20 Firmen, gehörte auf dem Papier zwar ausländischen Eigentümern, sei aber "offensichtlich mit einer oder mehreren bulgarischen Banken verbunden", steht in dem Bericht. Das "Kohle-Imperium" sei hoch verschuldet und weise einen kumulierten Verlust von umgerechnet knapp 200 Millionen Euro aus. Die Steuerforderungen des Fiskus, nicht bezahlte Sozialversicherungsbeiträge und noch ausstehende Löhne summierten sich auf nicht weniger als 113 Millionen Euro. Und dennoch blieben die Behörden zumindest bisher untätig, sagt Greenpeace.

Damit nicht genug: Einige der größten Umweltverschmutzer in Europa würden zudem noch immer hohe Förderungen für die Bereitstellung angeblich "effizienter Energie" bekommen. So erhalten Betreiber von Fotovoltaikanlagen oder Windparks in Bulgarien beispielsweise 15 bis 30 Prozent weniger Unterstützung als Betreiber von Kohlekraftwerken.

Ein Beispiel unter vielen

Exemplarisch die Geschehnisse um Bobow Dol: Die rund 60 Kilometer südwestlich von Sofia gelegene Kohlemine mit Kraftwerk ging ursprünglich an eine auf den British Virgin Islands registrierte Firma. Jetziger Eigentümer ist Karlington Ltd. – ein Unternehmen, das 2015 in Wakefield in der Grafschaft Yorkshire registriert wurde.

Laut Handelsregister steht an der Spitze von Karlington Ltd. ein 70-jähriger Brite, der darüber hinaus einem Dutzend anderer Unternehmen mit unklarem Geschäftszweck vorsteht. Dies lasse wenig Zweifel, dass es sich bei Karlington um eine Strohfirma mit fiktivem Direktor handle.

Seltsame Privatisierung

Noch verblüffender sind die Umstände, wie Bobow Dol privatisiert wurde. Das bulgarische Energieministerium verkaufte den Kohlebergbau 2007 um einen Euro an einen lokalen Geschäftsmann. Wenige Monate später verkaufte dieser die Mine um 35 Millionen Euro an ein Unternehmen mit Kontoverbindung bei der bulgarischen Corporate Commercial Bank. Selbige ging 2014 spektakulär krachen. Ähnliche Merkwürdigkeiten haben sich laut Greenpeace auch bei anderen Unternehmen zugetragen, die Teil des bulgarischen Kohlekomplexes sind.

Ein Ausstiegsszenario, wie es viele andere EU-Länder haben, gibt es von offiziellen Stellen in Sofia jedenfalls noch nicht, ebenso wenig von Polen, dem Land mit dem höchsten Kohleanteil an der Stromerzeugung in Europa.

In Österreich sind nach Schließung des Kraftwerks Riedersbach in Oberösterreich im Sommer 2016 noch das Verbund-Kohlekraftwerk Mellach bei Graz und ein Block des Kohlekraftwerks Dürnrohr der EVN in Niederösterreich in Betrieb gegangen. Ersteres soll Ende 2020 vom Netz, Letzteres im Jahr 2025. (Günther Strobl, 23.1.2018)