Von einem lustigen Lauf im Dunkeln mit Frauenlauf-Erfinderin Ilse Dippmann und Andreas Schnabl und dem doch nicht nur spaßigen Hintergrund von Sichtbarkeit und Reflektoren: Laufen bei "schwarzer Luft"

Natürlich könnten wir uns jetzt auf den rein spaßigen Part konzentrieren. Schließlich betonten Ilse Dippmann und Andreas Schnabl ja selbst, dass man in Wien eigentlich auch ohne Stirnlampe gut und unbesorgt laufen kann: weil Wien eine nicht nur gut verwaltete und sichere, sondern auch bestens beleuchtete Stadt ist. Dort, wo sich viele Menschen tummeln, sowieso – aber auch dort, wo die Stadt auch abends und des Nächtens läuft: im Prater etwa. Nicht nur das Riesenrad strahlt dort, auch die Hauptallee – das "Backbone" der Wiener Laufinfrastruktur – ist in der Nacht hell und gut belaufbar. So wie die meisten anderen stark frequentierten Strecken: Wer will, der kann. (Und wer sich subjektiv nicht sicher fühlt, tut es auch bei Flutlicht nicht.)

Foto: thomas rottenberg

Wien ist – losgelöst von den populistischen Polit-Fear-Mongern und den lustvoll von deren Lakaien in den Gülle-Medien hochgeschraubten Angstszenarien – eine sichere Stadt. Daran ändern individuelle und grauenhafte Einzelfälle nichts: Pech kann man immer und überall haben. Aber die größte Gefahr, einem Übergriff zum Opfer zu fallen, lauert immer noch in der angeblich so heilen Familienwelt. Der "nette" Onkel. Der hingebungsvolle (Stief)-Vater. Der "Freund der Familie" … Und so weiter und so eklig: Die Opfer sind zum Greifen nah und arglos – ein Täter, der im nächtlichen Wald lauert, muss hingegen mitunter lange warten. Freilich: Das subjektive Bedrohungsempfinden sieht oft anders aus.

Ilse Dippmann, die Organisatorin und Erfinderin des Österreichischen Frauenlaufes, und Andreas Schnabl, ihr Partner und Geschäftsführer von Frauenlauf samt angeschlossenem Wmns Running Store, wissen das: Niemand, der Frauen zum Laufen ermutigen will, würde sie dort laufen lassen, wo es per se unsicher ist. Und Dippmanns Frauenlauf-Trainingstreffs finden – zumindest im Winter – meist im Dunkeln statt. Wäre das auch nur annähernd gefährlich … aber ich schweife ab.

Foto: thomas rottenberg

"In Wien braucht man beim Laufen eigentlich keine Stirnlampe", erklärte Ilse Dippmann vergangenen Donnerstag also – und schaltete die ihre ein: Sie und Schnabl hatten zum "Laufen im Dunkeln" eingeladen. Erstens, weil es Spaß macht. Zweitens, weil es für viele Läuferinnen und Läufer eine spannende oder interessante neue Erfahrung sein könnte, mit der "Hirnbirn" durch die Gegend zu hirschen. Drittens, weil man sich in der Gruppe bei so was leichter tut. Viertens, weil so ein Event eine gute Möglichkeit ist, unterschiedliche Lampen einmal zu testen, wenn – fünftens – ein Hersteller sie dafür zur Verfügung stellt.

Foto: thomas rottenberg

Die getesteten Lampen – das nur kurz und nebenbei – stammten von "Led Lenser". Die meisten Läuferinnen und Läufer wurden mit der "NEO" ausgestattet – einer kleinen und kaum spürbaren, sehr leichten Lampe im 25-Euro-Bereich. Fürs Laufen in der Gruppe reicht die locker. Alleine und tatsächlich tief im Wald wäre mir das Lamperl mit 10 Metern Reichweite aber auf Dauer zu schwach und auch zu unflexibel.

Um auf schlecht beleuchteten Wegen oder Straßen aber nicht übersehen zu werden, taugt die NEO allemal. Ich griff dennoch lieber zu einer der größeren, deutlich schweren, teureren, aber eben auch stärkeren Lampen aus der SEO-Serie, von der es nur eine Handvoll gab: Nicht so stark wie meine "private" Stirnlampe (aber auch leichter), mit der auch Radfahren und Skitourengehen (und -Nachtabfahrten) gut geht – aber zum Laufen ist die SEO mehr als gut genug.

Foto: thomas rottenberg

Egal. Denn es ging ja nur ums Schnuppern und nicht ums Ausreizen. Denn auch mit den kleinen Lampen macht Laufen im Dunkeln Spaß: Gut 100 Läuferinnen und Läufer waren gekommen. Und weil sich die Glühwürmchen-Truppe in mehrere Tempogruppen aufteilte und sich nach ein paar Akklimatisationsmetern auf der Hauptallee rasch auf die unbeleuchteten Seitenpfade und -wege zerstreute, verlor man die anderen Trupps dann recht rasch aus den Augen.

Für viele Läuferinnen und Läufer in Evas und meinem Rudel war es ein echtes "First", nur den Kegel einer (okay: mehrerer, aber wenn man das das erste Mal tut, merkt man das nicht so) Stirnlampe zu haben, um Wurzeln und Äste, Löcher und Steine zu sehen: Da läuft man automatisch anders. Weicher. Vorsichtiger. Mit dem Fuß tastender und vorfühlender. Und damit – tendenziell – oft auch technisch eine Spur sauberer, als wenn man mit blindem Vertrauen in den Untergrund zum zackigen Fersenlauf antritt.

Foto: thomas rottenberg

Außerdem verliert man die Orientierung: Meine Gruppe wurde von Andreas Schnabl angeführt. Dippmann passte am hinteren Teil des Feldes auf, dass niemand verlorenging. Denn auch wenn bei Tageslicht 98 Prozent der Leute keine Sekunde darüber nachdenken hätten müssen, wo wir gerade waren, sieht die Welt bei schwarzer Luft plötzlich anders aus. Fremd.

Auch das ist eine der spannenden Erkenntnisse, wenn man bei gewohnten Tätigkeiten in einem Set, das man – vermeintlich – auswendig kennt, das Setting ändert. "Wieso sind wir jetzt plötzlich hier?", kam nicht nur einmal, wenn wir an einem dann doch eindeutig festmachbaren Referenzpunkt vorbeikamen.

Foto: thomas rottenberg

Wenn hundert Leute mit Stirnlampen in fünf Teams aufgeteilt werden und zwischen Stadionallee und Lusthaus über die Seitenwege der Hauptallee flitzen, ist es unvermeidlich, dass man einander hin und wieder begegnet. Oder eine andere Gruppe einholt. Bei Gegenverkehr ist es nicht schwer, bei der eigenen Gang zu bleiben – beim Überholen sieht die Sache dann aber anders aus: Ob wir tatsächlich in den Start-Teamaufstellungen zurück zum Frauenlauf-Container beim Stadionbad kamen, wage ich zu bezweifeln. Aber: Verloren ging auch niemand. Zumindest niemand mit eingeschalteter Lampe.

Foto: thomas rottenberg

Ich schaltete meine Lampe immer wieder ab. Aus zwei Gründen: Die Gruppe leuchtete den Weg ohnehin hell aus – und wenn man zum Fotografieren vorläuft, macht man sich auch nicht unbedingt beliebt, wenn man die Entgegenkommenden mit eingeschaltetem Fernlicht blendet. Außerdem: So stark er war und so weit mein Lichtkegel auch reichte: Es ist systemimmanent, dass die Welt an seinen Rändern endet. Dort, wo das Terrain unbedenklich ist, genügen in der Regel Mond- oder Sternen- oder zivilisatorisches Restlicht vollauf, um nicht zu stolpern. Tatsächlich sieht man – wenn sich das Auge einmal eingewöhnt hat, in dieser Art von Dunkelheit dann meist gut genug, um – vorsichtig – zu laufen, zu spazieren oder mit den Skiern bergauf zu gehen. Man sieht dann sogar mehr von der Gegend: Sterne. Berge. Manchmal aber auch Gespenster.

Freilich: Mit- und einschaltbereit am Kopf sollte man die Lampe schon haben. Auch aus einem ganz anderen Grund.

Foto: thomas rottenberg

Wenn ich alleine unterwegs bin, schalte ich die Lampe dann aber meist doch ein. Am liebsten pulsierend – auch wenn das (am Rad zumindest) angeblich nicht hundertprozentig StVO-konform ist.

Denn beim Laufen – aber auch Wandern oder Spazierengehen – im Dunkeln geht es auch ums Gesehenwerden. Nicht ohne Grund hat heute praktisch jedes Stück Sport- und Funktionskleidung, das nicht nur für den Hochsommer ausgelegt ist, ein paar reflektierende Applikationen. Zusätzlich aktiv Licht rauszuschmeißen ist aber auch kein Fehler.

Eines war auch bei diesem Nachtlauf spannend zu beobachten: Sobald ich meine Lampe abschaltete, reflektierten plötzlich – für mich – nur sehr wenige Stellen an meinen Mitläuferinnen und Mitläufern. Schaltete ich die Lampe an, erstrahlten sie wieder. Obwohl doch die anderen ihre Lampen ständig an hatten.

In der Gruppe sorgte das für Erstaunen – obwohl die Sache eigentlich ganz einfach ist: Als Reflexion wahrgenommen wird – bewusst laienhaft gesagt – nur Licht, das direkt im Auge ankommt. Licht, das von einer relativ kleinen Lichtquelle relativ nahe dem eigenen Auge ausgestrahlt wird, braucht gar keine allzu große reflektierende Oberfläche zu treffen – und hat dennoch eine höhere Chance, wieder bei mir zu "landen", als Licht, das von irgendwo anders herkommt – und irgendwohin abgestrahlt wird.

Foto: thomas rottenberg

Funktionstextilien werden in der Regel mit etwa 50 Mikrometer (ein Mikrometer = 0,001 mm) kleinen Glaskugeln beschichtet. "Das ist pürierter Quarz", erklärte mir vor etlichen Jahren Iris Staudecker, eine der Textilexpertinnen des Outdoor-Riesen Mammut.

Und die Licht-Treffer-Wahrscheinlichkeit lässt sich leicht erhöhen: wenn der Reflektor an einer bewegten Stelle ist. Es gehe, so Staudecker, also nicht darum, den Körper (bei Erwachsenen) großflächig zu beschichten, sondern darum, "strategische" Platzierungen auf potenzieller Lichtquellenhöhe vorzunehmen: State of the Art sei es, "den Körper zu skizzieren", sagte Staudecker: "Der Körper sollte an den Eckpunkten zu erkennen sein." Aber auch wenn das in der Regel genügt, weil sich verändernde Winkel und Positionen die Chance, Licht "einzufangen" an stark bewegten Stellen, erhöht, gilt im Zweifelsfall: Mehr ist mehr.

Foto: thomas rottenberg

Dass Sichtbarkeit Leben retten kann, ist eine Binsenweisheit. Doch wie bei jeder Binse ist Wissen das eine – danach Handeln aber das andere: 40 Prozent aller Fußgängerunfälle passieren im Dunkeln – obwohl da bloß 20 Prozent der Fußgänger unterwegs sind.

In der Dämmerung oder bei Nacht sieht der Mensch bis zu 80 Prozent schlechter. "Dunkle" Gestalten sind bei "schlechtem" Licht oft erst aus 25 Metern Entfernung zu sehen. Bei heller Kleidung sind es 40 Meter. Reflektierende Kleidung verdrei- bis vervierfacht das. Auf bis zu 150 Meter. Wenn man dann auch noch "aktiv" leuchtet oder blinkt, kann das den Unterschied zwischen Leben und Tod ausmachen: Bei 50 km/h beträgt der Anhalteweg eines Autos etwa 24 Meter. Plus Reaktionszeit … Und so weiter.

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All das ist weder umstritten noch eine Geheimwissenschaft: 78 Prozent der Bevölkerung glauben, dass Reflektoren Sicherheit bringen. Geht es um Kinder, unterschreiben sogar 99 Prozent, dass Sichtbarkeit Sicherheit bedeutet. Doch lediglich acht Prozent der Erwachsenen reflektieren zu Fuß im Dunkeln immer. Warum? Fast die Hälfte derer, die weder leuchten noch reflektieren, tun das aus Eitelkeit. Weil sie gut aussehen wollen – auch auf die Gefahr hin, dann zur Gänze übersehen zu werden.

Nicht nur im Prater, bei oder nach einem launigen "Glühwürmchenlauf" – sondern auch dort, wo das wirklich gefährlich werden kann. (Thomas Rottenberg, 24.1.2018)

Mehr zum Laufen im Winter und im Prater gibt es hier:

http://www.derrottenberg.com/eisbaeren-muessen-nie-weinen/

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