Linz/Wien – Als halb verweste Kadaver, blutrünstig, kannibalisch, scheinbar ferngesteuert und ohne Sinn und Verstand geistern sie durch die Gegend und sind nur schwer aufzuhalten: Zombies. Wer sind diese abstoßenden und doch faszinierenden Wesen, die nicht tot und nicht lebendig, nicht Mensch, aber auch nicht komplett unmenschlich sind? Und woher kommen diese zerfledderten Untoten, die massenhaft die Populärkultur bevölkern und buchstäblich nicht totzukriegen sind?

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Szene aus dem Genreklassiker "Night of the Living Dead" (1968) von George Romero.
Foto: Everett Collection / picturedesk.com

Diese Fragen beschäftigen Gudrun Rath schon seit einigen Jahren. Die Kulturwissenschafterin von der Kunstuniversität Linz erforscht, gefördert durch den Wissenschaftsfonds FWF, die Geschichte der Untoten und ihrer "Zombifizierung". Dabei untersucht sie hauptsächlich populäre und wissenschaftliche Texte, die im 19. Jahrhundert in Europa veröffentlicht wurden. "Eine zentrale Frage ist, inwiefern die historischen Varianten der Figur mit den heute bekannten Hollywood-Darstellungen zu tun haben", betont Rath. Sie ist über das Studium haitianischer Gegenwartsliteratur auf die Figur des "Zombi" gestoßen – im Gegensatz zum globalen Phänomen des "Zombie".

Wenn man sich auf die Spuren der lebenden Toten begibt, muss man also tief in die Geschichten eintauchen, die die Karibik mit Europa und den USA verbinden. Eine besondere Rolle spielt dabei das heutige Haiti. Die einstige französische Kolonie – durch Sklavenhandel und Zuckerindustrie äußerst rentabel – wurde nach einem erfolgreichen Sklavenaufstand Anfang des 19. Jahrhunderts zur ersten "Black Republic", wie Rath schildert.

Provokationsfigur

Gut 100 Jahre zuvor, nämlich 1697, erschien der Roman Le zombi du Grand Pérou, den Rath als ersten Text identifizierte, in dem der Begriff erstmals auftaucht. Der Roman des französischen Dissidenten Pierre-Corneille Blessebois, der als Zwangsarbeiter nach Guadeloupe verschifft wurde, erzählt von der Geliebten eines Plantagenbesitzers, die in einen Zombi verwandelt werden will, um ihren Liebhaber zu erschrecken – was mangels magischer Kräfte des europäischen Protagonisten nicht funktioniert.

"Der Zombi wird hier nicht als untoter, fremdbestimmter Körper, sondern als weißes Gespenst beschrieben. Es ist vor allem der Glaube an Zombis, der lächerlich gemacht wird. Die Figur wird eingesetzt, um die herrschende koloniale Elite zu provozieren", sagt Rath, Mitorganisatorin einer Tagung zum Thema, die letzte Woche am Internationalen Forschungszentrum Kulturwissenschaften (IFK) in Wien stattfand. Die Figur aus der Zwischenwelt tritt zunächst in den Kontaktzonen zwischen verschiedenen Kulturen auf und ist somit eng mit dem Kolonialismus verbunden.

In der nichtverschriftlichten Kultur dürfte die Figur wohl schon viel länger kursieren. Nicht nur in Westafrika, wo die massive Versklavung begann, sondern auch in Europa sind Vorstellungen von Untoten, die ins Leben zurückkehren, in zahlreichen Varianten verbreitet. Grundlegend für den Zombi sind Rath zufolge auch die Körper- und Seelenkonzepte afrokaribischer Religionen wie des haitianischen Vodou (Die Schreibweise "Vodou" wird von Wissenschaftern bewusst verwendet, um den Begriff von "Voodoo" abzugrenzen, der in der Vergangenheit oft abwertend verwendet wurde, Anm.).

Versklavte Untote

Bis heute ist ein Zombi im Imaginären Haitis ein zu endloser Arbeit verdammter Untoter, der dem Willen einer mächtigen, profitgierigen Person unterworfen wurde – eine Vorstellung, die eng mit den Erfahrungen der Sklaverei verwoben ist. "Die verbreitete Erklärung, dass der Ursprung der Zombies ausschließlich im Vodou liegt, ist aber zu kurz gegriffen", sagt Rath. Vielmehr habe sich Haiti als Zentrum der Zombi-Literatur etabliert, da sich die politische Selbstbestimmung der ehemaligen Sklaven mit Horrorvorstellungen mischte, was "schwarze Magie" bewirken könne.

Insbesondere zwischen 1915 und 1934, zur Zeit der Okkupation Haitis durch die USA, trugen Reiseberichte und wissenschaftliche Arbeiten von Ethnologen zu rassistischen Stereotypisierungen bei, die das Land als einen Hort des Aberglaubens identifizierten und Vodou auf den Mythos der Zombies reduzierten.

Als dann die Filmindustrie die Figur entdeckte, begann der Aufstieg des Zombies zum popkulturellen Massenphänomen. Wobei der erste Film White Zombie (1932) noch die haitianische Vorstellung aufgreift: Der Film mit Bela Lugosi in der Hauptrolle, der auf dem Reisebericht The Magic Island von William Seabrooks basiert, zeigt den Zombie als Frau in weißem Nachthemd, die ebenso wie die zur Arbeit in der Zuckermühle verdammten Schwarzen willenlos ihrem Meister gehorcht.

Kapitalimus und Kannibalismus

Zum verwesenden, menschenfressenden Ungetüm wird der Zombie erst mit dem Splatterkino der 1960er-Jahre, namentlich mit George Romeros Genreklassiker Night of the Living Dead (1968). "Interessant ist, dass der Karibik schon seit Kolumbus zugeschrieben wurde, dass dort Kannibalismus herrsche", merkt Rath an. Neu ist, dass der Topos Zombie ab den Sechzigern aufgeladen wird mit Kapitalismus- und Konsumkritik (siehe die Zombies im Einkaufszentrum in Romeros Dawn of the Dead von 1978) und als Folie für ein grundsätzliches Unbehagen angesichts radikaler gesellschaftlicher Veränderung und Krisen dient.

Danny Boyles 28 Days Later (2002) traf mit seinen Zombies, die auch noch ein tödliches Virus übertragen, den Nerv der Zeit – zeitgleich brach die Sars-Epidemie aus – und schuf auch gleich das neue Phänomen der infizierten Zombies. Die französische Serie Les Revenants wiederum, in der totgeglaubte Familienmitglieder zurückkehren, setzt sich mit dem Umgang der Gesellschaft mit dem Tod auseinander.

Im Hollywood-Kino – und in der Popkultur darüber hinaus – hat sich dagegen das aus dem 19. Jahrhundert altbekannte Erzählmuster "Wir gegen sie" etabliert, wie Gudrun Rath sagt: "Die Welt muss durch einen meist weißen, männlichen Helden, an dem alles hängt, vor der Zombie-Apokalypse gerettet werden."

Proletarische Untote

Und welche Beziehung haben die Zombies zu anderen Untoten und Zwischenwesen wie den Vampiren? "Die Zombies sind die Proletarier unter den Untoten", sagt Rath. "Sie treten in Massen auf, haben nichts zum Anziehen und müssen immer nur schuften. Die Vampire sind dagegen die Bourgeoisie, die im Frack Blut aus Sektgläsern trinkt."

Die Rolle der Zombies bleibt jedenfalls ambivalent und anpassungsfähig: Während sich die Teilnehmer von Zombie-Walks – unter anderem im Zuge der antikapitalistischen Occupy-Wall-Street-Bewegung – mit den lebenden Toten identifizieren, laufen die Teilnehmer von Zombie-Runs vor (vermeintlichen) Untoten davon. Auch wenn der Zombie verschiedenen Konjunkturen unterworfen ist – auferstehen wird er wohl immer wieder.

George Romeros "Night of the Living Dead" hat das Bild des blutrünstigen, menschenfressenden Zombies nachhaltig geprägt – und sein politisches Potenzial wiederbelebt. (Karin Krichmayr, 28.1.2018)