Lebt in Wien, arbeitet aber auf drei Kontinenten: Theatershootingstar und Filmregisseur Simon Stone zeigt "Hotel Strindberg" ab 26. Jänner im Akademietheater.

Foto: Andy Urban

STANDARD: Sie überschreiben alte Klassiker ganz neu. Wozu brauchen Sie die alten Texte eigentlich?

Stone: Andere brauchen sie nicht, ich schon. Ich beziehe mich auf diese Autoren. Wenn Menschen in ein Theater gehen, betrachten sie diese Kunst samt ihrer Geschichte. Ich suche stets nach einer Schnittstelle zwischen heutiger Welt und der tradierten Literatur. Wenn ich also nur neue Stücke schreiben würde, dann hätte ich keine Referenz zur Geschichte. Das ist aber meine Obsession.

STANDARD: Sie bevorzugen kanonisierte Werke. Was zieht Sie da an, wenn es nicht die Sprache ist?

Stone: Es gibt nicht viele Dramatiker, die echte Poesie geschrieben haben – Shakespeare, Goethe, Schiller, Kleist, Racine. Da kann man die "Musik" der Texte nicht trennen von dem, was die Autoren ausdrücken wollten. Zugleich aber muss man bedenken, dass wir im deutschsprachigen Raum ja nie Shakespeare hören, sondern nur Übersetzungen, umgekehrt haben auch Briten nie Kleist gehört. Wenn wir fremdsprachige Autoren umsetzen, haben wir deren Sprache schon weggeworfen. Also gilt es für mich, die Essenz zu erfassen, für die aktuelle Arbeit: nach August Strindbergs Motiven zu suchen.

STANDARD: Sie nehmen mehrere Kammerstücke Strindbergs als Grundlage. Ist das Konzept so ähnlich wie bei "Ibsen House", das Sie mit der Toneelgroep realisierten?

Stone: Durchaus, erst in der Vielheit der Stücke erkennt man, was die Obsessionen des Autors waren. Unser Abend ist eine Reflexion auf einen Ausschnitt seines Œuvre, so ähnlich wie, wenn man ins Museum geht und sich Picassos ansieht. Sie stellen seine Arbeit und seine Person dar, dieser geplagten Seele!

STANDARD: Sie greifen nach düsteren Stoffen, aber am Ende hat man immer viel gelacht. Drängt sich Ihnen die Komik bei der Arbeit auf, oder suchen Sie nach ihr?

Stone: Es wäre nicht repräsentativ, wenn ich im Leben von Menschen nur Tragik zeigen würde, nur weil das Genre so heißt. Tragisches ist ja deshalb herzzerreißend, weil uns die Komik genommen wird. Das Lachen wird uns aus dem Mund herausgestohlen! Lächerliche Dinge passieren mitten im Tragischen, beispielsweise auch an dem Tag, als mein Vater starb. Ich war mit ihm zum Schwimmtrainin gegangen und sah, wie er an einem Herzinfarkt starb. Meine Mutter kam, es war schrecklich. Einer der Trainer bat uns an, uns in dieser erschütternden Situation nach Hause zu fahren. Wir gingen also zu unserem Auto, er öffnete die Tür, und plötzlich sagte er zu uns: "Oh, sorry, das mit der manuellen Schaltung kann ich nicht." So lächerlich! Also fuhr doch meine Mutter, der Coach saß auf dem Beifahrersitz. Daheim verabschiedete er sich gleich, weil er meinte, wir hätten nun ja Dinge zu erledigen.

STANDARD: Ein Desaster!

Stone: Er wollte nur helfen. Es gibt eben nie nur pure Tragik. Ein gutes Beispiel ist auch Shakespeares "Antonius und Cleopatra": Wer bringt die tödlichen Schlangen zu Kleopatra? Der Narr! Und Shakespeare macht auch noch jede Menge Witze über Schlangen und Penisse. Unmittelbar nachdem sich Antonius umgebracht hat! Es ist eben so: Ein Lacher, nachdem jemandes Herz gebrochen wurde, ist einfach mehr wert.

STANDARD: Sie wurden als die Antwort des Regietheaters auf HBO bezeichnet. Ist Ihre Art, Theater zu machen, einem Dreh ähnlich?

Stone: Es sind sehr unterschiedliche Prozesse. Man unterschreibt einen Vertrag für einen 90- bis 120-Minuten-Film. Der Vergleich meiner Theaterarbeit mit dem Fernsehen zielt aber eher darauf ab, dass mein Theater realistische Dialoge enthält und dass auch das Körperspiel in einem sinnfälligen Zusammenhang mit dem Gesprochenen steht. Das stimmt. Aber natürlich sind Theater und Film philosophisch und semantisch völlig getrennte Universen.

STANDARD: Was macht dann die Theaterarbeit für Sie attraktiv?

Stone: Ich arbeite gern mit den Parametern Zeit, Worten und Performance und vor allem mit der Vorstellungskraft des Publikums. Es gefällt mir auch, dass die Aufführung letztlich den Schauspielern gehört. Sie verbringen mit ihr die meiste Zeit und haben es in der Hand. Mir gehören nur die Filme, da entscheide ich bis zur letzten Minute mit. Film ist eine Kunstform für Kontrollfreaks.

STANDARD: Wie sind Sie bei "Hotel Strindberg" vorgegangen? Haben Sie Charaktere aus den Stücken ausgewählt und sie zu einer neuen Geschichte verwoben?

Stone: So ungefähr. Ursprünglich wollte ich sie in einem Wohnhaus versammeln, das wurde zu eng. Jetzt ist es ein Hotel. Es geht um das Gefühl von Grenzüberschreitungen: sozial, sexuell, emotional. Ich verwende Szenen direkt aus den jeweiligen Stücken, dann welche aus Strindbergs Leben und auch Szenen aus der Gegenwart, die mir strindberghaft erscheinen. Jeder der neun Schauspieler spielt zwei bis drei Figuren, viele Geschichten passieren simultan, eine Live-Band spielt.

STANDARD: Theaterleute unken, Sie werden an Hollywood verlorengehen. Sieht aber nicht so aus, oder?

Stone: Ich wäre sehr unglücklich, wenn ich in Los Angeles leben und nur Filme machen würde. Ich lebe in Wien, meine Frau ist Wienerin. Das ist mein Zuhause. Ich möchte auf alle Fälle noch eine Produktion am Burgtheater unter Karin Bergmanns Direktion machen. Ich habe Opern- und Filmpläne, aber Theater ist die aufregendste Kunstform, die es derzeit gibt. Viele glauben noch, es sei die ungeliebte Cousine des Films – not at all! Am Theater kann ich schnell reagieren, in "Hotel Strindberg" kommen Dinge vor, die Tage zuvor in der Zeitung standen. Ein Film über das Leben unter Donald Trump wird wohl erst in drei Jahren rauskommen. (Margarete Affenzeller, 24.1.2018)