Vor dem Parlamentsgebäude in London macht dieser Demonstrant seine Pro-EU-Haltung deutlich.

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Zermürbungskrieg im Oberhaus, anhaltendes Gemaule bei den Bankern in der City of London: Mit ihrer Brexit-Politik stößt die britische Regierung unter Theresa May auf erheblichen Widerstand innerhalb und außerhalb des Parlaments. Von kommender Woche an wird das vom Unterhaus gerade erst verabschiedete EU-Austrittsgesetz von der zweiten Kammer zerpflückt werden.

Im Finanzbezirk herrscht Fassungslosigkeit darüber, dass die Regierung ein längst versprochenes Positionspapier auf die lange Bank schiebt. "Die City tappt im Dunkeln", empört sich Catherine McGuinness von der Bezirksregierung City of London.

Immerhin konnte die Regierungschefin am Dienstag eine offene Rebellion im Kabinett verhindern. Brexit-Vormann Boris Johnson hatte zu Wochenbeginn außerhalb seiner Zuständigkeit als Außenminister gemeint, das derzeit schwer gebeutelte Nationale Gesundheitssystem NHS solle nach dem EU-Austritt jährlich rund fünf Milliarden Pfund (5,7 Milliarden Euro) zusätzlich erhalten.

Erinnerung an 2016

Damit knüpft der EU-Feind an das Versprechen der "Leave"-Kampagne für das Referendum von 2016 an: Damals war fälschlich davon die Rede gewesen, Großbritannien schicke "jede Woche 350 Millionen Pfund nach Brüssel". Das Geld könne besser für innenpolitische Prioritäten, beispielsweise das NHS, verwendet werden.

In der Kabinettssitzung sprach May davon, die fällige Diskussion über die NHS-Finanzierung solle hinter verschlossenen Türen geführt werden. Deutlicher wurde Philip Hammond: "Boris Johnson ist Außenminister." Dem Kollegen im Gesundheitsressort, Jeremy Hunt, habe er als Finanzminister im Budget zusätzliche sechs Milliarden Pfund zugesagt.

Johnson im Zaum zu halten stellt für May eine schwierige Aufgabe dar. Deutlich problematischer dürfte allerdings von kommender Woche an die Beratung des EU-Austrittsgesetzes im Oberhaus werden. Während die Tories in der gewählten Kammer mit Unterstützung der nordirischen Unionisten eine Mehrheit bilden, erleben sie im Oberhaus durch eine Koalition aus Labour, Liberaldemokraten und der mächtigen Gruppe der Partei-Ungebundenen (im Jargon "Crossbenchers" genannt) regelmäßig Niederlagen.

Theoretisch wäre es sogar möglich, dass die zweite Kammer den Gesetzgebungsprozess gänzlich ins Stocken bringt. Das käme allerdings "politischem Selbstmord" gleich, glaubt der mächtige Tory-Lord Tom Strathclyde. Für wahrscheinlicher hält Politikprofessorin Meg Russell vom UCL eine "erhebliche Änderung" der Vorlage aus dem Unterhaus.

"Regierung widerspricht sich"

Zu den umstrittenen Punkten zählt Lord Michael Jay, Vorsitzender des EU-Ausschusses, die Frage der Rückübertragung Brüsseler Kompetenzen, etwa in der Landwirtschaft- und Fischereipolitik. Gestrichen werde womöglich auch der Paragraf, der eine zukünftige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs EuGH für Großbritannien ausschließt, sagt Jay: "Da widerspricht sich die Regierung selbst." Ähnlich verhalte es sich mit dem Austrittsdatum 29. März 2019: Man dürfe sich nicht unnötig an ein bestimmtes Datum binden.

Schon sprechen Verfassungsexperten davon, bis zur Verabschiedung des Gesetzes könne es leicht Sommer werden. Ob bis dahin die Regierung wenigstens weiß, wie sie der eminent wichtigen Finanzindustrie weiterhin Zugang zum Binnenmarkt verschaffen will? Erst vorvergangene Woche hatte May einer Gruppe hochkarätiger Banker versprochen, ihre Branche werde in den Austrittsverhandlungen prioritär behandelt.

Finanzbosse wie Deutsche-Bank-Chef John Cryan und UBS-Chairman Axel Weber hörten die Botschaft gern. An Details aber mangelt es. Lobbyisten der City verweisen darauf, dass die Regierung im Sommer 14 Positionspapiere zu einzelnen Branchen oder Projekten zukünftiger Zusammenarbeit mit der EU veröffentlichte. Bei der Aufsicht über Medikamente und Nuklearforschung hat London zudem signalisiert, man wolle weiterhin im europäischen Rahmen operieren und dafür auch Beiträge leisten. (Sebastian Borger aus London, 24.1.2018)