Rotwildfütterung im Bodinggraben im Nationalpark Kalkalpen (die oberen beiden Bilder und unten). Dort und im nahen Gesäuse finden nicht nur Tiere ein nahezu unberührtes Winterwunderland vor.

Foto: Nationalparks Austria / Heinz Peterherr, Sieghartsleitner
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Molln – Bei der Anreise aus Wien kann sich niemand vorstellen, dass die in Aussicht gestellte "Winterwildnis" Realität werden könnte: Die Wolken hängen tief, Schneeregen und Regen wechseln sich ab, nirgends eine Spur von Schnee. Am Ziel jedoch, in Molln, dem 30 Kilometer südlich von Steyr gelegenen Hauptort des Nationalparks Kalkalpen, präsentiert sich die Landschaft zauberhaft: Glasklar und eisig-grün windet sich die Krumme Steyrling zwischen Bäumen und Sträuchern, die aussehen, als würden sie dicke weiße Früchte tragen, durch den Bodinggraben bis zum malerischen Talschluss mit Kapelle und ehemaligem Jagdschloss.

Dort in der Nähe finden im Winter Rotwildschaufütterung statt: Aus einem temperierten Unterstand heraus gibt es bis zu hundert Hirsche zu sehen, darunter kapitale Männchen. Geschossen werden sie hier nicht – damit ein Gebiet ein Nationalpark sein kann, muss es auf 75 Prozent seiner Fläche auf jegliche wirtschaftliche Nutzung verzichten, und dazu gehört auch die Trophäenjagd. Wenn Bestandsregulierungen notwendig sind, trifft es Weibchen und junge Männchen, denn die Bejagung älterer Männchen wirkt sich negativ auf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis aus.

Zuckerrüben für die Hirsche

Vor der Errichtung des Nationalparks Kalkalpen im Jahr 1997 gab es in dem Gebiet ganze 25 Reh- und elf Rothirschfutterstellen, an denen das Wild unter anderem mit Kraftfutter versorgt wurde, um einen möglichst hohen Bestand und entsprechende Jagderlebnisse zu gewährleisten. Jetzt gibt es noch drei Rotwildfütterungen, die einerseits als Besucherattraktion dienen, andererseits aber den Umstand ausgleichen, dass die Tiere heute im Winter durch Zäune und Straßen nicht mehr ganz einfach in nahrungsreichere Gebiete abwandern können.

Gefüttert wird im Nationalpark lediglich Heu – und bei den Schaufütterungen eine kleine Extraleckerei. Während die Besucher bei rund null Grad in Hightech-Gewand nur ganz wenig frieren, läuft Nationalpark-Ranger Michael Kirchweger im zünftigen Lodenjanker und ohne Handschuhe mit einer Scheibtruhe voll Zuckerrüben durch den Schnee und streut dabei die kostbare Fracht aus. Die rund neunzig Hirsche, die sich versammelt haben, brauchen nicht lange, um sich darüber herzumachen.

Rotwildnavigation

Weniger Freude mit dem prächtigen Rotwild als die Besucher haben manche Nationalpark-Nachbarn. Oft gebe es den Vorwurf, die Hirsche stünden im Sommer im geschützten Gebiet, wo sie nicht geschossen werden dürfen, und wanderten im Winter zu den Futterstellen im Umland, wo sie sich auf Kosten der dortigen Jagdpächter den Bauch vollschlagen, wie Franz Sieghartsleitner vom Nationalpark Kalkalpen erzählt.

Um diese Behauptung zu überprüfen, wurden 23 Stück Rotwild mit einem GPS-Halsbandsender versehen und ihre Bewegungen drei Jahre lang verfolgt. "Die Tiere haben die Nationalpark-Ruhezone nicht überproportional genutzt", wie Sieghartsleitner ausführt – der von den angrenzenden Jagdpächtern monierte "Magneteffekt" konnte also nicht bestätigt werden.

Ebenfalls besendert sind vier der fünf Luchse, die derzeit im Nationalpark Kalkalpen und teilweise auch im Gesäuse unterwegs sind. Mit Schneeschuhen, Antenne und Empfänger ist Luchsspezialist Christian Fuxjäger unterwegs, um zu sehen, ob er ihr Signal orten oder ob er alternativ dazu die Spuren der großen Katzen im Schnee vorführen kann. Das klappt zwar nicht, aber die Fotofalle, die er danach in der Nähe ausliest, enthält neben Bildern von Füchsen und Rehen auch zwei von Luchsen: Am 16. Dezember und am 8. Jänner ist jeweils einer vorbeigekommen. Nachdem vergangenen März das Männchen Juri und das Weibchen Aira aus der Schweiz als Ersatz für zwei gewilderte Luchse hier freigelassen wurden, gibt es heuer erstmals seit 2015 wieder Hoffnung auf Nachwuchs.

Schneeschuhtour

Während der Nationalpark Kalkalpen mit einer Fläche von mehr als 20.000 Hektar das größte Waldschutzgebiet Österreichs darstellt, ist der etwas mehr als halb so große, seit 2002 bestehende Nationalpark Gesäuse vor allem von Wildwasser und steilem Fels geprägt. Im Winter ist das Gebiet ein Eldorado für Tourengänger und Schneeschuhwanderer, die für unberührte Natur gerne auf Aufstiegshilfen verzichten. Nicht verzichten darf man hingegen bei einer geführten Schneeschuhtour auf Lawinenpiepser und Alu-Schaufel – die Nationalpark-Ranger achten streng darauf, dass jeder Teilnehmer entsprechend ausgestattet ist, bevor es losgeht.

Das Wetter ist recht gut: um die null Grad, windstill und ein Schneefall, wie man ihn sich jede Weihnachten wünscht. Schon fast auf dem höchsten Punkt der Runde angekommen, zieht der Winter jedoch plötzlich andere Register: Windböen fegen den Schnee von den gewaltigen Fichten wie einen weißen Vorhang, und für ein paar Sekunden hat man keine Ahnung, wohin man den nächsten Schritt setzen soll. Eine kleine Erinnerung daran, dass mit dem Winter im Gebirge bei allem Schneespaß nicht zu scherzen ist.

DNA-Spuren des Auerhuhns

Am Fuß einer steilen Schneise im Wald bleibt Nationalpark-Biologe Alexander Maringer stehen: Lichtungen wie diese sind dringend benötigte Einflugschneisen für das scheue und mittlerweile sehr seltene Auerhuhn. Dessen Bestand wird im Nationalpark seit 2008 überwacht und untersucht – unter anderem mithilfe von DNA, die aus dem Kot der Tiere an den Balzplätzen gewonnen wird. Damit konnten im vergangenen Jahr 18 Hähne nachgewiesen werden. "Das ist ein leichter Aufwärtstrend", sagt Maringer.

Um Störungen der Tiere vor allem im energetisch aufwendigen Winter zu vermeiden, weisen Schilder die Tourengeher auf Auerhuhngebiete hin, mit der Bitte, sie zu meiden. Außerdem spuren die Ranger Auerhuhn-verträgliche Routen vor. Das funktioniert gut, wie Andreas Hollinger vom Nationalpark Gesäuse erklärt: "Unser Gelände ist so schwierig, da nehmen die meisten Leute gern eine schon vorhandene Spur." (Susanne Strnadl, 27.1.2018)