Familie Tikaev vergangene Woche im Rückkehrzentrum Schwechat.

Foto: Daniel Landau

Frage: Wurde die tschetschenische Familie Tikaev am Dienstag aus Österreich abgeschoben?

Antwort: Ja, ihrem Anwalt Christian Schmaus zufolge wurde die Familie Dienstagnachmittag abgeschoben. Laut Innenministerium wurden insgesamt 35 russische Staatsbürger im Rahmen einer Charterabschiebung nach Russland geflogen. Der Flug wurde von der EU-Grenzschutzagentur Frontex koordiniert, an Bord waren auch russische Staatsbürger aus Deutschland. Schmaus erfuhr erst nach dem Abflug von der vollzogenen Abschiebung. Laut dem Anwalt Georg Bürstmayr muss der Rechtsvertreter von dem Termin nicht informiert werden..

Frage: Kritiker der Abschiebung führen als Argumente ein hohes Maß an Integration von Vater und Kindern an. Ist Familie Tikaev diesbezüglich ein einzelner Härtefall?

Antwort: Nein, solche umstrittenen Abschiebungen gibt es immer wieder. Am Dienstag sollte etwa auch der 25-jährige Tschetschene Junadi Sugaipov zwangsweise nach Russland ausgeflogen werden. Mit Mutter und Tante lebte er seit sieben Jahren im Salzburger Gasteinertal. In dieser Zeit wurde er mehrmals österreichischer Staatsmeister in Taekwondo und arbeitete mit dem Politologen Thomas Schmidinger in Sachen Dschihadismusprävention zusammen – doch sein Bleiberechtsantrag wurde im Jänner 2017 abgelehnt. Die Berufungsverhandlung soll diese Woche Donnerstag stattfinden. Sugaipov wurde am Sonntag in Bad Hofgastein festgenommen, Mutter und Tante, die ebenfalls festgenommen werden sollten, erlitten psychische Zusammenbrüche und befinden sich seither im Spital.

Frage: Auch das Bleiberechtsverfahren der Tikaevs ist noch nicht abgeschlossen. Warum finden Abschiebungen trotz nicht beendeter Bleiberechtsverfahren statt?

Antwort: Weil Menschen durch einen Bleiberechtsantrag – der in den meisten Fällen einen einjährigen Aufenthalt mit Arbeitsmarktzugang (Aufenthaltsberechtigung Plus) begründen soll – dadurch kein Recht auf Aufenthalt in Österreich haben: Bis auf wenige Ausnahmen sind sämtliche Aufenthaltsanträge aus dem Ausland zu stellen. Zudem werden im Zuge eines Asylverfahrens, wie es die Tikaevs durchlaufen haben, auch die Bleiberechtskriterien überprüft. Gibt es auf diesem Weg kein Bleiberecht, wird ein durchsetzbarer Rückkehrbescheid ausgesprochen, der mit einem ab dem Tag der Ausreise beginnenden 18-monatigen Rückkehrverbot in den Schengen-Raum verbunden ist. Dass die Tikaevs danach einen eigenständigen Bleiberechtsantrag stellten, hängt mit neuen Belegen über Integrationsleistungen – B2-Deutschkenntnisse des Vaters, schulische Erfolge einzelner Kinder – zusammen.

Frage: Ist bei der Abschiebung von Kindern unter Bezugnahme auf die UN-Kinderrechtskonvention nicht besondere Rücksicht zu nehmen?

Antwort: Wegen der Kinderrechte nicht. Österreich hat diese zwar in Verfassungsrang erhoben, aber auch einen Vorbehalt formuliert. In Fällen, die die "öffentliche Sicherheit" tangieren – also etwa in Asyl- und Fremderechtsangelegenheiten – sind die Rechte nicht anzuwenden.

Frage: Von einer Reihe STANDARD-Lesern und -Usern werden die bisherigen Berichte über Familie Tikaev unter Hinweis auf die Asylablehnung aus 2015 als lügnerisch und "Fake-News" bezeichnet. Was ist da los?

Antwort: Besagte Leser und User weisen auf die in dem trotz Anonymisierung im Rechtsinformationssystem des Bundes gefundenen Schriftsatz angeführten zahlreichen Argumente hin, die vor Oktober 2015 gegen internationalen Schutz sowie Bleiberecht für die Familie sprachen. Logischerweise nicht erwähnt werden die nachher erfolgten Integrationsschritte. Da das Bleiberechtsverfahren noch nicht beendet ist, wurden diese Schritte bisher nicht geprüft. (Irene Brickner, 23.1.2018)