Sex am Handgelenk: Für 300.000 Euro ist die "Classic Voyeur" von Ulysse Nardin zu haben.

Foto: Hersteller

Von oben: Panerai setzt auf Komplikationen, Jaeger-LeCoultre lässt die Polaris wieder aufleben, Cartier die Santos und A. Lange & Söhne macht's wieder extra kompliziert (im positiven Sinne).

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Von oben: Ressence treibt die Hybridisierung der Armbanduhr voran, Ferdinand Berthoud war neu am SIHH, Montblanc hat die Kollektion gestrafft und Piaget stellte eine Uhr mit einer Bauhöhe von nur zwei Millimetern vor.

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Um bei einer vor Highlights nur so strotzenden Veranstaltung wie dem Genfer Uhrensalon aufzufallen, muss man sich schon etwas einfallen lassen. Jede der insgesamt 35 Marken möchte ein "talking piece" präsentieren, das eine Zeit lang in aller Munde ist. Im Zweifelsfall hilft eben Sex, auch wenn er nur mechanisch ist.

So präsentierte Ulysse Nardin die "Classic Voyeur" (Foto): Einen Zeitmesser, mit dem die Marke der Haute Horlogerie das Kapitel "Hot Horlogerie" hinzufügte. Inklusive ernst dreinblickender Hostess, die auf Wunsch den kleinen Pornostreifen am Zifferblatt ablaufen ließ: Mikromechanisch animierte Darsteller kommen im richtigen Takt zur Sache. Sammler erotischer Uhren werden ihre Freude damit haben.

Ebenso Ulysse Nardin, wo man sich sicher sein konnte, dass die Blogger, "Influencer", etc. die Fotos und Videos der "Voyeur" fleißig in die Cloud schossen und so die Reichweite massiv erhöhten. (Werbe-) Botschaft delivered: "So geil können mechanische Uhren sein." Was uns auch gleich zur ersten Thesen bringt:

1 . These: Social Media wird weiter forciert

So schwer sich die Uhrenbranche mit dem Internet als Verkaufskanal tut (siehe These 2), so rasch haben die Hersteller dessen Kommunikationspotenzial erkannt. Soziale Netzwerke laufen längst all den klassischen Werbe- und Kommunikationsformen den Rang ab. In Ländern wie Italien, Deutschland oder Japan sind Social Media und Blogger laut einer aktuellen Kundenbefragung des Consultingunternehmens Deloitte die wichtigsten Beeinflusser beim Kauf einer Uhr. Immer mehr Marken setzen auf Snapchat, Instagram oder Facebook, um mit ihren (potenziellen) Kunden in Kontakt zu treten und ihre Werbebotschaften zu verbreiten. Nicht zuletzt erhofft man sich auf diese Weise, jüngeres Publikum anzulocken.

2. These: 2018 wird das Jahr des E-Commerce

Die vorhin kurz angerissene Zurückhaltung gegenüber dem Onlinehandel beginnt langsam zu schwinden. Die Erfolge von Omega auf diesem Gebiet (die Swatch-Marke eröffnete vor wenigen Monaten einen Onlinestore für amerikanische Kunden) ließ die Konkurrenz aufhorchen. Neben Omega haben jüngst auch TAG Heuer (LVMH) und Panerai (Richemont) Uhren lanciert, die ausschließlich online verkauft werden sollen. Auch Uhrenhändler wie der Großjuwelier Bucherer haben mittlerweile einen Online-Shop. Es ist wohl auch vor dem Hintergrund des Einbruchs der Verkaufszahlen in den letzten Jahren zu sehen, dass dieser neue Absatzweg beschritten wird. Weitere Hinweise darauf gab es bei den am SIHH präsentierten Produkten: Schnellwechselsysteme für Armbänder, mit deren Hilfe sich der Online-Konsument den Gang zum Juwelier sparen kann, und Apps, mit denen man sich die Uhr vor dem Kauf virtuell ans Handgelenk legen kann.

3. These: Der Gebrauchtuhrenmarkt wird an die Kandare genommen

Den beträchtlich wachsenden Gebrauchtuhrenmarkt möchten die Hersteller nicht den einschlägigen Online-Plattformen überlassen. Jean-Claude Biver, Uhrenboss des weltgrößten Luxuskonzerns LVMH, spielt, so hört man, mit dem Gedanken ein von den LVMH-Marken (u. a. Hublot) kontrolliertes Angebot zu schaffen. François-Henry Bennahmias, Chef der unabhängigen Uhrenmarke Audemars Piguet, tat da schon konkretere Ziele kund: Spätestens in drei Jahren soll ein weltweites Netz von Secondhand-Geschäften für AudemarsPiguet-Modelle aufgebaut werden. "Certified Pre-Owned" lautet das Stichwort.

4. These: Die Branche wird sich heuer erholen

Gut möglich, dass einige CEOs neidisch auf Audemars Piguet blicken. Die Marke aus Le Brassus verkündete auf dem SIHH einen Umsatzrekord von fast einer Milliarde Schweizer Franken. Und das bei einem Volumen von 40.000 Stück pro Jahr. Audemars scheint also besser als andere durch die Absatzflaute gekommen zu sein. Die zuletzt veröffentlichten Zahlen aus dem Weihnachtsgeschäft stimmen jedoch auch den Rest der Branche positiv.

IWC-CEO Christoph Grainger-Herr zum Beispiel ließ durchblicken, dass das Geschäft im vergangenen Jahr gut gelaufen sei, besonders zu Weihnachten. Der Umsatz von Richemont, dem IWC angehört, kletterte im dritten Quartal des am 31. März endenden Geschäftsjahres 2017/18 währungsbereinigt um sieben Prozent auf rund 3,1 Milliarden Euro. Das Wachstum sei vor allem erneut im Raum Asien-Pazifik sowie in Amerika und im Nahen Osten stark. Zurückhaltung sei vor allem bei europäischen Konsumenten zu spüren. Im Übrigen dürften die Verkäufe der Schweizer Uhrenindustrie ins Ausland 2017 insgesamt wieder gestiegen sein, nach zwei Jahren rückläufiger Exporte.

5. These: Die Baselworld wird sich mächtig anstrengen müssen

Nicht nur der positive Geschäftsverlauf sorgte in Genf für gute Stimmung. Der SIHH selbst, 1991 als exklusiveres Gegenstück zur Baselworld ins Leben gerufen, verzeichnet ebenfalls Wachstum: Dieses Jahr waren 35 Uhrenmarken in Genf vertreten, sechs mehr als noch im Vorjahr. Der Zuwachs ist vor allem dem 2016 geschaffenen "Carré des Horlogers" zu verdanken, womit sich der Salon kleineren, innovativen, unabhängigen Marken wie HYT, Ressence, Urwerk, etc. öffnete. Diese profitieren von der dort möglichen direkten Ansprache eines geladenen Fachpublikums.

Dieses wird zeitnah mit relevanten Informationen via (gut gemachter) App, über Diskussionsrunden abseits der Präsentationen im neu geschaffenen Auditorium, etc. – alles aus einer Hand – und, auch nicht ganz unwichtig, mit funktionierendem Wifi versorgt. Das kann Basel in dieser Qualität nicht bieten. Nachdem 2017 schon zwei große Marken, Ulysse Nardin und Girard-Perregaux, beide Teil des Kering-Konzerns, fix von Basel nach Genf wechselten, kam heuer ein weiterer großer Player im Luxusuniversum hinzu: Hermès.

Ein herber Rückschlag für die Baselworld. Die nach wie vor größte Uhrenmesse der Welt schrumpft dieses Jahr um die Hälfte: Waren es 2017 1300, sind es heuer nur noch zwischen 600 und 700 Aussteller. Viele kleinere Marken können sich die hohen Standmieten nicht mehr leisten, zumal die Uhrenindustrie noch 2016 mit einem schwierigen Umfeld konfrontiert war. Die Baselworld neu wird daher nur noch sechs statt acht Tage dauern. Die Ausstellungsfläche wird um ein Drittel verringert. (Markus Böhm, RONDO, 26.1.2018)