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Nur dunkel sind ihre Erinnerungen, sie war damals erst drei oder vier. "Frauen liefen um ihr Leben, das Militär griff an und stahl unser Vieh", sagt die heute 18-jährige Maha Ismeil Sorag mit ruhiger Stimme. Sie, deren rotes Gewand lediglich Gesicht, Hände und Füße unverhüllt lässt, erzählt von Verwundeten bei der Flucht aus Darfur in den Tschad. Davon, dass ihr großer Bruder dabei starb und Soldaten ihre große Schwester in die Finger bekamen. Immerhin, sie lebt noch, sagt Sorag mit nun feuchten Augen, während sie nervös ihre Hände aneinanderreibt. Diese frohe Botschaft hat sie Jahre später aus Darfur erreicht. Mehr über ihre Schwester weiß sie nicht.

Der Tschad, so heißt es dort bereits in der Schule, ist ein Land der Kontraste. Zweimal so groß wie Frankreich, besteht es zu zwei Dritteln aus Wüste. Doch das letzte Drittel bietet Wälder, Berge, traumhafte Seen, eine immense Pflanzen- und Tiervielfalt, sogar zwei Unesco-Welterbestätten. In Österreich ist der Tschad vor allem durch den Bundesheereinsatz von 2008 bis 2009 bekannt. Teil der damaligen Mission: der Schutz der Flüchtlinge aus Darfur.

Fast ein Jahrzehnt später befinden sich immer noch mehr als 300.000 Darfuris im Osten des Tschad. Viele von ihnen leben in den zwölf Flüchtlingslagern, oft nur wenige Kilometer von der Heimat entfernt. Gefahr wie einst von Rebellen oder Räuberbanden droht ihnen kaum mehr, doch nach teils 15 Jahren im Exil stellen viele die simple Frage: Was nun?

Grafik: DER STANDARD

Laut Ante Galic vom UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Farchana, wo sich eines der Flüchtlingslager befindet, gibt es drei Ansätze für eine dauerhafte Lösung:

1. Lokale Integration

Lieber als über ihre dramatische Vergangenheit spricht Maha Ismeil Sorag über die Gegenwart. Die spielt sich in einem Berufsausbildungszentrum im Flüchtlingscamp in Farchana ab, in dem derzeit 230 Schüler an ihrer Zukunft arbeiten. Eingebettet in Sanddünen, ist oft nicht klar, wo das Lager beginnt und wo es aufhört. Die etwa 28.000 dort lebenden Menschen können ein- und ausgehen, wie sie wollen. Zwischen Akazien, denen auch die bis zu 35 Grad im Winter nichts anhaben können, reihen sich in großzügigen Abständen Ziegelhäuser mit teils niedrigen Mauern. Anstatt mit Zelten zu arbeiten, haben die angekommenen Flüchtlinge Material bekommen, um sich ihr eigenes Zuhause zu bauen. In dieser monotonen Szenerie wirkt Sorag mit ihrem roten Gewand wie ein willkommener Farbklecks.

Maha Ismeil Sorag weiß, dass ihre vom Militär entführte Schwester in Darfur lebt. Mehr aber auch nicht.
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Sie besucht als eine von nur zwei jungen Frauen die Photovoltaik-Klasse mit insgesamt 15 Schülern, ein Pilotprojekt. "Ich habe überall in den Camps die Solarpaneele gesehen, das hat mich neugierig gemacht", sagt sie. Sich mit Solarenergie zu beschäftigen sei sicherlich zukunftsweisend, erklärt sie voller Zuversicht. Dass dabei die Hoffnungen der ganzen Familie auf ihren zierlichen Schultern liegen, merkt man ihr nicht an. Die 18-Jährige ist das älteste von sechs Kindern. Der Vater blind, die Mutter krank, soll sie nach ihrer Ausbildung einen Job finden, der die ganze Familie durchbringt. Momentan leben sie alle im Lager, ohne Unterstützung von den Hilfsorganisationen könnten sie nicht überleben.

Ausbildung, ein guter Job, Selbstversorgung. Es klingt so einfach, im Tschad ist das aber kaum zu realisieren. Flüchtlinge werden toleriert, doch offiziell arbeiten dürfen sie genauso wenig wie ein Bankkonto eröffnen oder einen Kredit aufnehmen. Chancen auf die Staatsbürgerschaft haben sie kaum, was ihnen bleibt, sind schlechte Jobs in den Lagern oder in der näheren Umgebung.

Behausungen im Flüchtlingslager Farchana.
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Schon seit längerem wird im Tschad über ein neues Asylgesetz verhandelt, durch das Flüchtlinge mehr Rechte erhalten würden. Ante Galic vom UNHCR hofft, dass es heuer noch beschlossen wird. Sicher ist das nicht. Was bis dahin bleibt, ist ein Leben in den Lagern, in denen die Nahrungsrationen immer kleiner werden, die medizinische Versorgung sich aufs Allernotwendigste beschränkt, und die meisten hoffen, irgendwann wieder in die Heimat zurückzukehren.

2. Rückführung

Der Tschad ist ausgesprochen arm. Im Human Development Index der Uno belegt er den drittletzten von 188 Plätzen (vor dem Niger und der Zentralafrikanischen Republik). Aufgrund andauernder Misswirtschaft in dem seit 1990 von Präsident Idriss Déby mit harter Hand regierten Land lebt die Hälfte der rund 14 Millionen Einwohner unter der Armutsgrenze.

Auch die Flüchtlinge werden immer mehr. Offiziell heißt es, dass keine Darfuris mehr die Grenze passieren, inoffiziell hört man aber das Gegenteil. Doch große Fluchtbewegungen sind das nicht mehr, da ist man sich einig. Zudem kommen auch Menschen von Westen aus dem Tschadbecken ins Land, vor allem Nigerianer, die vor der islamistischen Terrormiliz Boko Haram flüchten. Und aus dem Süden strömen Menschen ins Land, um den Konflikten in der Zentralafrikanischen Republik zu entkommen. Insgesamt geht man daher von mehr als 400.000 Flüchtlingen im Tschad aus.

Geld für die Flüchtlinge hat die Regierung in N'Djamena nicht, ihre Versorgung übernehmen Hilfsorganisationen wie der UNHCR oder die Humanitäre Hilfe der EU (Echo). Und die Mittel von internationalen Spendern werden immer knapper. "Weltweit nehmen Krisen zu, wir fürchten, dass Darfur dabei in Vergessenheit gerät", sagt Olivier Brouant, Leiter des Echo-Büros im Tschad.

Der Tschad, wie er zu zwei Dritteln aus der Luft ausschaut.
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Darfur, das ist der seit 2003 andauernde Konflikt zwischen sudanesischen Truppen, die von arabischen Milizen unterstützt werden, und Rebellen, die sich von der Zentralregierung in Khartum unterdrückt fühlen. Laut Uno wurden dabei seit 2003 mehr als 300.000 Menschen getötet, mehr als 2,5 Millionen flüchteten vor den Kämpfen. Doch angesichts der tristen Lage im Tschad wird ernsthaft über eine Rückkehr nachgedacht. In Abstimmung mit den beiden Regierungen und Hilfsorganisationen wurden 25 Personen aus den Camps mit Begleitung nach Darfur entsandt. Sie sollten die Lage vor Ort prüfen.

Housna Ibrahim Khanis war eine davon. Die 32-Jährige aus dem Camp Gaga trägt gelb-rotes Gewand, eine auffällig edle orange Handtasche und erzählt ungeduldig von der Mission, von der sie vor kurzem zurückgekehrt ist. Was sie in der Heimat beobachtet konnte? Keine Polizei, keine Schulen, keine medizinische Versorgung, dafür Fremde, die das von den Flüchtlingen zurückgelassene Land an sich gerissen haben. "Ich habe viele Araber mit Waffen gesehen. Sie entführen Kinder und vergewaltigen Frauen, haben mir die Leute dort erzählt." Eine Rückkehr sei daher illusorisch, so Khanis: "Wir müssen warten."

Housna Ibrahim Khanis warnt vor einer Rückkehr nach Darfur.
Foto: ECHO/Dominique Catton

3. Neuansiedlung

Zwei Familien, die ihre Namen nicht in Medien stehen haben wollen, sitzen jeweils dichtgedrängt auf zwei Teppichen im Schatten mächtiger Bäume. Sie, die seit Jahren im Lager Djabal hausen, wurden vom UNHCR als potenzielle Resettlement-Kandidaten auserkoren. Sie könnten in einem anderen Land neuangesiedelt werden. Doch die Chancen stehen schlecht, das ist ihnen bewusst. "Wir wissen, dass es schwierig ist, dass es Jahre dauern kann", sagt eine der Töchter, 20 ist sie. Der Prozess ist in der Tat langwierig. Zunächst folgt eine mehrstufige Überprüfung der Kandidaten durch das UNHCR, ob sie überhaupt für Resettlement infrage kommen. Das wären beispielsweise medizinische Notfälle, jene, die nicht mehr arbeiten können, oder alleinerziehende Frauen.

Überstehen die Kandidaten dieses ohnehin schon strenge Verfahren, müssen die aufnehmenden Länder schließlich ihr Okay geben. Das ist der Punkt, an dem es oft scheitert. Denn Plätze werden immer wieder versprochen – für 2018 sind es 3.500 von verschiedenen Ländern –, doch umgesetzt werden die Neuansiedlungen nur selten. "Bisher wurden wenige Hundert umgesiedelt, das ist etwa ein Prozent der Kandidaten", klagt Olivier Brouant von Echo.

Einige Mitglieder jener Familien, die auf Resettlement hoffen. Ihre Gesichter wollen sie nicht fotografieren lassen.
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Hinzu kommt, dass sich das Resettlement-Programm der USA lange in der Warteschleife befand. Offiziell. Tatsächlich hatte es mit dem Einreiseverbot von Präsident Donald Trump zu tun, das Flüchtlinge aus dem Sudan betraf. Erst Anfang dieser Woche gaben die USA – im Tschad neben Kanada, Schweden und Norwegen am engagiertesten in Sachen Neuansiedlung – das Ende des Einreisestopps bekannt. Flüchtlinge aus dem Sudan sollen stattdessen aber verschärft überprüft werden.

Der Weg in die USA bleibt somit voller Hürden, die Familien hoffen aber weiter darauf. "Dort gibt es eine gute Ausbildung und gute Jobs", sagt einer der Väter. Das hätten ihm Darfuris am Telefon erzählt, die es bereits in die Staaten geschafft haben. (Kim Son Hoang aus Farchana, Gaga und Djabal, Credit Titelfoto: Hoang, 2.2.2018)