Das Wetter ist nicht ganz ungetrübt, als das Kreuzfahrtschiff "Mariner of the Seas" Mitte Jänner von Singapur aus in See sticht – im Gegensatz zur prächtigen Stimmung an Bord. Was die mehr als 600 Passagiere eint, ist ihr Enthusiasmus für Kryptowährungen. Locker bei Cocktails über ihr Lieblingsthema plaudernd merkt man ihnen nicht an, dass sie in den vergangenen Wochen durch die empfindlichen Kursrückgänge und von Bitcoin & Co zusammen wohl Millionen Dollar in den Sand gesetzt haben. Kein Wunder, schließlich wurden sie zuvor lange von der vorangegangen Welle des Erfolgs getragen, welche aus den meisten von ihnen wohlhabende Menschen gemacht hat.

Weltweit gibt es bereits mehr als 1400 Kryptowährungen.
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Coinsbank Blockchain Cruise Asia heißt die viertägige Reise, die über Penang nach Phuket und zurück nach Singapur führt. Neben Partys mit Sangria, Energy-Drinks und Rap stehen Konferenzen und mehr als 50 Vorträge auf dem Programm. Prominentester Sprecher ist der ebenso schillernde, wie umstrittene Antivirus-Pionier John McAfee. "Man kann ein dezentralisiertes System nicht verbieten", richtet er eine Botschaft an China und Südkorea, wo die Behörden – aufgeschreckt vom enormen Wertgewinn der Kryptowährungen – Handel und Erzeugung von Bitcoin & Co einen Riegel vorschieben wollen. Wie fast alle an Bord ist McAfee vom Erfolg digitaler Währungen überzeugt.

1400 Kryptowährungen

Wie aber kam es zu der Welle an Kryptowährungen – derzeit gibt es mehr als 1400 – und den Hype um Bitcoin und Co? Um das zu verstehen, muss man zurückblicken ins Jahr 2008. Es ist das Jahr des Ausbruchs der Finanzkrise, es ist ebenso das Jahr der Entstehungsgeschichte des Bitcoins.

Im damaligen Immobilienboom wurden US-Hypothekarkredite zu Paketen geschnürt und an Investoren weiterverkauft. Jeder hoffte auf noch mehr Gewinn. Als der Wind am Immo-Markt sich drehte, brach dieses Kartenhaus zusammen und brachte das ganze Finanzsystem in turbulentes Fahrwasser. Das Banksystem wurde weltweit mit Milliarden von Dollar und Euro vor dem Kentern bewahrt. Die Notenbanken senkten die Zinsen auf null. Das trifft vor allem Sparer – bis heute.

Bitcoinplausch bei einem Bier

Szenenwechsel. An einem trüben Novemberabend treffen sich einige Dutzend, vorwiegend männliche Kryptofans bei einem Vortrag im House of Nakamoto, einem Bitcoin-Shop in der Wiener Innenstadt. Es geht beschaulicher zu als am Schiff, statt zu Longdrinks wird zu Flaschenbier geplaudert – nur die Themen sind dieselben. Dass es auch ums Geldverdienen geht, stellt keiner in Abrede. Aber wie an Bord der "Mariner of the Seas" speist sich bei ihnen die Faszination für dezentrale Kryptowährungen aus einem tief sitzenden Misstrauen gegenüber herkömmlichen, von Staaten und Notenbanken beherrschten Währungen wie Dollar und Euro.

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Mancherorts kann auch Bier mit Bitcoins bezahlt werden.
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Denn die Euro-Krise, die der Finanzkrise folgte, hat den Glauben an die Gemeinschaftswährung erschüttert. In Portugal, Italien, Griechenland und Spanien kam es ob der hohen Banken- und Staatsdefizite zu harten Einschnitten. Während die Notenbanken die Geldmenge immer mehr ausweitete, wurde das Budget für die Bürger knapper, Jobs gestrichen. Die Handlungen der Notenbanken stimulierten die Konjunktur kaum, das billige Geld floss an die Börsen, die sich seit Jahren im Höhenrausch befinden.

Misstrauen als Antrieb

In Zypern etwa mussten alle Bürger und ausländische Kontoinhaber, die über mehr als 100.000 Euro Sparguthaben verfügten, an einem Rettungsprogramm teilnehmen. Ihnen wurde ein Teil ihres Geldes weggenommen. Im Jahr 2011 folgte ein Zinsskandal. Bekannt wurde, dass sich mehrere internationale Banken bei der Höhe des Libor, einem wichtigen Zinssatz, an dem viele Bankgeschäfte wie etwa Kredite hängen, abgesprochen hatten.

All das hat das Vertrauen in das derzeitige Geldsystem untergraben. Neu ist dies freilich nicht: Für die Vertreter der sogenannten Österreichischen Schule der Nationalökonomie galt das staatliche Geldmonopol bereits seit Anfang des 20. Jahrhunderts als Gift für die freie Marktwirtschaft.

Die Wirtschaftskrise nach 1929 ist ein Beispiel für die Konjunkturtheorie von Ludwig von Mises, einem berühmten Vertreter dieser Ökonomen. Seine These besagt, dass auf einen kreditfinanzierten Boom eine Wirtschaftskrise folgt – ausgelöst durch die Zinsmanipulationen der Zentralbanken. Können sich Investoren Geld zu einem unter dem Marktpreis liegenden Zins leihen, fließt es in unrentable Investitionen – was früher oder später korrigiert werden muss.

Staatliches Monopol kippen

Getrieben vom Verdruss am staatlichen Geldmonopol stellte Mises Kollege Friedrich August von Hayek 1976 die ökonomischen Ansätze auf den Kopf. In seinem Buch "Entnationalisierung des Geldes" schlug er vor, private Währungen zuzulassen und Wettbewerb auszusetzen. Die Regelung sollte dem Markt überlassen bleiben.

Hayeks Ansatz war ein erster Angriff auf das Geldmonopol. Bitcoin & Co sind an sich auch Instrumente dieses Angriffs – und ein Versuch, in eine marktwirtschaftliche Geldordnung überzugehen. Ganz abschaffen wollte Hayek das staatliche Geld aber nie. Kryptowährungen sind somit eine Weiterführung seiner Idee. Jeder kann sie nutzen, aber niemand muss. Der maßgebende Unterschied ist die Dezentralität.

Ungeklärt bleibt, ob der Bitcoin-Erfinder, bloß unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto bekannt, ebenfalls diesen Ansatz verfolgte. Es wirkt, als hätte er bewusst die Eigenschaften von Gold in seiner Software imitiert. Knapp und unmanipulierbar, so sollte sich seine Währung präsentieren.

Vertrauen als Grundvoraussetzung

Was macht aber eine Währung eigentlich aus? Eine der Grundvoraussetzungen für ein funktionierendes Geldsystem ist Vertrauen der Bevölkerung in das Tauschmittel. Die Währung muss zudem als solche auch angenommen werden. Wer Lebensmittel kaufen möchte und nur Kryptowährungen bei sich hat, dem wird dies bei kaum einer Supermarktkette gelingen. An Vertrauen und Akzeptanz mangelt es den neuen Digitalwährungen definitiv noch.

Knappheit, die dritte essenzielle Voraussetzung, ist gegeben. Mehr als 21 Millionen Bitcoins können aufgrund der Architektur dahinter nicht erschaffen werden. Das ist bedeutend, denn wenn zu viel Geld im Umlauf ist, verliert es stark an Kaufkraft. Im Umkehrschluss heißt dies aber auch: Weil Kryptogeld nicht von Notenbanken kontrolliert wird, kann im Fall einer Krise niemand den Geldhahn aufdrehen und stabilisierend eingreifen.

In Verruf geraten

Bitcoin und Co sind zudem als Hackerwährungen in Verruf gekommen, weil bei Attacken auf Systeme fast ausschließlich diese als Lösegeld gefordert werden. Da der Austausch von Bitcoin weitgehend anonym ist, ist das System für illegale Aktivitäten prädestiniert. Nicht zuletzt bringen die enormen Kursschwankungen Bitcoin als reines Spekulationsobjekt in Verruf.

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Ein Mann verwendet einen Bitcoin-Bankomaten in Hongkong.
Foto: AP/Kin Cheung

Dessen ungeachtet gehen die Passagiere an Bord der "Mariner of the Seas" davon aus, dass Kryptowährungen nicht nur die Zukunft des Geldes darstellen. Die Blockchain-Technologie kann viele Industrien auf den Kopf stellen. Denn damit werden Geschäfte von Anbieter zu Kunden direkt möglich, Vermittler für den Transfer von Kapital, Dienstleistungen oder Waren überflüssig.

Destination: Unbekannt

Wohin die Reise gehen wird, ist kaum abzuschätzen. Kryptowährungen gibt es seit neun Jahren, der Bereich ist noch sehr jung. Aber: Das Internet wurde 1969 erfunden und war neun Jahre danach kaum bekannt. Heute ist es die Basis in vielen Bereichen unseres täglichen Lebens.

Ähnliches erwarten auch die Passagiere der "Mariner of the Seas" für Bitcoin & Co, unbeirrt tragen sie ihre Zuversicht zur Schau. "Buy the dip", prangt von dem T-Shirt eines Teilnehmers, was sinngemäß heißt: Bei Rückschlägen kaufen. Die Veteranen unter ihnen haben das Auf und Ab bei Bitcoin schon mehrmals erlebt, wobei à la longue stets ein neues Hoch folgte. In dieser Hoffnung gehen die Passagiere in Singapur wieder von Bord – um die meisten bald wiederzusehen. Wenn sich der Tross der hartgesottenen Bitcoin-Fans in dieser Woche zu einer Kryptowährungskonferenz in Bangkok versammelt. (Alexander Hahn, Andreas Danzer, Bettina Pfluger, 25.1.2018)