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Eine Frau machte den Verlauf ihres Date mit Comedian Aziz Ansari öffentlich – und stieß damit eine weitere Facette in der Diskussion über sexuelle Übergriffe an.

Foto: AP/Frazier Moore

War das jetzt einfach nur schlechter Sex oder ein Übergriff in vielen kleinen Schritten? In den USA und anderswo diskutiert man am Beispiel des Schauspielers und Comedians Aziz Ansari die Grenzen dessen, was die #MeToo-Debatte leisten kann und darf.

Eine junge Frau trifft auf der Emmy-After-Show-Party einen sehr erfolgreichen, wohlhabenden jungen Schauspieler und bemüht sich um dessen Aufmerksamkeit. Sie tauschen Nummern aus und verabreden sich zu einem Date, von dem sie später sagen wird, dass es "die schlimmste Nacht ihres Lebens" gewesen sei. Ansari, so schildert es die junge Frau unter dem Schutz der Anonymität gegenüber einem Internetportal, hätte sich im Laufe dieser Nacht nicht nur immer wieder darum bemüht, Sex zu initiierten, sondern dabei ihre klar ablehnende Haltung ignoriert. Nachdem sie sich schließlich aus der Situation gelöst hat, lässt er sie via Textnachricht wissen, dass er eine gute Zeit hatte. Sie hingegen stellt klar, wie furchtbar die Begegnung für sie gewesen ist. Er entschuldigt sich.

Soll man etwa Gedanken lesen?

Und nun die dreiteilige Preisfrage: Was ist da wirklich passiert? Was bedeutet "klar ablehnende Haltung", wenn sie nicht verbalisiert wird? Hat sich der Mann wirklich etwas zuschulden kommen lassen? Hinter Ansari, der nach eigener Aussagen davon ausgegangen ist, dass der Abend sich zu jedem Zeitpunkt einvernehmlich gestaltet hat, versammeln sich interessanterweise viele Stimmen, die die #MeToo-Debatte für notwendig und wichtig halten. Sie fragen nach der Verantwortung des mutmaßlichen Opfers, das zahlreiche Gelegenheiten gehabt hätte, sich der Situation zu entziehen oder sie überhaupt gar nicht erst zustande kommen zu lassen.

Und das insbesondere vor dem Hintergrund der Tatsache, dass sich auch in den Schilderungen der jungen Frau keinerlei Hinweise auf eine offene oder verdeckte Drohung seitens Ansaris finden lassen. Sie wollen wissen, worin genau die Bringschuld Ansaris bestanden hätte: Soll der Mann etwa Gedanken lesen? Muss Mann während des Anbahnens einer sexuellen Begegnung wirklich jeden Moment nach Anzeichen einer "klar ablehnenden Haltung" im Gegenüber forschen? Und monieren darüber hinaus über eine Erstberichterstattung, die Ansari kaum ausreichend Zeit zu einer Reaktion lässt und sich für einen "Scoop" feiert, anstatt mit gebotener Sensibilität Fakten zusammenzutragen.

Das sind sehr relevante Punkte, die die Debatte zweifellos bereichern. Verantwortung ist keine Einbahnstraße, von der sich Menschen qua Geschlecht und Vorwurf an andere fernhalten können. Vor Missinterpretationen ist niemand gefeit, weder Aziz Ansari noch die junge Frau. Auch nicht davor, eigene Fehleinschätzungen aus Selbstschutz oder Bequemlichkeit jemand anderem anzulasten.

Allerdings sind die Einwände gegen diese Sichtweise nicht weniger bedeutsam. Denn selbst wenn Einigkeit darüber bestünde, welche Formen eines implizierten Neins die allgemeine Wahrnehmungsschwelle unterschreiten, bleibt die Frage nach dem Ja. Wieso kommt es Ansari – immerhin ein Mann, der sich schon verschiedentlich zu den Zielen der #MeToo-Bewegung und feministischen Ansichten bekannt hat – nicht in den Sinn, dass Einvernehmlichkeit sich nicht im Ausbleiben einer Ablehnung erschöpft?

Margaret Hoffman

Die Diskussion über diesen Fall dreht sich nicht zuletzt darum, wieso in der Anbahnung eines sexuellen Kontakts das Fehlen eines klaren Neins zu weiteren Schritten berechtigen sollte und warum Frauen unter dem Eindruck aufwachsen, die ständige Überschreitung ihrer Grenzen sei ein unvermeidlicher Teil ihrer Existenz.

Nicht wenige meinen, dass es sich bei solchen Erwägungen um Spitzfindigkeiten handelt, die in der Aufarbeitung von Fällen konkreter sexualisierter Gewalt bis hin zu Vergewaltigungen nichts zu suchen haben und die #MeToo-Debatte überfrachten. Aber warum eigentlich?

Debattensperre

Selbstverständlich werden nun auch Dinge verhandelt, die auf den ersten und vielleicht sogar auf den zweiten Blick nichts mit den Übergriffen zu tun haben, die Harvey Weinstein zur Last gelegt werden. Weil sie schlussendlich doch damit in Zusammenhang stehen. Das kommt davon, wenn man sich jahrzehntelang gegen alle möglichen Debatten sperrt, das Private als unpolitisch markiert und strukturelle Verwerfungen als persönliche Vorliebe oder Abneigung maskiert. Das passiert, wenn man auf Schilderungen von Übergriffen reflexartig mit "Das ist doch übertrieben, hab dich nicht so!" reagiert.

Wir haben die ganze Sache gründlich an die Wand gefahren und mit unserem selbstgefälligen Desinteresse den Opfern sexualisierter Gewalt viel zu lange die Hand auf den Mund gepresst. Das Ergebnis ist eine in Teilen überzogene, unsauber geführte und ausufernde Debatte, die Gefahr läuft, involvierten Personen Unrecht zu tun. Eine Debatte, bei der zuvor unzählige Chancen verspielt wurden, es besser zu machen. Womöglich ist es genau die Debatte, die wir verdient haben. (Nils Pickert, 29.1.2018)