Perris/Wien – Knapp zwei Wochen ist es her, dass sich zahlreiche Kamerateams nach Perris aufmachten, einer unscheinbaren kalifornischen Kleinstadt südöstlich von Los Angeles. Dort wurde offenbart, dass ein Ehepaar, der 56-jährige David T. und die 49-jährige Louise T., seine 13 Kinder jahrelang unter grausamen Bedingungen daheim gefangen gehalten hatte. Seither treibt Ermittler und Medien die Frage um, was die beiden zu diesen Taten gebracht hat – und auch, wie umfangreich diese tatsächlich waren.

Die 13 Kinder im Alter zwischen zwei und 29 Jahren befinden sich weiterhin im Krankenhaus. Natürlich gelten sie als wichtigste Quellen, wenn es darum geht, was sich in ihrem Elternhaus genau abgespielt hat. "Opfer in diesen Fällen erzählen ihre Geschichte, aber sie erzählen sie langsam, in ihrer eigenen Geschwindigkeit", sagte Mike Hestrin, der zuständige Bezirksstaatsanwalt für Riverside County, am Mittwoch der Nachrichtenagentur AP. "Es wird herauskommen, wenn es herauskommt."

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Eine Nachbarin hinterlässt an der Eingangstür des Hauses der Familie eine Nachricht an die 13 Kinder.
AP Photo/Damian Dovarganes

Schon etwas länger bekannt ist laut Staatsanwaltschaft, dass die Kinder über einen längeren Zeitraum misshandelt wurden. Sie wurden teilweise mit Vorhängeschlössern an ihre Betten gekettet, zudem durften sie nur wenige Male im Jahr duschen gehen. Arztbesuche waren verboten, oft konnten sie nicht auf die Toilette gehen, weil die Eltern ihnen die Fesseln nicht abnehmen wollten.

Anzeichen von Nervenschädigungen

Nachdem eines der Kinder, die 17-jährige Tochter, nach erfolgreicher, jahrelang geplanter Flucht am 14. Jänner die Behörden informieren konnte, fand die Polizei die Kinder unterernährt vor, zudem gab es Anzeichen von kognitiven Beeinträchtigungen und Nervenschädigungen. Obwohl sieben von ihnen volljährig sind, waren sie so abgemagert, dass die Polizei anfangs dachte, sie alle seien minderjährig.

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Auch Kerzen und Luftballons sind zu sehen.
AP Photo/Damian Dovarganes

Dazu kommen nun weitere Erkenntnisse, die Bezirksstaatsanwalt Hestrin verriet: Ihm zufolge wurden die Kinder nicht gemeinsam, sondern in kleineren Gruppen auf mehrere Räume verteilt gefangen gehalten. Sie hatten keinen Zugang zu Fernsehen oder Radio, hätten aber lesen und schreiben können, denn im Haus wurden hunderte Hefte gefunden. "Mir scheint, sie hätten keinerlei Verständnis dafür gehabt, wie die Welt funktioniert", sagte Hestrin.

Keine Ahnung von Polizeibeamten

Die Isolation dürfte den Ermittlern zufolge schon vor Jahrzehnten begonnen haben, in den letzten Jahren soll sich die Situation weiter verschlechtert haben. Die Kinder seien so abgeschottet gewesen, dass sie keine Ahnung hatten, wer Polizeibeamte oder was Medikamente seien.

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Plüschtiere werden ebenfalls vorbeigebracht.
Foto: AP Photo/Damian Dovarganes

Um die Kinder zu isolieren, haben die Eltern laut Ermittlern große Mühen auf sich genommen. Bekannt ist bereits, dass der Vater das Haus als Privatschule registrierte, um die Kinder nicht auf öffentliche Schulen schicken zu müssen. Nun verrieten die Behörden, dass die Kinder gezwungen wurden, tagsüber zu schlafen und nachts munter zu werden, um die Chancen auf Kontakt mit der Außenwelt weiter zu verringern.

Stolz auf 13 Kinder

Gleichzeitig aber wurde bekannt, dass durchaus Kontakt zu anderen bestand, wenn auch selten. Nachbarn berichten, dass es hin und wieder zu kurzen Gesprächen kam. Vor zwei Jahren etwa, berichtet die "Los Angeles Times", habe es in Perris einen Wettbewerb um die beste Weihnachtsdekoration gegeben. Bei der Siegerehrung waren die Eltern und fünf der Kinder anwesend. Die Mutter, erinnert sich ein Nachbar, soll stolz erzählt haben, dass sie insgesamt 13 Kinder haben.

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Die Eltern mussten am Mittwoch zum zweiten Mal vor Gericht erscheinen.
AP/Mike Blake

"Teller um Teller um Teller gegessen"

Bekannt wurde nun auch, dass eines der älteren Kinder ein Community College besucht hat. Eine Mitschülerin am Mt. San Jacinto College, Angie Parra, konnte sich an ihn erinnern. Er sei "süß", aber introvertiert gewesen, sagte sie zu NBC4. Bei einem Schulessen habe er gegessen, als wäre er ausgehungert, erzählt sie. "Er stand am Tisch und setzte sich gar nicht hin. Dann hat er Teller um Teller um Teller gegessen."

Laut Bezirksstaatsanwalt Hestrin hatte die Mutter ihn zum Campus gebracht und direkt nach dem Unterricht auf ihn gewartet. Das College bestätigte gegenüber AP, dass eines der Kinder ein Schüler war, gab aus Datenschutzgründen aber keine weiteren Informationen preis.

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Vater David T. hatte das Haus als Privatschule angemeldet.
AP/Mike Blake

Weiter keine näheren Informationen gibt es auch zu der Frage nach dem Motiv der Eltern. Der Bruder der Mutter, Billy Lambert, erzählte mehreren Medien, seine Schwester habe darauf gehofft, ihre Familie würde mal eine eigene TV-Realityshow erhalten. Sie dachte demnach, die Welt würde von ihnen begeistert sein. Laut Ermittlern gibt es aber keine Hinweise darauf, dass die Eltern diesen Plan ernsthaft verfolgten.

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Mutter Louise T. hatte offenbar eine TV-Realityshow im Sinn.
AP/Mike Blake

Auch Experten rätseln über das Motiv. Karen Imagawa, Leiterin des Audrey Hepburn Cares Center in Los Angeles, die mit traumatisierten Kindern arbeitet, versucht zu erklären, weshalb die Eltern etwa mit Urlaubsfotos in sozialen Medien ein intaktes Familienleben vorgegaukelt haben. "Vielleicht dachten sie, wenn man den Leuten etwas präsentiert, fragen sie nicht nach", sagt die Medizinerin der "Los Angeles Times", "oder es gibt da ein tieferes psychologisches Motiv, dass sie herausfinden wollten, wie viel sie tun können, ohne dass es jemand erfährt."

Kein Kontakt zu Kindern erlaubt

Am Mittwoch erschienen die Eltern erneut vor Gericht in Riverside County. Bei einem ersten Termin hatten beide auf nicht schuldig plädiert. Mehr, etwa zum Motiv, sagten sie nicht. Nun verbat ihnen der Richter, Kontakt zu den 13 Kindern aufzunehmen, in welcher Art auch immer. Erlaubt sei Kommunikation ausschließlich durch Anwälte oder Ermittler. Ihre Anwälte gaben während der Gerichtsanhörung keinen Kommentar ab.

CBS-Bericht über mögliche Ambitionen in Sachen Realityshow.
CBS Los Angeles

Den Eltern drohen unter anderem wegen Folter, Kindesmisshandlung und Misshandlung von abgängigen Erwachsenen jeweils 94 Jahre Haft. Die nächste Gerichtsanhörung wurde für 23. Februar anberaumt.

Zahlreiche Adoptionsgesuche

Unterdessen meldete die Nachrichtenagentur AFP, dass den Behörden zahlreiche Adoptionsgesuche für die 13 Kinder vorlägen. Die Entscheidung darüber liege aber bei den Gerichten, hieß es. (ksh, 25.1.2018)